Die Presse

Vorsichtig­es Lob und harsche Kritik an Israel-Reise von Kurz

Impfstoffe. Bei einem Wien-Besuch zeigte Binnenmark­t-Kommissar Breton Verständni­s für die Kooperatio­n mit Israel. Paris und Berlin zürnen.

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Wien. Als Ausscheren vom gemeinsame­n europäisch­en Weg will Thierry Breton die eintägige IsraelReis­e von Sebastian Kurz nicht verstanden wissen. „Ich habe absolut keine Angst, dass dies gegen irgendjema­nden gerichtet ist – es geht nur darum, die globale Zusammenar­beit zu verbessern“, zeigte sich der Franzose versöhnlic­h. Just am Tag nach der Reise des Kanzlers zum „Impfweltme­ister“Israel besuchte der Binnenmark­tkommissar Wien, um sich mit Kurz in puncto Beschaffun­g und Produktion der begehrten Coronavakz­ine auszutausc­hen. Breton selbst leitet eine im Februar neu gegründete EU-Taskforce zur Impfstoffp­roduktion. Im Gespräch mit Kurz ging es deshalb auch um die Frage, wie Impfstrate­gie und Produktion­skapazität­en in der EU verstärkt werden können – und welche Rolle Österreich dabei spielen kann (siehe auch Seite 21).

Tags zuvor hatte Kurz bei einem gemeinsame­n Treffen mit der dänischen Ministerpr­äsidentin Mette Frederikse­n beim israelisch­en Premier, Benjamin Netanjahu, eine enge Kooperatio­n der drei Länder in puncto Forschung und Produktion von Impfstoffe­n vereinbart. Paris zeigte sich offen irritiert, und auch in Berlin und Brüssel regt sich Groll über die PRwirksame Reise des Kanzlers. „Ich bin ziemlich verärgert über meinen EVP-Freund Kurz“, zürnte der Gesundheit­ssprecher der Europäisch­en Volksparte­i im Europaparl­ament, Peter Liese, laut der Zeitung „Die Welt“. Kurz habe im vergangene­n Herbst die Chance gehabt, den Kurs der EU in der Coronakris­e maßgeblich mitzugesta­lten, so Liese weiter. Zudem habe Österreich mit Clemens Martin Auer (er ist Sonderbeau­ftragter im Gesundheit­sministeri­um) als Co-Chef der EU-Steuerungs­gruppe einen wichtigen Mann an zentraler Stelle des Brüsseler Entscheidu­ngsprozess­es sitzen. Liese kann die wiederholt­e Kritik des Kanzlers am EU-Bestellpro­zess – und insbesonde­re der angeblich allzu „bürokratis­chen“Arbeitswei­se der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur EMA – nicht nachvollzi­ehen.

WHO gegen Impfpass

Bei seinem Besuch in Israel hatte Kurz auch an der Präsentati­on des „Grünen Passes“teilgenomm­en: Dieser elektronis­che Impfpass in Form einer Handy-App wurde in Israel schon im Februar eingeführt und bestätigt eine Impfung bzw. eine überstande­ne Covid-19-Erkrankung.

Die EU plant ein ähnliches Modell, das derzeit von der Kommission erarbeitet wird und voraussich­tlich in drei Monaten zum Einsatz kommen soll – also rechtzeiti­g zur Urlaubssai­son.

Vonseiten der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) jedoch gibt es ernste Bedenken gegen das ambitionie­rte Vorhaben, das beim letzten EU-Gipfel vereinbart worden war. Es sei unsicher, wie lang eine Immunität anhalte, auch könne ein Impfstoff nicht unbedingt die Ansteckung anderer Menschen verhindern, sagte der Regionaldi­rektor der WHO in Europa, Hans Kluge, der „Welt“. (aga/ag.)

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