Zu Hause, wo die Vögel sind
Der Grazer Ornithologe Leander Khil möchte anderen die Natur näherbringen – mit seinem neuesten „Handbuch Vögel beobachten“.
ährend andere Kinder Bausteine übereinanderstapelten, Häuser aus Legosteinen bauten oder Puppen bekleideten, nahm er lieber den Garten des Kindergartens naturkundlich unter die Lupe. Er werkelte an Nistkästen, beobachtete fremden Besuch im Vogelhaus oder bewunderte die blauen Eier im Amselnest. Ein Glück, dass er seinen Kindheitstraum, Naturforscher zu werden, umsetzen konnte, erzählt Ornithologe Leander Khil.
Denn die Vogelwelt fasziniert ihn bis heute: „An jedem Tag, an dem ich mich in irgendeiner Art den Vögeln widme, passiert etwas Spannendes, das mich beschäftigt, worüber ich nachdenke oder wo ich dazulerne.“Erfahrungen, die er an seinem Arbeitsplatz im Nationalpark Neusiedler SeeSeewinkel macht, in seiner Heimatstadt Graz oder an anderen Orten auf der Welt: „Ich bin dort zu Hause, wo die Vögel sind.“Auf Reisen nach Afrika in den Wintermonaten könnte er auf Vögelg treffen, die er im Sommer davor in Österreich gesehen hat. Machen sich diese zum Beispiel früher als gewöhnlich wieder auf den Weg nach Mitteleuropa, sage das viel aus: „Vögel reagieren auf Umweltveränderungen, sie zeigen uns sehr schnell an, wenn sich das Klima oder das Wetter ändern.“
Handwerkszeug für Beobachter
Beobachtungen zum Vogelzug, dem Leben und Verhalten der Vögel, Wissen über die verschiedenen Arten und die Natur generell möchte er auch anderen näherbringen. In Vorträgen und Führungen, über Dokumentarfilme oder Bücher. In seinem neuesten geht es um das Phänomen des Vogelbeobachtens, auch bekannt als „Birdwatching“. Es soll kein weiteres Bestimmungsbuch sein, sondern vielmehr die Grundlage und das Handwerkszeug für die Vogelbeobachtung bieten. Aus seiner Arbeit als Bird-Guide weiß er, wo die Schwierigkeiten zu Beginn liegen und welche Fragen oft auftauchen. Etwa, zu welcher Jahres- und Tageszeit man die meisten Vögel sieht. Wo man über
haupt nach Vögeln suchen soll. Welche Ausrüstung man benötigt und wie man sich als Vogelbeobachter verhält.
Viel brauche es nicht, um neue und bekannte Vogelarten zu sichten, nimmt Khil vorweg: „Augen und Ohren. Dann einfach einmal schauen und hören, sich mitreißen lassen von der Welt der Vögel.“Wer aber nicht nur in die Natur horchen will und mehr als einen hüpfenden Punkt im Laub erkennen möchte, greift zu Fernglas und Nachschlagewerk oder einer anderen Ressource für die Artenbestimmung, etwa einer App am Handy. Bei einer Runde entlang des Lieblingssees schaut man sich an, welche Vögel man in den verschiedenen Lebensräumen findet. Was schwimmt auf dem Wasser, was fliegt über die Wasseroberfläche, was ist im Schilf unterwegs? Wer singt aus den Büschen und wer kreist hoch am Himmel? Natürlich muss dies nicht an einem Gewässer geschehen: „Einfach an einem nahegelegenen artenreichen Lebensraum, in einem Park, in einem Wald, auf einem Berg oder im eigenen Garten. Überall kann man Vögel beobachten.“Freilich auch in einer Stadt wie Wien. „Gerade in Wien mit seinen vielen Grünflächen kommen immer wieder seltene Vögel vorbei“, so der Biologe. Diese lassen Vogelkundler aus ganz Österreich herbeieilen.
Sehnsucht nach der Natur
Erfahrene Birdwatcher haben dann einen „Patch“, ein Beobachtungsgebiet, in dem sie regelmäßig Vögel beobachten. In seinem eigenen finde er jedes Mal eine neue Lage vor, so Khil: „Weil Vögel Flügel haben und sich viel bewegen, weil sie ziehen, sieht man jedes Mal etwas Neues.“Dies mache die ganze Sache auch so spannend: „Weil man durch dieses ständige Beobachten den Lauf der Natur und die Veränderungen in ihr wahrnimmt.“
In Zeiten wie diesen hätten Menschen vielleicht auch deshalb das Birdwatching für sich entdeckt. „Weil sie den Kontakt zur Natur nicht verlieren wollen.“Schließlich sei gerade dieser so wichtig: „Nur wenn wir die Natur beobachten, unsere Sinne offen halten, sie schärfen für Veränderungen, nur dann können wir erkennen, wenn das da draußen alles weniger, sagen wir, ausgedünnt wird“, betont er. „Weil wenn uns das egal ist, wenn wir abstumpfen hinsichtlich Naturveränderungen oder Biodiversitätsverlusten, dann gibt es bald keine intakte Natur mehr, und wir haben nicht einmal versucht, etwas dagegen zu tun.“
Außerdem hätten Interessierte während der vergangenen Monate erstmals die Zeit gehabt, hinauszugehen und innezuhalten. So kann er sich den Trend erklären, der zuletzt um das Vogelbeobachten entstanden ist.
Gerade die Zeit während des ersten Lockdowns hat sich dafür als die beste Gelegenheit dargestellt. Der Vogelzug war im Gang, zahlreiche Arten haben sich gezeigt, sind im Garten herumgeflogen, haben gesungen. Es war Frühling – „der Höhepunkt für die Vogelbeobachtung“. Und dieser steht nun bekanntlich wieder vor der Tür.