Zwischen US-und EU-Recht aufgerieben
Die EU will energischer auf extraterritoriale Sanktionen der USA reagieren. Europäische Unternehmen brauchen aber dringend Rechtssicherheit für ihr Handeln in beiden Rechtskreisen. – Ein Gastbeitrag.
In einer jüngst ergangenen Mitteilung bestärkt die EU-Kommission die Weiterentwicklung des EU-Sanktionsrechts als Eckpfeiler einer selbstbewussten europäischen Außenpolitik. Diese ist Teil der EU-Agenda zur Stärkung des europäischen Wirtschafts- und Finanzsystems, um der EU auch in Zukunft eine globale wirtschaftspolitische Rolle zu sichern. Der Wille zur Gestaltung in diesem Bereich war erst jüngst daran erkennbar, dass die grundsätzlich länderorientierten EU-Sanktionsprogramme um global anwendbare themenbezogene Cybercrime- und Menschenrechtssanktionen erweitert wurden. Dieses Menschenrecht-Sanktionsprogramm wird nun voraussichtlich auch die Basis für die neuen Burma- und Russlandsanktionen bereiten. Angedacht wird auch die Einrichtung einer EU-Sanktionsbehörde – vergleichbar mit ähnlichen Behörden der USA oder Großbritanniens.
Als ein zentraler Schwachpunkt der EU-Wirtschaftssanktionen scheint die Kommission die relativ zahme Strafverfolgung von Sanktionsverstößen zu sehen – ganz im Gegensatz zu den offensiv durchgesetzten US-Sanktionen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass jeder Mitgliedstaat EU-Sanktionsrecht selbst vollzieht und allfällige Strafen gerade im Vergleich zu jenen der USA tendenziell niedrig sind: Während in der EU selten Strafen über einer Million Euro verhängt werden, können Strafzahlungen in den USA für einzelne Unternehmen zuweilen die MilliardenDollar-Grenze übersteigen. Durch Einrichtung eines EU-weiten anonymen Whistleblowing-Systems zur Meldung von Verstößen und den Aufbau einer Plattform zum Austausch zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission über die Verhängung von Strafen will man die Effizienz des (weiterhin dezentralen) Vollzugs erhöhen.
Ein besonderes Augenmerk der EU liegt aber auf dem Thema der sogenannten extraterritorialen Sanktionen von Drittländern, allen voran den USA, die vor allem darauf abzielen, eine bestimmte außenpolitische Agenda über den eigenen territorialen Einflussbereich auszudehnen. Konkret drohen die USA hier auch europäischen Unternehmen zum Teil gravierende wirtschaftliche Nachteile (Ausschluss vom US-Finanzsystem etc.) an, wenn sie gegen bestimmte USSanktionen verstoßen. Dazu und zu möglichen Gegenmaßnahmen hat die EU Ende 2020 eine umfassende Studie veröffentlicht.
Umstrittenes Boykottrecht
Vor allem die breiten extraterritorialen Beschränkungen der USA für Iran- und Russland-Geschäfte, die auch für europäische – und damit auch österreichische – Unternehmen gelten, sind der EU seit Langem ein Dorn im Auge. Denn sie konterkarieren oft nicht nur eigene außenpolitische Zielsetzungen (Stichwort: Aufrechterhaltung des Iran-Atomabkommens), sondern sind auch völkerrechtlich umstritten. Aufgrund ihres massiven Abschreckungseffektes zeitigen sie erhebliche Wirkung. Europäische Unternehmen befinden sich dann oft in einer heiklen Zwickmühle: Während manche Entscheidungen europäischer Gerichte das Risiko von US-extraterritorialen Sanktionen für europäische Unternehmen anerkennen und sie so zuweilen von entgegenstehenden Verpflichtungen befreien (z. B. in Großbritannien und der Schweiz), haben Gerichte in anderen EU-Mitgliedstaaten auch entschieden, dass sich EU-Unternehmen nicht auf drohende US-Sanktionen zur Rechtfertigung eigener Handlungen berufen können (z. B. wenn sie sich gegenüber Vertragspartnern weigern, bestehende Vertragspflichten zu erfüllen, die US-sanktionsrechtlich problematisch erscheinen). Wie schon bisher versucht die EU hier mit einer geplanten Erweiterung des EU-Anti-Boykottrechts gegenzusteuern. Solche Boykottregeln sollen Europäern die Befolgung ausländischer Sanktionsregelungen untersagen.
Das damit oft verbundene Dilemma europäischer Unternehmen, die über signifikantes US-Geschäft verfügen und sich daher konform mit US-Recht verhalten müssen, dürften sie damit aber gerade (weiter) nicht lösen: Befolgen diese Unternehmen dann EU-Boykottrecht, welches ihnen die Befolgung extraterritorialer US-Sanktionen verbietet, oder werden sie sich eher „nach der Decke strecken“und sich (stillschweigend) USsanktionskonform verhalten, um ihr US-Geschäft vor der strengen Hand der amerikanischen Sanktionsbehörde OFAC zu schützen? Obwohl das entschlossenere Vorgehen der EU gegenüber extraterritorialen US-Sanktionen vielversprechend klingt und als willkommene Initiative erscheint, ist es dringend erforderlich, hier gerade für europäische Unternehmen Rechtssicherheit zu schaffen; andernfalls droht ihnen, zwischen EU- und US-Rechtsregimen aufgerieben werden.
Nicht zuletzt deshalb werden in der erwähnten EU-Studie auch andere Maßnahmen angesprochen: So umfasst der weiter vorgeschlagene Katalog von Maßnahmen auch solche zur Bekämpfung extraterritorialer Sanktionen vor internationalen Schiedsgerichten, in gerichtlichen Verfahren und bei der Welthandelsorganisation. Durch die Stärkung europäischer Zahlungsplattformen (wie Instex zur Förderung nicht sanktionsverfangener Iran-Geschäfte) erhofft man zudem EU-rechtskonforme, aber US-rechtlich verpönte Geldtransfers zu vereinfachen und das amerikanische Bankensystem und sonstige US-Dollar-Zusammenhänge zu vermeiden.
Selbstbewusste Außenpolitik
Letztlich wird wohl auch in diesem Zusammenhang entscheidend sein, ob die Entwicklung einer selbstbewussten europäischen Außenpolitik gelingt, die dann gerade im Bereich der Sanktionspolitik auch über diplomatisches Verhandlungsgewicht ver
fügt. Die jüngsten Burma- und Russland-Entwicklungen deuten in die richtige Richtung.
So sollte auch in Zukunft politischer Druck erzeugt werden, um geopolitische Interessen der EU und globale wirtschaftliche Interessen europäischer Unternehmen auch beim Partner USA entsprechend unterzubringen. Entspanntere transatlantische Beziehungen zwischen der EU und der neuen US-Administration mögen hier der EU in die Hände spielen.