Die Presse

Expedition in die Geschichte

Schatzsuch­er, Erfinder und Pioniere: Richard Hemmer und Daniel Meßner erzählen sich jede Woche eine pointierte Episode aus der Geschichte.

- VON EVA WALISCH

Wie kam es, dass sich im Zweiten Weltkrieg ein Braunbär polnischen Soldaten anschloss? Wann wurde es üblich, auswärts essen zu gehen? Und wie war das noch mit der Ermordung des Moritz Schlick in der Wiener Universitä­t?

Antworten haben Richard Hemmer und Daniel Meßner. Die Historiker erzählen sich in ihrem Podcast „Geschichte­n aus der Geschichte“jede Woche gegenseiti­g historisch­e Geschehnis­se – seit knapp sechs Jahren. „Es hat als Hobbyproje­kt gestartet“, erzählt Hemmer. „Mittlerwei­le wird der Podcast 1,5 Millionen Mal pro Monat gestreamt und herunterge­laden.“

In jeder Folge übernimmt einer der beiden das Erzählen, der andere weiß selbst nicht, um was es in der Episode gehen wird. „Dieses Konzept ist zufällig entstanden, und es war ein Glücksgrif­f“, sagt Hemmer. „Einer übernimmt so die Rolle des Publikums und stellt Zwischenfr­agen, die wahrschein­lich auch viele, die zuhören, interessie­ren.“Ein bisschen wirkt es deshalb wie ein Gespräch unter Freunden, wenn man Hemmer und Meßner lauscht – ein sehr gut recherchie­rtes allerdings.

Zwei Bücher lesen sie im Schnitt zur Vorbereitu­ng auf eine Folge. „Meine Freizeit ist unser Podcast“, sagt Hemmer, Berater für historisch­e Filmund TV-Produktion­en. Das ursprüngli

che Konzept war auf 15- minütige Folgen ausgericht­et, mittlerwei­le sind sie 40 Minuten lang. „Wir haben schnell gemerkt, dass es mehr Zeit braucht, wenn wir Kontext mitgeben wollen. Außerdem ist es die durchschni­ttliche Dauer, die viele in die Arbeit fahren.“

Beliebt unter Laboranten

Auf dem Arbeitsweg werde der Podcast nämlich besonders gern gehört. „Außerdem schreiben uns interessan­terweise viele Laborantin­nen und Laboranten. Der Podcast ist anscheinen­d während eintönigen Arbeiten wie stundenlan­gem Pipettiere­n sehr gut.“

2015 entstanden die Pläne für „Geschichte­n aus der Geschichte“, als sich die Studienfre­unde im Cafe´ Weidinger trafen, um über Meßners Idee für einen Podcast zu sprechen. Meßner hatte zuvor einige Podcasts, unter anderem für die Uni Wien, gemacht. „Zwei Wochen später war die erste Folge draußen“, erzählt Hemmer. Die ersten 50 Folgen nahmen sie an Hemmers Küchentisc­h auf, dann zog Meßner nach Deutschlan­d. Nun nutzen sie ein spezielles Programm: „Man kann sich das vorstellen wie Skype, nur mit viel besserer Audioquali­tät.“

Die Ideen gehen den Historiker­n, die vor dem Podcast schon den Medien-Watchblog „Mediensche­lte“gegründet haben, auch nach sechs Jahren nicht aus. „Vor allem, wenn wir ein bisschen rauskommen aus diesem Eurozentri­stischen. Wir haben bei den Themen einen Überhang, was Europa und das 19. Jahrhunder­t angeht“, so Hemmer. „Aber wir versuchen auch immer mehr über andere Kontinente, Kulturen und Zeiten zu sprechen.“

Große Hilfe für die Ideenfindu­ng seien die zahlreiche­n Hörer, die Hem

mer und Meßner Hinweise per Mail schicken. Über welche Themen die Historiker sprechen, hat sonst oft mit ihrem akademisch­en Fokus zu tun: Meßner beschäftig­t sich mit der Neuzeit, vor allem dem 19. Jahrhunder­t.

Hemmers Spezialgeb­iet ist das frühe Mittelalte­r.

Besonders stolz ist er aber auf eine Folge, die sich dem Anfang des 20. Jahrhunder­ts widmet: „Darin geht es um Roger Casement, der die Gräueltate­n im Kongo aufgedeckt hat. Gleichzeit­ig war er in der irischen Unabhängig­keitsbeweg­ung involviert und homosexuel­l. Eine wahnsinnig spannende Geschichte“, so Hemmer.

Besonders beliebt seien Folgen, die sich mit Expedition­en befassen. „Vor allem jene über Expedition­en, die schiefgehe­n, wie die Franklin-Expedi

tion“, sagt Hemmer. „Solche Themen sind immer interessan­ter, als wenn alles reibungslo­s funktionie­rt.“

Einen kleinen Rückschlag gab es kürzlich auch für den Podcast, der ursprüngli­ch „Zeitsprung“hieß: Fünf Jahre nach der Gründung bekamen Hemmer und Meßner ein Schreiben, weil der Name bereits als Marke eingetrage­n war. „Es war schwierig, einen neuen Namen zu finden, weil seither so viele Podcasts dazugekomm­en sind.“So wurde es am Ende der Untertitel „Geschichte­n aus der Geschichte“.

Ein Ende für den Podcast ist übrigens nicht in Sicht, seit Kurzem gibt es dort auch Werbeeinsc­haltungen. „Es ist unser Plan, dass wir ihn über kurz oder lang als Vollzeitpr­ojekt machen“, sagt Hemmer. „Ich denke, das wäre möglich.“

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[ Clemens Fabry ] Richard Hemmer ist historisch­er Berater für Film-, TV- und Spieleprod­uktionen.

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