„Nächstes Mal gehen wir bis zum Ende“
Interview. Kataloniens Sezessionisten-Chef Carles Puigdemont aus dem belgischen Exil über seine wackelige Immunität als EU-Parlamentarier, Vorbehalte gegenüber einem Dialog mit Madrid – und darüber, welche Fehler er nicht wiederholen will.
Kataloniens Sezessionisten-Chef, Carles Puigdemont, spricht aus dem Exil mit der „Presse“: Welche Fehler er nicht wiederholen würde.
Die Presse: Seit mehr als drei Jahren leben Sie auf der Flucht. Wie geht es Ihnen dabei?
Carles Puigdemont: Persönlich ist es schwierig, getrennt von meiner Familie, meiner Heimatstadt zu sein. Aber das ist unwichtig. Ich bin dankbar, hier in Belgien weiter für Demokratie und Selbstbestimmungsrecht kämpfen zu dürfen.
Ihr Ex-Vizepräsident, Oriol Junqueras, und viele andere Kollegen von Ihnen sind im Gefängnis. „Ich verstecke mich nicht“, kritisierte Junqueras Sie. Warum stellen Sie sich nicht der Justiz?
Wäre ich jetzt in Spanien, könnten wir dieses Interview nicht führen. Ebenso wenig hätten wir die Erfolge der vergangenen Jahre erzielen können. Und man sollte nicht Justiz mit spanischer Justiz verwechseln. Die Chance auf einen fairen Prozess haben wir dort nicht, die haben wir in Belgien, in Deutschland. Ich zumindest habe ein Land für das Exil ausgesucht, das ein Auslieferungsabkommen mit Spanien hat. Anders als Spaniens König, der in die Emirate flüchtete.
Welche Siege meinen Sie? Die Autonomie wurde ausgesetzt, aus Europa kam nie Unterstützung, Kataloniens Image ist beschädigt, die Katalanen sind gespalten.
Es ist nun auch international klar, dass es ein politisches Problem gibt, das Spanien leugnet. Das Image hat Spanien zerstört, nicht wir: Die haben ein Problem mit ihrer Justiz und sperren jetzt einen Sänger weg (Rapper Pablo Hasel,´ Anm.), weil sich seine Texte gegen den König richten. Natürlich wächst der Frust. Wir lehnen jedenfalls jegliche Gewalt ab, weiterhin. Und: Separatisten waren bei der Wahl in Katalonien am 14. Februar so erfolgreich wie nie zuvor. Sie erhielten 52 Prozent und 74 Sitze, das ist eine klare Botschaft.
Dafür war die Wahlbeteiligung niedrig, Ihre Partei ist nicht mehr stärkste Kraft, im Separatistenlager wachsen die Spannungen. Und der Sezessionismus stärkt die rechte Vox, die mit Kampfparolen dagegen punktet. Trotz Pandemie sind die Menschen wählen gegangen, mehr als in anderen Regionen. Das zeigt, wie demokratisch Katalanen sind. Ich sehe keine Spaltungen und Polarisierung, es gibt Differenzen, das ist so in Demokratien. Was Vox anbelangt: Das ist wieder typische spanische Propaganda – Katalanen sind einfach an allem schuld. Das ist doch absurd. Wir sind antifaschistisch. Im Pro-Spanien-Lager wächst der Faschismus. Auch deshalb wollen wir uns trennen.
Am Montag werden die EU-Parlamentarier vermutlich Ihre Immunität sowie jene von zwei weiteren katalanischen Politikern aufheben. Was ist dann Ihr Plan? Ich bleibe in Belgien. Über die Auslieferung an Spanien muss die belgische Justiz entscheiden. Aber sollte die Immunität aufgehoben werden, werden wir beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg klagen. Denn das Verfahren war voller Unregelmäßigkeiten: Bei politischer Verfolgung darf die Immunität nicht aufgehoben werden. Der Vorsitzende des zuständigen Rechtsausschusses ist von der prospanischen Partei Ciudadanos, die sich gegen unseren Eintritt ins EUParlament starkgemacht hatte. Unsere drei Fälle wurden – trotz unterschiedlicher Vorwürfe – in einen Topf geworfen. Und der Berichterstatter ist ein bulgarischer Ultra-Faschist, ein Freund von Vox. Hier geht es nicht um mich, sondern um die Glaubwürdigkeit des EU-Parlaments.
Sie gaben sich stets als EU-Befürworter, sind Sie enttäuscht?
Wir haben nie erwartet, dass die Unabhängigkeit Kataloniens anerkannt wird. Wir wissen ja, was die EU ist: ein Klub der Staaten. Wir sind enttäuscht darüber, wie wir als europäische Staatsbürger behandelt werden. Wir sagen ja nicht, dass man unsere Ideen vertreten, sondern dass man unsere Rechte schützen soll.
Ihr möglicher Koalitionspartner, die Partei Esquerra von Oriol
Junqueras, will mit Madrid über Kataloniens Zukunft reden, Ihre Partei ist skeptisch. Warum?
Wir haben dieselbe Priorität: Eine Einigung mit Madrid über ein Unabhängigkeitsreferendum. Das wünscht sich auch die Mehrheit der Katalanen, egal, ob sie für oder gegen die Trennung von Spanien sind. Wir wollen jetzt aber richtige, lösungsorientierte Verhandlungen. Denn bisher kam kein einziger Vorschlag aus Spanien für Katalonien. Die Frage, die wir jetzt in Koalitionsverhandlungen mit Esquerra klären wollen, ist: Was passiert beim nächsten Nein aus Madrid? Gehen wir dann alle heim und vergessen die Unabhängigkeit? Das ist für uns keine Option. Und klar ist auch: Die katalanischen Bürger müssen entscheiden, wie das künftige Verhältnis zu Spanien aussehen soll.
Gibt es für Sie noch eine Alternative zur Unabhängigkeit – etwa eine Steuerautonomie? Keine spanische Partei (außer Podemos) wird einem Referendum in dieser Form zustimmen, das sieht die Verfassung nicht vor.
So oft haben wir in den vergangenen Jahrzehnten nach einer Steuerhoheit gefragt, und nichts ist geschehen. Nicht einmal nach drei Jahren Unterdrückung kommt so ein Vorschlag. Und im spanischen Parlament gäbe es ohnehin keine Mehrheit für die Fiskalautonomie Kataloniens. Wir können Spanien einfach nicht trauen. Deshalb pochen wir auch auf unabhängige Mediatoren, vielleicht eine internationale Organisation.
Madrid sieht keinen Grund für eine internationale Mediation, denn die Katalonien-Krise sei eine rein interne Angelegenheit. Aber die Regierung griff auf internationale Mediatoren zurück, um mit ETA-Terroristen zu verhandeln. Warum haben wir nicht dieselben Rechte? Weil wir keine Bomben legen, sondern nur Wahlurnen in den Straßen aufstellen?
Bereuen Sie eine Ihrer Entscheidung der vergangenen Jahre? Dass ich Madrid vertraute, dass ich am 10. Oktober 2017 (vor dem Regionalparlament, als Puigdemonts Unabhängigkeitserklärung erwartet wurde, Anm.) den Prozess aussetzte, um Gespräche zu ermöglichen. Denn aus Madrid hatte man mir versichert: „Wir haben die Botschaft verstanden. Setzen Sie keine irreversiblen Schritte, es ist Zeit für den Dialog.“Das war eine Lüge (Spaniens Regierung setzte die Regionalregierung ab und verklagte Separatisten, Anm.). Ich hätte damals die Unabhängigkeit sofort in die Wege leiten, die Unabhängigkeitserklärung des Parlaments sofort umsetzen sollen. Das war ein Fehler und eine wichtige Lektion: Nächstes Mal gehen wird bis zum Ende und nehmen alle möglichen Folgen in Kauf. An spanische Versprechen glauben wir nicht mehr.