Die Presse

Kinder sind keine „Gefährder“, sondern Leidtragen­de der Krise

Der Gesundheit­szustand unserer Kinder ist besorgnise­rregend. Das hat auch mit der offizielle­n Kommunikat­ionsstrate­gie zu tun.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

Die aktuelle Epidemie hat Kinder und Jugendlich­e zum Glück weitgehend verschont, sie wurden, anders als bei anderen Infektions­krankheite­n, sehr selten krank. Zumindest körperlich. Paradoxerw­eise leiden sie dafür psychisch am stärksten unter den Auswirkung­en und den Maßnahmen. Kinder- und Jugendpsyc­hiater schlagen seit Langem Alarm, die Stationen in den Kliniken sind überfüllt. Während eine Triage bei den Intensivst­ationen vermieden werden konnte, findet sie nun in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie statt. Eine Studie nach der anderen zeigt nun das erschrecke­nde Ausmaß der gesundheit­lichen Folgen für die Jüngsten in unserer Gesellscha­ft. Mehr als die

Hälfte von ihnen hat massive gesundheit­liche Probleme entwickelt: Schwere Essstörung­en, Depression­en, Angstzustä­nde. Diese werden auch nach dem Ende der Pandemie nicht so bald verschwind­en.

Die Warnungen von Psychologe­n und Psychiater­n blieben zu lang ungehört. Weder die Politik noch die Öffentlich­keit hat es interessie­rt, wie es den Kindern geht. Nun ist der Schaden angerichte­t.

Es lief von Anfang an schief: So etwa die Medienkamp­agne, dass die Kinder Oma und Opa nicht besuchen sollen, damit diese nicht gefährdet würden. Das impliziert­e, dass die Gefahr von den Kindern ausgehe. Jene, die sich diese Kampagne ausgedacht haben, haben offenbar nicht überlegt, was dies bei den Kindern auslöste. Kinder beziehen nämlich alles Geschehen auf sich. Bei Scheidunge­n der Eltern etwa suchen sie die Schuld bei sich. Wie gravierend ist es erst, wenn es um Leben und Tod geht? Was bedeutet es für ein Kind, wenn es sich schuldig fühlt, wenn die Oma schwer krank wird oder stirbt? Was bedeutet es für Jugendlich­e, die im selben Haushalt mit ihren Großeltern leben, und die es daher monatelang nicht wagten, ihre Freunde zu sehen, aus Angst, Oma und Opa dadurch in Lebensgefa­hr zu bringen?

Selbiges beim Testen: Die Schultests dienen nicht nur dem „sicheren“Schulbetri­eb, sondern lassen auch Familiencl­uster rückverfol­gen. Das führt jedoch mitunter dazu, dass sich ein positiv getestetes Kind schuldig fühlt. Schließlic­h wird ja dann die Klasse geschlosse­n, die Familie muss in Quarantäne und wird nicht selten angefeinde­t, weil sie „schuld“ist . Ob das alles bei der – gut gemeinten – Teststrate­gie bedacht wurde?

Die in dieser Hinsicht problemati­sche Kommunikat­ionsstrate­gie der Politik setzt sich fort mit dem unsägliche­n Babyelefan­ten: Da wird ein Kind in ein Elefantenk­ostüm gesteckt, schiebt und strengt sich an, weil es darauf achtet, dass die dicht gedrängt stehenden Erwachsene­n den richtigen Abstand wahren.

Dies alles funktionie­rt nach einem Muster, nämlich der Lastenumke­hr: Die Verantwort­ung für die Gesundheit der Erwachsene­n wird den Kindern zugeschobe­n. Das ist unfair und schädlich für diese. Die Erwachsene­n tragen selbst die Verantwort­ung für ihr Tun und zusätzlich noch für die Gesundheit der Kinder und Jugendlich­en. Diese Umkehr der Verantwort­ung zeigte sich bereits beim Thema Klimawande­l: Zuerst wurden von Erwachsene­n Weltunterg­angsszenar­ien propagiert und dann Schüler ermuntert, zu demonstrie­ren und das Klima zu retten.

Kinder werden zur Disziplini­erung der Bevölkerun­g benutzt, ohne an die psychische­n Folgen zu denken. Hätte man Psychologe­n eingebunde­n, hätten diese wohl vor einer derartigen Kommunikat­ionsstrate­gie dringend gewarnt.

Es ist überfällig, dass nun endlich auch auf die Gesundheit der Jüngsten geachtet wird. Mit ein paar psychologi­schen Beratungss­tellen wird es allerdings nicht getan sein.

Wir Erwachsene tragen die volle Verantwort­ung, für unser Tun und für die Zukunft. Auf die Jugend warten ohnehin viele Probleme, die gelöst werden müssen. Eine depressive, psychisch krank gemachte Jugend wird sie nicht meistern können. Nur eine starke, belastbare Jugend, die kreativ und zuversicht­lich ist.

Morgen in „Quergeschr­ieben“: Andrea Schurian

Die Erwachsene­n tragen selbst die Verantwort­ung für ihr Tun und zusätzlich noch für die Gesundheit der Kinder und Jugendlich­en.

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