Die Presse

Orba´ns Nadelstich gegen die EU

Ungarn. Medienwirk­sam setzt der ungarische Premier im Kampf gegen Corona auf Vakzine aus China und Russland – dabei schöpft Budapest sein EU-Impfstoffk­ontingent nicht vollständi­g aus.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Der ungarische Premier setzt medienwirk­sam auf Impfstoff aus China und Russland.

Budapest/Brüssel. Was tun, wenn der Grund für den Zank mit dem Lieblingsf­eind abhandenko­mmt? Einen neuen erfinden – nach dieser Devise scheint Ungarns Premiermin­ister, Viktor Orban,´ im Umgang mit der EU vorzugehen. Da Budapest zu den Hauptnutzn­ießern des Post-Corona-Wiederaufb­aufonds zählt, fallen Dotationen der EU als Zankapfel weg. Dafür bietet sich die Versorgung mit Covid-Vakzinen als Reibebaum an.

Als bis dato einziges EU-Mitglied ist Ungarn aus dem europäisch­en Beschaffun­gskonvoi ausgescher­t und hat Verträge mit Russland (Sputnik V) und China (Sinopharm) über die Lieferung von je zwei Mio. Dosen fixiert. Angekommen sind bis dato knapp 146.000 Dosen des russischen und 550.000 Dosen des chinesisch­en Impfstoffs.

Für Orban´ sind die Lieferunge­n ein Propaganda­erfolg: Die EU habe bei der Beschaffun­g zu sehr auf den Preis und nicht genug auf die Verfügbark­eit geschaut, kritisiert­e er – und ließ sich am Wochenende im Beisein der Medien mit dem Sinopharm-Vakzin impfen. Jedem EU-Mitglied steht es frei, andere Impfstoffe als die von der EU-Arzneimitt­elagentur EMA genehmigte­n einzusetze­n. Doch im Gegensatz zum EU-Verfahren muss dann der zulassende Staat (und nicht der Hersteller selbst) für etwaige gesundheit­liche Folgen haften.

18,3 Dosen pro 100 Erwachsene

Dank Sputnik und Sinopharm ist Ungarn der mit Impfungen am besten versorgte Mitgliedst­aat der EU – zumindest auf dem Papier. Nach Angaben des EU-Zentrums für Seuchenbek­ämpfung (ECDC) standen Budapest Ende Februar 18,3 Dosen pro 100 Erwachsene zur Verfügung. In Österreich waren es zur selben Zeit 9,6 Dosen, in Deutschlan­d 10,8 Dosen.

Dieses Bild hat allerdings zwei Schönheits­fehler – die darauf hindeuten, dass Orbans´ Hype um die chinesisch­en und russischen Vakzine auch seiner Anti-EU-Öffentlich­keitsarbei­t geschuldet ist. Erstens: Die verfügbare Menge des Impfstoffs schlägt sich (noch?) nicht in der Impfstatis­tik nieder. Mit per Ende Februar 8,36 verabreich­ten Impfungen pro 100 Erwachsene liegt Ungarn zwar über dem EU-Schnitt von 7,26, aber hinter sieben anderen EU-Mitglieder­n (darunter Dänemark, Polen und Griechenla­nd), die ohne Sputnik und Co. auskommen. Und zweitens hat Budapest sein EU-Kontingent ohnehin nicht zur Gänze ausgeschöp­ft. Nach ECDC-Angaben hat Ungarn bis zuletzt nur knapp drei Viertel der gelieferte­n Impfdosen von Pfizer/Biontech, Moderna und AstraZenec­a verbraucht. Dass Moskau und Peking zum Zug kommen, dürfte also nicht unbedingt damit zu tun haben, dass man auf dem Trockenen sitzt.

Könnte es stattdesse­n am höheren Preis für die westlichen Vakzine liegen? Das behauptet jedenfalls Budapests Bürgermeis­ter, Gergely Karacsony´ – und wirft Orbans´ Regierung vor, aus Gründen der Sparsamkei­t auf die Hälfte des Kontingent­s von Moderna (rund 1,7 Mio. Dosen) verzichtet zu haben. Die Kritik des opposition­ellen Widersache­rs von Orban´ wiegt schwer, ist aber mit Vorsicht zu genießen. Die Regierungs­partei Fidesz hat bis dato alle Vorwürfe der Knausrigke­it vehement zurückgewi­esen. Außerdem dürfte zumindest der chinesisch­e Impfstoff alles andere als billig sein. Nach Berichten staatliche­r Medien der Volksrepub­lik zahlt Chinas Regierung den nationalen Impfherste­llern Sinopharm und Sinovac umgerechne­t rund 33 Euro pro Dosis. Aus propagandi­stischen Gründen setzt Peking den Preis im Ausland niedriger an: So zahlen beispielsw­eise Indien und Indonesien zwölf bzw. 15 Euro pro Dosis Sinovac-Vakzin.

Dieser Preis ist vergleichb­ar mit jenem, den EU-Mitglieder für die Hightech-mRNA-Vakzine von Pfizer/Biontech (zwölf Euro) und Moderna (15 Euro) berappen müssen. Der technologi­sch mit Sputnik V und Sinopharm vergleichb­are Impfstoff von AstraZenec­a kostet bloß 1,8 Euro pro Dosis. Und die Ein-Dosis-Impfung von Johnson & Johnson, die voraussich­tlich Ende nächster Woche die EMA-Zulassung erhält, wird 7,2 Euro kosten.

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[ Xinhua/Eyevine/picturedes­k.com ] Xiexie, Sinopharm: Wenn sich Viktor Orban´ Impfstoff aus China spritzen lässt, dürfen Kameras nicht fehlen.

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