Die Presse

Hollywoods authentisc­he Queraufste­igerin

Porträt. Das eindrucksv­olle Vagabunden­drama „Nomadland“brachte der 38-jährigen Regisseuri­n Chlo´e Zhao zwei Golden Globes ein. Das ist mehr als Symbolpoli­tik.

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Was für ein Kontrast: Da fläzen die GlobeNomin­ierten vor ihren Webcams in edlen Wohnkuliss­en, aufgebreze­lt und fein rausgeputz­t wie für den verhindert­en roten Teppich, und wer gewinnt? Die junge Frau, die wirkt, als hätte sie sich versehentl­ich in diese Glamour-Konferenz verirrt. Leise lächelnd prostet Chloe´ Zhao dem Publikum mit grüner Tontasse zu. Ihr schlichtes T-Shirt betont eine zierliche Statur, schwarze Flechtzöpf­e hängen von den Schultern, im Hintergrun­d gähnt ein spärlich beleuchtet­es Durchschni­ttszimmer. Ein sanfter chinesisch­er Akzent ziert ihre Dankesrede­n, die auf „healing“und „compassion“pochen, ohne aufgesetzt zu wirken. Worum sich Hollywood oft vergeblich bemüht, strahlt die 38-jährige Filmemache­rin wie selbstvers­tändlich aus: Authentizi­tät.

Früher hätte man Zhao, deren Vagabunden­drama „Nomadland“nach seinem Sieg in Venedig nun auch bei den Globes reüssierte, wohl einen „Indie Darling“genannt: ein medienwirk­sames Aushängesc­hild des USIndepend­ent-Kinos, mit dessen Erfolgen sich auch die Mainstream-Industrie schmücken kann. Doch wo sich viele dieser vermeintli­chen Galionsfig­uren der Gegenkultu­r als Außenseite­r inszeniert­en, scheint die im Peking der 1980er aufgewachs­ene Zhao das Ideal der Queraufste­igerin tatsächlic­h zu verkörpern.

Debüt spielte in South Dakota

Ihr Vater war Manager eines chinesisch­en Stahlunter­nehmens, die Mutter arbeitete im Spital. Nach dem Besuch eines Londoner Internats, einer High School in Los Angeles und einem Studium der Politikwis­senschaft in Massachuse­tts inskribier­te Zhao an der Filmschule der New York University. Ihr Langfilmde­büt „Songs My Brothers Taught Me“(2015) zeigte ein Ureinwohne­r-Reservat in South Dakota. Schon dieser Kleinbudge­tEinstand imponierte mit einem Regiezugan­g, der sonst eher im europäisch­en Arthouse verankert ist: Zhao lebte sich monatelang in die Reservatsg­emeinschaf­t ein. Und besetzte vor allem Menschen, die sie dort kennenlern­te. Kunstferti­g verwendet „Songs“die natürliche Ausstrahlu­ng seiner Laiendarst­eller für Alltagserz­ählungen, die nie konstruier­t wirken.

„The Rider“(2017) ging noch weiter. Ein junger Rodeo-Fex, dem Zhao bei den

„Songs“-Dreharbeit­en begegnete, gibt eine Variante seiner selbst. Obwohl auch das „Rider“-Ensemble fast nur aus Laien besteht, wirkt der Film wie ein clever geskriptet­es, subtil gespieltes Melodram über die Realitätsg­renzen des amerikanis­chen Traums. Er krempelt geschickt individual­istische Cowboymyth­en um: Seine sensible Hauptfigur muss lernen, zu scheitern – und sich auf andere zu verlassen. Für spirituell­e Geborgenhe­it sorgen atemberaub­ende Panoramen des Mittleren Westens, den Zhao mit der staunenden Ehrfurcht eines Terrence Malick in Szene setzt.

Vielleicht ist es die Wurzellosi­gkeit der Vielgereis­ten, die sie befähigt, sich peripheren Existenzen anzunähern. Zhao macht großes Kino über kleine Leute. Das erntete die Aufmerksam­keit der Oscarpreis­trägerin Frances McDormand, selbst auf bodenständ­ige Figuren abonniert. In Zhaos Drittwerk „Nomadland“(2020) wagt sie sich unter Laien, spielt eine Landstreic­herin, die sich mit Saisonarbe­it für Amazon ein Stück Freiheit erschuftet. Ihre famose Performanc­e beweist, dass Zhaos poetischer Realismus auch mit Starschaus­pielern kompatibel ist.

„Nomadland“wurde vom Fox-Studio vertrieben, das seit 2019 Disney gehört. Für Konzerntoc­hter Marvel hat Zhao inzwischen einen Superhelde­nfilm gedreht: „Eternals“, mit Salma Hayek und Angelina Jolie, soll im November die Kinos kommen. Angesichts der wurstigen Normästhet­ik vieler MarvelFilm­e klingt das nach einem Widerspruc­h, zeugt aber vom Wandel der Imagestrat­egie der Majors. Sie mühen sich zusehends darum, ihre Großproduk­tionen mit künstleris­cher „Credibilit­y“aufzuwerte­n: Der Weg vom Festivaler­folg zum Blockbuste­r ist frei.

Zudem geht es um ausgestell­te Inklusion. Als Frau mit asiatische­n Wurzeln lässt Zhao das Herz jedes Diversität­skomitees höher schlagen. Nach den Globes fokussiert­en (soziale) Medien wenig überrasche­nd diesen Aspekt ihres Triumphs. Der kapitalism­uskritisch­e Inhalt von „Nomadland“blieb indes weitgehend unerwähnt – ähnlich wie in der US-Berichters­tattung zum Oscarsieg von „Parasite“. Vielleicht ist das gar nicht so schlimm: Wenn sich vor lauter Symbolpoli­tik niemand mehr für den tatsächlic­hen Gehalt von Filmen interessie­rt, können Künstlerin­nen wie Zhao ungestört ihre kreativen Visionen verfolgen. Und davon kann Hollywood nur profitiere­n.

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[ AFP ] Chloe´ Zhao hat inzwischen auch einen Marvel-Film abgedreht.

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