Peking behindert die Arbeit der Korrespondenten
China. Die Regierung nutzt die Pandemie als Vorwand, um die Auslandspresse mit Einreiseverboten auszudünnen. Sie versucht damit systematisch, ausländische Journalisten von kritischer Berichterstattung abzuhalten.
Peking. Spätnachts klopften die Sicherheitsbeamten an der Shanghaier Wohnung von Michael Smith, Korrespondent der „Australian Financial Review“, um ihn über seine Ausreisesperre zu informieren. Erst nach fünftägigen Verhandlungen, während der Smith in der australischen Botschaft in Peking Zuflucht suchte, durfte er das Land verlassen. „Dass die chinesischen Behörden uns mit einem Ausreiseverbot belegt haben, zeigt, dass die alten Präzedenzfälle nicht mehr gelten“, sagt Smith in seinem Heimatland: „Davor hatten wir angenommen, dass wir im schlimmsten Fall abgeschoben würden.“
Es ist ein Paradoxon: Einerseits ist das Interesse an China-Berichterstattung im vergangenen Jahr auf ein Allzeithoch gestiegen. Denn ganz gleich, ob der Lockdown in Wuhan, die Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang oder die Niederschlagung der Hongkonger Demokratiebewegung: Für eine differenzierte Einschätzung ist eine Präsenz vor Ort unabdingbar. Gleichzeitig jedoch wird die Arbeit in der Volksrepublik für die internationale Presse immer unmöglicher.
Wie systematisch die Regierung kritische Berichterstattung ausländischer Journalisten behindert, demonstriert der am Montag publizierte Jahresbericht des Korrespondentenklubs in China. Zum dritten Mal in Folge gab demnach kein einziges Mitglied an, dass sich die Arbeitsbedingungen in China verbessert hätten. Neu ist zudem, dass die Behörden epidemiologische Maßnahmen gegen die Pandemie gezielt gegen kritische Journalisten anwenden. So berichten Korrespondenten, dass sie mit Quarantäne-Androhungen, die für die restliche Bevölkerung nicht gelten, von Reportagereisen in „sensiblen“Regionen wie Xinjiang abgehalten werden.
Vor allem aber zählen ausländische Journalisten zur einzigen Bevölkerungsgruppe, für die China seine Landesgrenzen nach wie vor geschlossen hält. Trotz mehrwöchiger Quarantäne und negativer Coronatests dürfen Korrespondenten nicht in die Volksrepublik einreisen. Rund zwei Dutzend Journalisten stecken derzeit in ihren Herkunftsländern fest, in die sie oftmals wegen familiärer Notfälle gereist sind – ohne Hoffnung auf baldige Rückkehr nach China.
Stellen bleiben unbesetzt
Es ist davon auszugehen, dass in den kommenden Monaten Journalisten aufgeben oder aufgrund abgelaufener Verträge das Land verlassen werden. Da jedoch seit Pandemiebeginn keine Visa an westliche Journalisten vergeben worden sind, können die Stellen nicht nachbesetzt werden. Der Verdacht liegt nahe: Die Regierung will unter dem Vorwand des Virus die Reihen der Auslandspresse ausdünnen.
Zudem wurden 2020 so viele Journalisten aus China verwiesen wie zuletzt 1989 nach der blutigen Niederschlagung der Studentenbewegung auf dem Tian’anmen-Platz. Die Ausweisungen von allein 18 US-amerikanischen Korrespondenten („New York Times“, „Washington Post“, „Wall Street Journal“) erfolgten zwar keineswegs im luftleeren Raum, sondern wurden durch Visumbeschränkungen für chinesische Journalisten von Ex-Präsident Donald Trump provoziert. Doch für Peking war die Vorlage aus dem Weißen Haus willkommener Anlass, Vergeltung zu üben.
Einer der im März 2020 ausgewiesenen Journalisten, Steven Lee Myers von der „New York Times“, meint: „Ungeachtet dessen, was China nach außen hin sagt, dass es offen sei und der Welt eine lebendige Gesellschaft zeigen möchte, schränkt es die Berichterstattung über alles, was nicht ihrer Vision entspricht, ein.“Das werde auch in Zukunft nicht besser werden.