Airbus: Europas WAffe gegen die US-Dominanz
Buy or sell. Bei der Gründung vor 52 Jahren wurde das Wagnis Airbus belächelt. Inzwischen hat Europas Flugzeugbauer den US-Konkurrenten Boeing weit überholt. Was macht ihn aus? Wie steht er da? Und was hält die Fachwelt von der Airbus-Aktie?
Wien. Das Wetter war am 28. Oktober 1972 alles andere als optimal, aber verschieben wollte das Event niemand. Schließlich ging es um viel, um sehr viel: Der Jungfernflug des ersten Airbus A300B in Toulouse markierte den Beginn einer beispiellosen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte, die in Europa nicht mehr wiederholt werden sollte. 8500 Kilometer weiter westlich, bei Boeing in Seattle an der Westküste der USA, verursachte das Ereignis in der südfranzösischen Provinzstadt damals zwar höchstens ein Lächeln. Das sollte den Amerikanern im Laufe der Zeit aber gründlich vergehen: Aus dem anfangs losen Firmenkonglomerat entstand ein Weltkonzern mit rund 70 Milliarden Euro Umsatz und 135.000 Mitarbeitern (Daten 2019), der das lang tobende Match um die Vormachtstellung als weltgrößter Zivilflugzeugbauer gegen den an mehreren Fronten kämpfenden USErzfeind 2018 für sich entschied.
„Geboren“wurde der europäische Konzern schon einige Jahre früher: Am 29. Mai 1969 unterzeichneten der französische Transport- und der deutsche Wirtschaftsminister ein Abkommen zum Bau eines kommerziellen Flugzeugs, das effizienter als die Produkte von Boeing sein und somit die Dominanz der Amerikaner brechen sollte. Das Projekt war hochriskant. Denn nur 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen die einstigen Feinde Deutschland, Frankreich und Großbritannien aus den deutschen Firmen MBB, Dornier und Fokker, der französischen Ae´rospatiale und einem Teil von British Aerospace die „Airbus Industrie“, 1971 kam die spanische Casa dazu.
Durchbruch und Revolution
Der A300 war ein Erfolg: Er war der erste Langstreckenjet mit nur zwei Triebwerken. In den 1980er-Jahren dann gelang mit dem A320 der Durchbruch: Das Mittelstreckenflugzeug ist noch immer der Verkaufsschlager der Europäer. 9700 Maschinen der 320-Familie wurden bisher ausgeliefert, 15.500 Bestellungen hat Airbus in den Büchern. Das Revolutionäre: Das Flugzeug wird nicht mehr mechanisch mittels Seilen gesteuert, die die Befehle an die Steuerklappen weitergeben, sondern elektronisch mit einer Art Joystick. Und von Anfang an stand die Idee der „Flugzeug-Familie“: Das heißt, es gibt ein Grundmodell (A320, A330, A340, A380) mit Varianten. Das hat den Vorteil, dass Piloten rasch umsteigen können, was Schulungskosten senkt, und es reduziert die Wartungskosten. Dem hatte Boeing vorerst nichts entgegenzusetzen.
Gewiss, es dauerte bis 1991, dass Airbus erstmals schwarze Zahlen schrieb. Das beflügelte dann im Wettbewerb mit Boeing. Dabei ging es nicht um die Rüstungssparte, die bei den Amerikanern mit 30 Prozent des Umsatzes weit wichtiger ist als bei Airbus. Es ging um die Langstrecke: Ein Konkurrent für den Jumbo, die Boeing 747, musste her. Der doppelstöckige A380, das größte je gebaute Passagierflugzeug, war geboren.
Der Flop
Dass das Prestige-Flugzeug, dessen Produktion mangels Nachfrage heuer ausläuft, den Konzern 2006/07 in eine Existenzkrise stürzen würde, konnte sich niemand vorstellen. Ein veritabler „Kabelsalat“führte zu schweren Lieferverzögerungen, die wiederum einen Umsatz- und Gewinneinbruch nach sich zogen. Das Management des seit dem Jahr 2000 als EADS firmierenden Konzerns mauerte. Die Aktie stürzte ab, zumal ein Insidergeschäft des Managements durchsickerte. Ein radikales Sparprogramm folgte. Rund 15 Milliarden Euro sollen Entwicklung und Verzögerungen beim A380 gekostet haben. Nicht viel weniger Geld setzten die Europäer mit dem Militärtransporter A400M in den Sand.
Glücklicherweise brummte das Geschäft mit den mittelgroßen Jets. An die 13.000 Flugzeuge hat der Konzern, der seit 2013 wieder Airbus heißt (mit der Umbenennung wurde auch das Rüstungs- und Raumfahrtgeschäft in eine eigene Gesellschaft abgespalten), bisher ausgeliefert. Der weitaus ältere Boeing-Konzern, der mit Airbus übrigens seit Jahren auch vor der Welthandelsorganisation WTO wegen Subventionen im Clinch liegt, kommt seit 1958 auf 23.600.
Bilanz 2020 im Vergleich
Wie sehr sich das Kräfteverhältnis verschoben hat, zeigt das Pandemie-Jahr: 2020 lieferte Airbus 566 Flugzeuge aus, während es bei Boeing nur 157 waren. Auch beim Ergebnis kam Airbus mit einem Verlust von 1,133 Milliarden Euro mit einem blauen Auge davon, denn 2019 war aufgrund einer Milliardenstrafe wegen Korruptionsvorwürfen sogar ein Verlust von 1,362 Mrd. Euro erlitten worden. In der Bilanz von Boeing hingegen steht für 2020 ein Minus von 11,9 Milliarden Dollar. Das bereinigte Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit), an dem Airbus seinen Erfolg misst, brach um drei Viertel auf 1,71 (2019: 6,95) Milliarden Euro ein. Der Umsatz um 29 Prozent auf 49,9 Milliarden Euro. Mit einer schnellen Erholung ist nicht zu rechnen. Airbus-Chef Guillaume Faury erwartet, dass der Markt für Verkehrsflugzeuge insgesamt erst 2023 bis 2025 auf das Vorkrisenniveau zurückkehren wird.
Der US-Konzern bekam schon 2019 die Katastrophe um das neue Modell 737 Max voll zu spüren. Nach zwei Abstürzen mit Hunderten Toten gab es ein weltweites Flugverbot für das Modell. Erst seit Kurzem dürfen die Maschinen nach einer gründlichen Überarbeitung wieder starten. Jetzt ist Boeing mit einem neuen Rückschlag konfrontiert, nachdem eine Boeing 777 Triebwerksteile verloren hat.
Die Aktie
Die Probleme haben sich deutlich im Aktienkurs niedergeschlagen: Die Boeing-Aktie legte von 2015 bis Anfang 2019 steil zu, erlitt aber infolge der 737 Max einen Rücksetzer. Vom großen coronabedingten Absturz im März 2020 hat sich das Papier bis heute nicht erholt. Im Jahresvergleich verlor es 40 Prozent, seit Oktober 2020 erholte sich der Kurs um rund 16 Prozent. Bei Airbus liegt das Minus im Jahresvergleich bei nur 20,1 Prozent. Die Aktie hat sich seit Oktober um gut 38 Prozent nach oben gekämpft und liegt wieder auf dem Niveau von vor drei Jahren. Darin spiegelt sich auch der neue Sparkurs.
Bei der Boeing-Aktie, die 216 Dollar kostet, sehen viele Analysten angesichts des Kursrückgangs einen guten Zeitpunkt zum Einstieg: Von den 29 Analysten, die Bloomberg erfasst, raten 14 zum Kauf, zehn zum Halten und fünf zum Ausstieg. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 230,04 Dollar.
Bei der Airbus-Aktie, die 97 Euro kostet, liegt das durchschnittliche Kursziele der 29 bei Bloomberg erfassten Analystenschätzungen bei 105,84 Euro. 21 Analysten raten zum Kauf, sieben zum Halten, einer zum Verkauf.