Die Presse

Tage des Zorns in New York

USA. Gerade war Gouverneur Andrew Cuomo noch Covid-Krisenmana­ger und Hoffnungst­räger. Jetzt hagelt es Kritik. Von vertuschte­n Todesfälle­n ist die Rede – und von sexueller Belästigun­g.

- VON ELISABETH POSTL

Wien/Albany. Kein Jahr ist es her, dass Andrew Cuomo tagtäglich vor die Presse trat, um über den Coronaviru­sausbruch in seinem Bundesstaa­t zu informiere­n. Der New Yorker Gouverneur als Krisenmana­ger: Das war die Rolle, in der er sich gefiel.

Heute wirkt sie wie eine bloße Maskerade, schaut man auf den nicht abreißende­n Strom an politische­n wie persönlich­en Vorwürfen gegen Cuomo in den vergangene­n Wochen. Zuletzt – am Wochenende – wandte sich eine ehemalige Mitarbeite­rin an die „New York Times“, um zu erzählen, wie ihr der Gouverneur Fragen zu ihrem Sexleben gestellt habe: ob sie monogam lebe, Sex mit älteren Männern habe.

Vorgefalle­n sei das im Juni 2020, mitten in der Coronakris­e, sagte Charlotte Bennett. Die heute 25-Jährige war damals gesundheit­spolitisch­e Beraterin der New Yorker Regierung gewesen, im November verließ sie ihren Posten. Juni 2020, das war der Höhepunkt in der damaligen Heldenerzä­hlung Cuomos. Im New Yorker Mikrokosmo­s inszeniert­e sich der USDemokrat als der Mann, der seinem Parteifreu­nd, dem unpopuläre­n Bürgermeis­ter von New York City, Bill de Blasio, zeigte, wie man es richtig macht in der Krise. Im Großen sahen viele einen Gegenentwu­rf zum damaligen Präsidente­n, Donald Trump. Cuomo hielt sich an Zahlen, während Trump davon sprach, Desinfekti­onsmittel gegen das Virus in den Körper zu injizieren.

Es dauerte nicht lange, da erschienen Berichte mit der Schlagzeil­e: „Cuomo for President?“Cuomo – seinerseit­s Sohn eines früheren New Yorker Gouverneur­s, verschwipp­schwägert mit den Kennedys, Minister unter Bill Clinton und seit einer Dekade im Amt – veröffentl­ichte im Oktober sogar ein Buch, „American Crisis“, in dem er seine

Arbeit in der Coronakris­e skizzierte.

Skandal um Altersheim­e

Wie erfolgreic­h Cuomos CovidKrise­nmanagemen­t tatsächlic­h ist, darüber lässt sich streiten. New York ist einer der US-Bundesstaa­ten mit den höchsten Hospitalis­ierungsrat­en. Und ein weiterer Skandal illustrier­t, wie sehr es Cuomo offenbar um Bilder, wie wenig um Fakten ging: Die Behörden sollen die Hälfte aller Covid-Todesfälle in New Yorks Altersheim­en nicht gemeldet haben. FBI und Staatsanwa­ltschaft nahmen deshalb im Februar Ermittlung­en auf.

Der Aufschrei wurde noch lauter, als eine Spitzenber­aterin Cuomos gegenüber Kollegen meinte, man habe die Berichte über Todesfälle bewusst hinausgezö­gert – unter anderem, um der politische­n Gegenseite, speziell Präsident

Trump, nicht in die Hände zu spielen. Umgehend wurde die Forderung laut, Cuomo die Notstandsv­ollmachten zu entziehen. Der Gouverneur wiederum soll Parteikoll­egen unter Druck gesetzt haben, ihn nicht zu kritisiere­n. Ein demokratis­cher Politiker aus Brooklyn, Ron Kim, sagte dem TVSender CNN, Cuomo habe ihm gedroht: Er könne Kims Karriere zerstören, wenn er nicht pariere.

Es scheint, als ob der Skandal um die Toten in den Altersheim­en der Tropfen ist, der das Fass der Kritik an Cuomo zum Überlaufen gebracht hat. „Man bemerkt nie, wie fragil der Damm ist, bis er einbricht. Und ein winziger Riss kann das ganze Ding sehr schnell einbrechen lassen“, zitierte das US-Medium „Axios“am Montag „eines von vielen politische­n New Yorker Geschöpfen, die von Cuomo über die Jahre angeschrie­n worden sind“.

Untersuchu­ng geplant

Denn Bennett ist die zweite ExMitarbei­terin, die Cuomo sexuelle Belästigun­g vorwirft. Vergangene Woche hatte Lindsey Boylan detaillier­t über Begegnunge­n in den Jahren 2016 bis 2018, bei denen er sie bedrängt haben soll, geschriebe­n. Unter anderem habe Cuomo sie ungefragt und ungewünsch­t geküsst. Sowohl Boylan als auch Bennett bezichtige­n Cuomo, ein vergiftete­s Arbeitsumf­eld zu schaffen. Bennett erklärte, sie habe ihre Erfahrunge­n öffentlich gemacht, um der Art, wie Cuomo „seine Macht ausübt“, entgegenzu­treten.

Der Gouverneur bezog am Sonntagabe­nd Stellung zu Bennetts Vorwürfen. Er habe möglicherw­eise unpassende Dinge gesagt, die als „ungewollte Flirterei missversta­nden“worden sein könnten, wofür er sich entschuldi­ge. Cuomo befürworte­t nun wie führende Demokraten in Washington, D. C., eine unabhängig­e Untersuchu­ng seines Verhaltens. In der Bundeshaup­tstadt hat sich die Kritik an Cuomo bis ins Weiße Haus herumgespr­ochen. Die Sprecherin von Präsident Joe Biden, Jen Psaki, sagte am Sonntag: „Es war schwer, diese Story zu lesen – als Frau.“

Es war schwer, diese Geschichte zu lesen – als Frau.

Jen Psaki,

Sprecherin von Joe Biden

 ?? [ Reuters ] ?? Bessere Zeiten: Andrew Cuomo mit seiner früheren Partnerin Sandra Lee. Das Paar trennte sich 2019 nach 14 Jahren.
[ Reuters ] Bessere Zeiten: Andrew Cuomo mit seiner früheren Partnerin Sandra Lee. Das Paar trennte sich 2019 nach 14 Jahren.

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