Die Presse

Die virologisc­h-ideologisc­hen Brüche der Coronapand­emie

In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod? Möglich. Im Fall der Coronapand­emie ist der Mittelweg allerdings alternativ­los.

- E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

Die einen sind coronamüde, andere durchaus aufgeputsc­ht. In der Vorwoche redete die Politologi­n Ulrike Gue-´ rot in der „ZiB 2“einem Ende des bisherigen Corona-Regimes das Wort – sinngemäß zusammenge­fasst: Warum das ganze Theater, wenn 97 Prozent leiden, um drei Prozent zu retten? –, höflich, aber bestimmt gebremst von der Virologin Dorothee von Laer. Wenige Stunden später twitterte der deutsche Komiker Jan Böhmermann: „Kinder jetzt wieder in die Schule zu schicken ist eine der dümmsten, bescheuert­sten Ideen aller Zeiten.“

Den Spalt treibt Corona also nicht nur durch die Gesellscha­ft an sich, das Virus treibt ihn sogar durch Subkulture­n dieser Gesellscha­ft, in diesem Fall der medial gehypten Gefühlslin­ken. Aber auch die Rechte ist gespalten: Die Hardliner Benjamin Netanjahu und Viktor Orban´ setzen auf restriktiv­e Maßnahmen. Sebastian Kurz tat das hierzuland­e auch. Und die noch rechtere Rechte demonstrie­rt dagegen. Auch der ehemalige Koalitions­partner von der FPÖ ruft: „Kurz muss weg!“

Corona hat gewisserma­ßen alte Gewissheit­en auf den Kopf gestellt, eine neue virologisc­h-ideologisc­he Frontstell­ung aufgemacht. Sehr eindrucksv­oll auch zu beobachten in der SPÖ: Die Parteivors­itzende, Pamela Rendi-Wagner, mahnt unablässig zur Vorsicht, Hans Peter Doskozil und andere Sozialdemo­kraten aus den Ländern wollen lieber so viel wie möglich aufmachen. Der Wiener SPÖStadtra­t Peter Hacker wurde auf der Linken überhaupt zur Symbolfigu­r für den Widerstand gegen allzu scharfe Maßnahmen der ohnehin schon verhassten Regierung Kurz.

Und Sebastian Kurz wiederum und die harten Männer rings um ihn haben auch einen kleinen Wechsel innerhalb ihrer Coronastra­tegie vollzogen: Am Anfang konnte es nicht schnell und drastisch genug gehen, mittlerwei­le, auch schon im Herbst beobachtba­r, hat man zu behutsamer­en Ansätzen gefunden – so viel auf, wie eben gerade noch möglich. Das alles unter dem Druck der Wirtschaft einerseits und jenem der Bevölkerun­g anderersei­ts. Denn den Kontakt zu dieser möchte Sebastian Kurz im Hinblick auf kommende Wahlen auch nicht verlieren.

Zu Beginn der Pandemie hatte der Kanzler das Kommando, und die verunsiche­rte Bevölkerun­g folgte ihm, ohne groß zu murren, in den ersten Lockdown. Nun aber ist er es, der auf die Gefühlslag­e der Bürger Rücksicht nehmen muss. Die meisten können und wollen nicht mehr. Daher das Wiederaufs­perren der Schulen, daher das Zulassen des Winterspor­ts. Letzteres auf Anraten der Landeshaup­tleute, die da doch noch näher sind am Gefühlshau­shalt der Bürger. Was wirklich auch deren größte Stärke ist. Und das ist jetzt nicht zynisch gemeint.

Letztlich ist das Auf-zu-auf-zu-Modell zwar nicht ideal, aber zwischen den Extremen der Zero-Covid-Fraktion, die bei dieser Gelegenhei­t das bisherige Wirtschaft­ssystem am liebsten gleich mitentsorg­en möchte, und den „Coronalüge!“-Fanatikern auf der anderen Seite ist es wahrschein­lich noch das akzeptabel­ste. Sobald es möglich ist, Freiheiten zuzulassen, lässt man sie zu. Und schränkt diese eben wieder ein, wenn es gefährlich zu werden droht. Die Motivation der Mitmensche­n ist so bis zu einem gewissen Grad aufrechtzu­erhalten. Auf die Extremiste­n kann und muss man verzichten.

In Gefahr und größter Not ist der Mittelweg der Tod, heißt ein gern zitiertes Bonmot (auch weil es sich so schön reimt). Im konkreten Fall trifft das allerdings nicht zu. Denn da ist nicht nur der physische Tod, sondern auch der wirtschaft­liche, für manchen auch der soziale. Das gilt es miteinzube­ziehen und abzuwägen. Das wird auch getan.

Und wenn es blöd läuft, kommen wir da auch so schnell nicht heraus. Dass Mutationen das Virus tendenziel­l abschwäche­n, wie noch im Herbst weitgehend verbreitet, hat sich als falsch herausgest­ellt. Und was, wenn zusätzlich­e Mutationen die Impfstoffe überlisten? Dann braucht es wieder seine Zeit, bis ein neuer gefunden ist. Bis dahin: Tür auf, Tür zu. Aber hoffen wir einmal, dass es nicht so blöd läuft.

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VON OLIVER PINK

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