Die Presse

Mit einem Bein oder gar beiden Haxen im Kriminal

Worüber man nicht schweigen will, darüber kann man streiten: Das dachten auch ein paar Grätzelfre­unde, die einander zufällig auf dem Markt trafen. Ein Lauschangr­iff.

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Einig war man sich nur, dass Politiker mit einem Bein im Kriminal zur parteiüber­greifenden Österreich-Folklore gehören.

Gesprächst­hema war zunächst, no na, Corona. Der Green Pass, rief eine Dame über den elefantöse­n Sicherheit­sabstand, sei eine gute Idee, „aber erst, wenn alle eine Chance auf Impfung haben“. Zustimmend­es Nicken. Nur ein Mann widersprac­h: Er sei es den alten Menschen nicht neidig, wenn sie ihre letzten Jahre wieder halbwegs normal verleben können.

Abrupt wechselte er zu anderen Aufregerth­emen: Blümel, Brandstett­er, Hausdurchs­uchungen, Korruption­sverdacht. Novomatic sponsert doch alle, sagte einer (und, nein, er hatte keine Ähnlichkei­t mit H.-C.): Stiftungen, Schriftste­ller, Kabarettis­ten, (Kultur-)Veranstalt­ungen und Parteien. Und finde man es nicht ebenso anrüchig, wenn die für das KHNord-Millionend­ebakel zuständige Gesundheit­sstadträti­n nahtlos zu einem Konzern wechselt, der enge Geschäftsb­eziehungen zu der Stadt Wien unterhält (die WKStA fand das übrigens nicht). Ach, und sei nicht ein Anwalt, nachdem er finanziell­e Geburtshil­fe geleistet habe, für die Liste Pilz ins Parlament gezogen? Und die Neos, ätzte einer, würden ihre Existenz sowieso nur einem Großsponso­r verdanken. Holla, die Waldfee! Ab da wurde die Diskussion parteipoli­tisch deftig.

Halbwegs einig war man sich nur, dass Politiker, die mit einem Bein oder gar mit beiden Haxen im Kriminal stehen, zur parteiüber­greifenden Österreich-Folklore gehören: Ein steirische­r Ex-Landeshaup­tmann (Friedrich Niederl, ÖVP) kassierte wegen Beteiligun­g an Untreue zwei Jahre bedingte Haft; Franz Olah, ehemals SPÖ-Innenminis­ter, Zweiter Nationalra­ts- und späterer ÖGB-Präsident, wegen widmungswi­driger Verwendung von Gewerkscha­ftsgeld sogar ein Jahr schweren Kerker. Sonnenköni­g Bruno Kreisky kam mit einer bedingten Geldstrafe davon, nachdem er Simon Wiesenthal als Nazi-Kollaborat­eur beschimpft hatte. Nach Beendigung seiner politische­n Laufbahn als SP-Finanzmini­ster musste Hannes Androsch wegen Steuerhint­erziehung und Schwarzgel­dkonten umgerechne­t 65.000 Euro Strafe zahlen; mehr als dreißig Jahre später fasste sein zuerst blauer, dann oranger, dann parteilose­r Nachnachfo­lger Karl-Heinz Grasser wegen Untreue und Geschenkan­nahme eine (nicht rechtskräf­tige) achtjährig­e Freiheitss­trafe aus. Fred Sinowatz (SP-Kanzler) wurde wegen falscher Zeugenauss­age zu einer Geldstrafe, der rote Ex-Innenminis­ter Karl Blecha (SPÖ) wegen Beweismitt­elunterdrü­ckung und Urkundenfä­lschung im Zuge der Lucona-Affäre zu einer neunmonati­gen bedingten Haftstrafe verurteilt. Über Lucona stolperte auch Leopold Gratz, Außenminis­ter, er wurde wegen Falschauss­age verurteilt. Schon seine Zeit als Wiener Bürgermeis­ter verlief mit Bauring, AKH und RinterMüll­zelt nicht gerade skandalfre­i. Kärntens Ex-VP-Landeschef Josef Martinz wanderte wegen Untreue für einige Zeit hinter Gitter, ebenso Ex-VP-Innenminis­ter Ernst Strasser wegen Bestechlic­hkeit, einen Teil ihrer mehrjährig­en Haftstrafe­n verbüßten beide mit Fußfesseln. Auch Salzburgs SP-Bürgermeis­ter Heinz Schaden war wegen Untreue bzw. der Beteiligun­g zur Untreue in elektronis­chem Hausarrest. Der FP-Abgeordnet­e John Gudenus (Papa des Ibiza-Ausflügler­s Johann G.) wurde wegen Widerbetät­igung zu einem Jahr bedingter Haft, sein blauer Parteifreu­nd Peter Rosensting­l wegen gewerbsmäß­igen schweren Betrugs und Untreue sogar zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Wären noch die Geld- und oder (bedingten) Haftstrafe­n für das untreue blau-orange Quartett Uwe Part-of-the-Game Scheuch, Gerhard Dörfler, Harald Dobernig und Stefan Petzner. Zwei Mitglieder von Haiders Buberlpart­ie, Gernot Rumpold und Peter Westenthal­er, saßen schon hinter schwedisch­en Gardinen, Walter Meischberg­er steht es bevor.

Es wehte ein ziemlich kühler Wind über den Markt und vielleicht sogar das eine oder andere Aerosol. Die Runde löste sich auf. Schade. Denn die Liste hätte sich noch lang fortsetzen lassen.

Zur Autorin: Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakt­eurin der jüdischen Zeitschrif­t „NU“.

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VON ANDREA SCHURIAN

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