Schummeln: „Mich stört der Generalverdacht“
Studierende. ÖH-Chefin Sabine Hanger über Lehre mit dem Overheadprojektor, vergessene Studenten und Corona als Gefahr für die Legitimation der ÖH.
Die Presse: Die Unis sind seit knapp einem Jahr im Lockdown, Eintrittstests sollen nach Ostern eine schrittweise Rückkehr in die Hörsäle ermöglichen: Ist das zu spät? Sabine Hanger: Wir hätten uns gewünscht, dass wir Anfang Februar wissen, ob Tests an den Hochschulen kommen und wie die aussehen. Dann hätten wir mehr Planungssicherheit gehabt. Generell sind wir aber froh, dass unsere Forderung nach Eintrittstests gehört wurde und die Studierenden bald wieder an die Hochschulen dürfen – vor allem für die Nutzung der Infrastruktur.
Wie stehen Sie zu einer Testpflicht, um gewisse Lehrveranstaltungen zu besuchen? Es muss immer Alternativen für Studierende geben, die sich nicht testen lassen wollen oder die sich schlichtweg mit Tests unwohl fühlen – ähnlich, wie wir es an den Schulen haben. Obwohl die Bereitschaft der Studierenden zum Testen sicher sehr hoch ist.
Ist während Corona insgesamt auf die Studenten ein bisschen vergessen worden? Das ist zumindest der Eindruck, der vermittelt wurde. Einerseits wird sehr viel über die Schulen gesprochen, andererseits hat man die Thematik wohl auch ein bisschen zu den autonomen Hochschulen verschoben. Insgesamt haben viele Studierende das Gefühl gehabt, man vergisst sie ein bisschen.
Dafür war die ÖH relativ zurückhaltend. Da muss ich widersprechen. Wir hatten noch selten so eine laute Stimme, wir sind nur nicht immer durchgekommen. Wir sind aber auch selbst oft zum Krisenmanager geworden. Von lokaler Ebene bis zum Bund: Wir haben weit über eine Million Euro an Förderungen für Studierende ausgeschüttet.
Die Prüfungsaktivität der Studierenden ist während Corona teils sogar gestiegen. Hat das gestrichene Sozialleben Vorteile?
Die Prüfungsaktivität ist zu einem gewissen Grad gestiegen – aber auch die psychischen Probleme der Studierenden. Insgesamt ist die Situation belastend – aber das digitalisierte Studium ist auch flexibler und manche genießen das auch, etwa Erwerbstätige, die am Abend Vorlesungen streamen.
Welche Note geben Sie dem Onlinelernen? Für mein Fach – Jus an der Uni Wien – würde ich ein Befriedigend geben: Man spürt eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr, aber wir waren zu spät dran. Während an manchen Fachhochschulen immer schon hybrides Lernen betrieben wurde, hat man bei uns vor anderthalb Jahren noch mit dem Overheadprojektor unterrichtet.
Wie viel Aufholbedarf gibt es jetzt noch? Immer noch sehr viel. Die Zufriedenheit der Studierenden ist deutlich gestiegen, aber noch immer sind rund 35 Prozent mit dem Onlinelernen nicht zufrieden, und da muss man schauen, woran das liegt.
Was spricht dagegen, dass gewisse Vorlesungen überhaupt digital bleiben?
Gar nichts. Ich sehe auch echte Chancen. Viele Diskussionen, die wir früher geführt haben, gibt es jetzt nicht mehr, etwa die Urheberrechtsdebatte beim Streaming. Auch die Angst, dass dann gar kein Campusleben mehr stattfindet, bewahrheitet sich nicht: Total viele Studierende wollen auf der Uni sein, aber – wenn es möglich ist – auch Vorlesungen online streamen und flexibler sein.
Ein großer Punkt sind Onlineprüfungen: Haben sich die bewährt?
Das hängt vom Prüfungsformat ab. Mündliche Prüfungen laufen ganz okay ab, für manche Prüfungen gibt es jetzt weniger Zeit, aber man darf die Unterlagen nutzen, andere wurden durch Hausarbeiten ersetzt. Was man aber gemerkt hat: Es ist uns gegenüber so ein Generalverdacht da, dass wir auf jeden Fall schummeln werden.
Können Sie ausschließen, dass bei Onlineprüfungen mehr geschummelt wird? Ausschließen kann ich es nicht. Aber es ist jetzt auch nicht die Zeit, sich darauf zu konzentrieren. Wenn man die Energie nicht in Schummelprävention investieren würde, sondern in die innovative Gestaltung von digitalen Lehrveranstaltungen und Prüfungen, bei denen die Studierenden etwas mitnehmen, könnte man sich die Debatte sparen.
Das klingt fast so, als wäre es egal, ob die Studenten jetzt schummeln.
Schummeln ist nie gut, das braucht man nicht schönzureden. Aber in einer Pandemie ist der Zusammenhalt wichtiger denn je. Und mich stört dieser Generalverdacht.
Die Unis waren die ersten, die zusperren mussten – befürchten Sie, dass sie die letzten sind, die wieder regulär aufsperren?
Ja, definitiv. Die Hochschulen stehen nach wie vor nicht an erster Stelle. Wir hatten großes Verständnis dafür, dass wir als erste zusperren mussten. Aber wir wollen nicht als letzte in die Lehrveranstaltungen zurückkehren, wenn es andere Möglichkeiten gibt.
Anderes Thema: Im Mai steht wieder die HochschülerInnenschaftswahl an. Haben Sie Angst, dass die Wahlbeteiligung in Zeiten von Onlinelernen den Keller rasselt? Wir haben immer Angst, dass die Wahlbeteiligung sinkt. Und das wird uns durch die Situation natürlich nicht genommen, ganz im Gegenteil. Wir können nur unser Bestmögliches tun und hoffen, dass den Studierenden gerade jetzt die Bedeutung einer Interessensvertretung bewusst ist.
2019 hat jeder vierte Studierende gewählt. Hat die ÖH endgültig ein Legitimationsproblem, wenn es noch weniger werden? Sie hat definitiv ein Legitimationsproblem, wenn die Wahlbeteiligung sinkt.
Was wäre die Untergrenze?
Ich hoffe, wir kommen nicht unter 20 Prozent. Aber wir befinden uns mitten in einer Pandemie, da müssen andere Maßstäbe gesetzt werden als bei anderen ÖH-Wahlen.
Gehen Sie als Spitzenkandidatin für die Aktionsgemeinschaft in die Wahl?
Ich bin definitiv gekommen, um zu bleiben.