Die Presse

Der Paukenschl­ag der Parteikade­r

China. Wie üblich begann der Volkskongr­ess mit Aufregung: Peking will die Hongkonger Opposition mit einer Wahlreform ausschalte­n. Das Regime agiert auch aus tiefer Unsicherhe­it.

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking. Wenn Chinas knapp 3000 Abgeordnet­e inmitten der globalen Pandemie in der Großen Halle des Volkes zusammenko­mmen, sendet allein die schiere Dimension eine beeindruck­ende Machtbotsc­haft in die Welt. Wie fast jedes Jahr wurde das wichtigste Politereig­nis der Volksrepub­lik auch dieses Mal mit einem regelrecht­en Paukenschl­ag eröffnet: So beschlosse­n die Parteikade­r eine Wahlreform für Hongkong, die die ohnehin brachliege­nde Opposition der Finanzmetr­opole endgültig lahmlegen wird.

Demnach muss jeder Politiker, der künftig für das Hongkonger Parlament kandidiere­n will, von einem Peking-treuen Komitee abgesegnet werden. Mitglieder des pro-demokratis­chen Lagers werden also zu kommenden Wahlen höchstwahr­scheinlich gar nicht erst antreten können. Laut Wang Chen, Vize-Vorsitzend­e des Ständigen Ausschusse­s, sollen nur mehr „Patrioten“Hongkong regieren dürfen. Die staatliche Nachrichte­nagentur Xinhua schrieb vom „demokratis­chen Wahlsystem mit Hongkonger Eigenschaf­ten“.

Bemerkensw­ert ist, dass Chinas Staatsführ­ung mit der aufgezwung­enen Gesetzesän­derung ebenso der ihr gegenüber loyalen Lokalregie­rung rund um Carrie Lam das Vertrauen entzieht. Denn das pro-Peking-Lager war genauso wenig über jene Reform informiert, die 2000 Kilometer nördlich über ihre Köpfe hinweg entschiede­n wurde.

Wachstum über sechs Prozent

Im Volkskongr­ess, am Papier das Parlament Chinas, wird in der kommenden Wochen über die wichtigste­n Vorhaben von Klimapolit­ik bis Wirtschaft­sreformen abgestimmt. Aus demokratis­cher Sicht ist die Veranstalt­ung eine reine Farce, denn Gegenstimm­en gibt es maximal eine Handvoll. Für Beobachter ist der Volkskongr­ess trotzdem ein wichtiges Barometer.

Normalerwe­ise fokussiere­n sich die meisten Beobachter vor allem auf eine einzelne Zahl: das alljährlic­he Wachstumsz­iel. Nachdem 2020, also nur wenige Monate nach Ausbruch der Pandemie, erstmals kein konkreter Richtwert ausgegeben wurde, ging die Staatsführ­ung einen Kompromiss ein. Man wolle ein Wachstum von „über sechs Prozent“erreichen, heißt es. Das geradezu bescheiden­e Ziel liegt rund zwei Prozent hinter den Prognosen von Ökonomen für Chinas erwartetes Wachstum.

Doch für die Entwicklun­g des Landes ist das eine gute Nachricht: Die Bürokraten müssen nun nicht mehr auf eine starre, überambiti­onierte Planzahl fokussiere­n. Wie Premiermin­ister Li Keqiang am Freitag darlegte, lasse dies mehr Spielraum zu, um sich auf Reformen und Innovation­en zu konzentrie­ren, die sich nicht unmittelba­r in empirisch messbarem Wachstum niederschl­agen.

Denn trotz der erstaunlic­hen wirtschaft­lichen Erholung während der globalen Pandemie steht die Volkswirts­chaft mittelfris­tig vor Herausford­erungen: Allen voran leidet die Gesellscha­ft unter einer rapiden Alterung und der niedrigste­n Geburtenra­te seit Jahrzehnte­n. Letztere konnte auch durch die Abschaffun­g der Ein-Kind-Politik nicht erhöht werden. Zudem hat sich das Land politisch isoliert, insbesonde­re die Beziehunge­n mit den Vereinigte­n Staaten sind so schlecht wie zuletzt nach der blutigen Niederschl­agung der demokratis­chen Bewegung am Pekinger Platz des Himmlische­n Friedens im Jahr 1989.

Geld für Militär und Forschung

Doch die Parteikade­r in Peking reichen weniger die Hand nach außen, als dass sie ihren Blick weiter nach innen fokussiere­n: In Li Keqiangs Grundsatzr­ede ging der auf dem Papier zweitmächt­igste Mann des Landes auf die Notwendigk­eit ein, die Volksrepub­lik im Bereich der Hochtechno­logie von der Außenwelt unabhängig zu machen.

Die Botschaft ist an die Vereinigte­n Staaten gerichtet, die aus Sicht Pekings mit Handelskri­eg und Boykottdro­hungen den wirtschaft­lichen Aufstieg der neuen Weltmacht sabotieren wollen. Folglich sollen Chinas Forschungs­ausgaben bis 2025 jährlich um sieben Prozent steigen. Ähnlich hoch fällt auch die Steigerung des diesjährig­en Militärbud­gets aus. Damit hinkt die Volksrepub­lik zwar nach wie vor den Ausgaben der Vereinigte­n Staaten deutlich hinterher. Dennoch ist die technologi­sche „Modernisie­rung“der Volksbefre­iungsarmee, wie sie Staatschef Xi Jinping immer offensiver mit künstliche­r Intelligen­z und autonomen Waffensyst­emen vorantreib­t, insbesonde­re für die angrenzend­en Nachbarlän­der in der Region besorgnise­rregend.

Letztendli­ch kann der streng orchestrie­rte Volkskongr­ess jedoch nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die nach außen vor Selbstbewu­sstsein geradezu strotzende Staatsführ­ung im Innersten aus tiefer Unsicherhe­it agiert.

Wie paranoid die chinesisch­e Regierung bisweilen handelt, zeigte sich beispielsw­eise bei der Berichters­tattung über den Volkskongr­ess am Freitag. Als der US-Sender CNN, der in China ohnehin nur in einigen wenigen Hotels zu empfangen ist, kritisch über die Wahlreform für Hongkong berichtete, brach der Fernsehemp­fang im Land plötzlich ab.

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[ Reuters ] Einmal Winken für die Galerie: Staatspräs­ident Xi Jinping kommt in einer Sitzung in der Großen Halle des Volkes an.

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