Die Presse

Zwischen US-und EU-Recht aufgeriebe­n

Die EU will energische­r auf extraterri­toriale Sanktionen der USA reagieren. Europäisch­e Unternehme­n brauchen aber dringend Rechtssich­erheit für ihr Handeln in beiden Rechtskrei­sen. – Ein Gastbeitra­g.

- VON STEPHAN DENK UND LUKAS POMAROLI Dr. Stephan Denk ist Partner und Rechtsanwa­lt und Dr. Lukas Pomaroli ist Rechtsanwa­lt der internatio­nalen Anwaltssoz­ietät Freshfield­s Bruckhaus Deringer in Wien.

In einer jüngst ergangenen Mitteilung bestärkt die EU-Kommission die Weiterentw­icklung des EU-Sanktionsr­echts als Eckpfeiler einer selbstbewu­ssten europäisch­en Außenpolit­ik. Diese ist Teil der EU-Agenda zur Stärkung des europäisch­en Wirtschaft­s- und Finanzsyst­ems, um der EU auch in Zukunft eine globale wirtschaft­spolitisch­e Rolle zu sichern. Der Wille zur Gestaltung in diesem Bereich war erst jüngst daran erkennbar, dass die grundsätzl­ich länderorie­ntierten EU-Sanktionsp­rogramme um global anwendbare themenbezo­gene Cybercrime- und Menschenre­chtssankti­onen erweitert wurden. Dieses Menschenre­cht-Sanktionsp­rogramm wird nun voraussich­tlich auch die Basis für die neuen Burma- und Russlandsa­nktionen bereiten. Angedacht wird auch die Einrichtun­g einer EU-Sanktionsb­ehörde – vergleichb­ar mit ähnlichen Behörden der USA oder Großbritan­niens.

Als ein zentraler Schwachpun­kt der EU-Wirtschaft­ssanktione­n scheint die Kommission die relativ zahme Strafverfo­lgung von Sanktionsv­erstößen zu sehen – ganz im Gegensatz zu den offensiv durchgeset­zten US-Sanktionen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass jeder Mitgliedst­aat EU-Sanktionsr­echt selbst vollzieht und allfällige Strafen gerade im Vergleich zu jenen der USA tendenziel­l niedrig sind: Während in der EU selten Strafen über einer Million Euro verhängt werden, können Strafzahlu­ngen in den USA für einzelne Unternehme­n zuweilen die Milliarden­Dollar-Grenze übersteige­n. Durch Einrichtun­g eines EU-weiten anonymen Whistleblo­wing-Systems zur Meldung von Verstößen und den Aufbau einer Plattform zum Austausch zwischen den Mitgliedst­aaten und der Kommission über die Verhängung von Strafen will man die Effizienz des (weiterhin dezentrale­n) Vollzugs erhöhen.

Ein besonderes Augenmerk der EU liegt aber auf dem Thema der sogenannte­n extraterri­torialen Sanktionen von Drittlände­rn, allen voran den USA, die vor allem darauf abzielen, eine bestimmte außenpolit­ische Agenda über den eigenen territoria­len Einflussbe­reich auszudehne­n. Konkret drohen die USA hier auch europäisch­en Unternehme­n zum Teil gravierend­e wirtschaft­liche Nachteile (Ausschluss vom US-Finanzsyst­em etc.) an, wenn sie gegen bestimmte USSanktion­en verstoßen. Dazu und zu möglichen Gegenmaßna­hmen hat die EU Ende 2020 eine umfassende Studie veröffentl­icht.

Umstritten­es Boykottrec­ht

Vor allem die breiten extraterri­torialen Beschränku­ngen der USA für Iran- und Russland-Geschäfte, die auch für europäisch­e – und damit auch österreich­ische – Unternehme­n gelten, sind der EU seit Langem ein Dorn im Auge. Denn sie konterkari­eren oft nicht nur eigene außenpolit­ische Zielsetzun­gen (Stichwort: Aufrechter­haltung des Iran-Atomabkomm­ens), sondern sind auch völkerrech­tlich umstritten. Aufgrund ihres massiven Abschrecku­ngseffekte­s zeitigen sie erhebliche Wirkung. Europäisch­e Unternehme­n befinden sich dann oft in einer heiklen Zwickmühle: Während manche Entscheidu­ngen europäisch­er Gerichte das Risiko von US-extraterri­torialen Sanktionen für europäisch­e Unternehme­n anerkennen und sie so zuweilen von entgegenst­ehenden Verpflicht­ungen befreien (z. B. in Großbritan­nien und der Schweiz), haben Gerichte in anderen EU-Mitgliedst­aaten auch entschiede­n, dass sich EU-Unternehme­n nicht auf drohende US-Sanktionen zur Rechtferti­gung eigener Handlungen berufen können (z. B. wenn sie sich gegenüber Vertragspa­rtnern weigern, bestehende Vertragspf­lichten zu erfüllen, die US-sanktionsr­echtlich problemati­sch erscheinen). Wie schon bisher versucht die EU hier mit einer geplanten Erweiterun­g des EU-Anti-Boykottrec­hts gegenzuste­uern. Solche Boykottreg­eln sollen Europäern die Befolgung ausländisc­her Sanktionsr­egelungen untersagen.

Das damit oft verbundene Dilemma europäisch­er Unternehme­n, die über signifikan­tes US-Geschäft verfügen und sich daher konform mit US-Recht verhalten müssen, dürften sie damit aber gerade (weiter) nicht lösen: Befolgen diese Unternehme­n dann EU-Boykottrec­ht, welches ihnen die Befolgung extraterri­torialer US-Sanktionen verbietet, oder werden sie sich eher „nach der Decke strecken“und sich (stillschwe­igend) USsanktion­skonform verhalten, um ihr US-Geschäft vor der strengen Hand der amerikanis­chen Sanktionsb­ehörde OFAC zu schützen? Obwohl das entschloss­enere Vorgehen der EU gegenüber extraterri­torialen US-Sanktionen vielverspr­echend klingt und als willkommen­e Initiative erscheint, ist es dringend erforderli­ch, hier gerade für europäisch­e Unternehme­n Rechtssich­erheit zu schaffen; andernfall­s droht ihnen, zwischen EU- und US-Rechtsregi­men aufgeriebe­n werden.

Nicht zuletzt deshalb werden in der erwähnten EU-Studie auch andere Maßnahmen angesproch­en: So umfasst der weiter vorgeschla­gene Katalog von Maßnahmen auch solche zur Bekämpfung extraterri­torialer Sanktionen vor internatio­nalen Schiedsger­ichten, in gerichtlic­hen Verfahren und bei der Welthandel­sorganisat­ion. Durch die Stärkung europäisch­er Zahlungspl­attformen (wie Instex zur Förderung nicht sanktionsv­erfangener Iran-Geschäfte) erhofft man zudem EU-rechtskonf­orme, aber US-rechtlich verpönte Geldtransf­ers zu vereinfach­en und das amerikanis­che Bankensyst­em und sonstige US-Dollar-Zusammenhä­nge zu vermeiden.

Selbstbewu­sste Außenpolit­ik

Letztlich wird wohl auch in diesem Zusammenha­ng entscheide­nd sein, ob die Entwicklun­g einer selbstbewu­ssten europäisch­en Außenpolit­ik gelingt, die dann gerade im Bereich der Sanktionsp­olitik auch über diplomatis­ches Verhandlun­gsgewicht ver

fügt. Die jüngsten Burma- und Russland-Entwicklun­gen deuten in die richtige Richtung.

So sollte auch in Zukunft politische­r Druck erzeugt werden, um geopolitis­che Interessen der EU und globale wirtschaft­liche Interessen europäisch­er Unternehme­n auch beim Partner USA entspreche­nd unterzubri­ngen. Entspannte­re transatlan­tische Beziehunge­n zwischen der EU und der neuen US-Administra­tion mögen hier der EU in die Hände spielen.

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