Der Paukenschlag der Parteikader
China. Wie üblich begann der Volkskongress mit Aufregung: Peking will die Hongkonger Opposition mit einer Wahlreform ausschalten. Das Regime agiert auch aus tiefer Unsicherheit.
Peking. Wenn Chinas knapp 3000 Abgeordnete inmitten der globalen Pandemie in der Großen Halle des Volkes zusammenkommen, sendet allein die schiere Dimension eine beeindruckende Machtbotschaft in die Welt. Wie fast jedes Jahr wurde das wichtigste Politereignis der Volksrepublik auch dieses Mal mit einem regelrechten Paukenschlag eröffnet: So beschlossen die Parteikader eine Wahlreform für Hongkong, die die ohnehin brachliegende Opposition der Finanzmetropole endgültig lahmlegen wird.
Demnach muss jeder Politiker, der künftig für das Hongkonger Parlament kandidieren will, von einem Peking-treuen Komitee abgesegnet werden. Mitglieder des pro-demokratischen Lagers werden also zu kommenden Wahlen höchstwahrscheinlich gar nicht erst antreten können. Laut Wang Chen, Vize-Vorsitzende des Ständigen Ausschusses, sollen nur mehr „Patrioten“Hongkong regieren dürfen. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua schrieb vom „demokratischen Wahlsystem mit Hongkonger Eigenschaften“.
Bemerkenswert ist, dass Chinas Staatsführung mit der aufgezwungenen Gesetzesänderung ebenso der ihr gegenüber loyalen Lokalregierung rund um Carrie Lam das Vertrauen entzieht. Denn das pro-Peking-Lager war genauso wenig über jene Reform informiert, die 2000 Kilometer nördlich über ihre Köpfe hinweg entschieden wurde.
Wachstum über sechs Prozent
Im Volkskongress, am Papier das Parlament Chinas, wird in der kommenden Wochen über die wichtigsten Vorhaben von Klimapolitik bis Wirtschaftsreformen abgestimmt. Aus demokratischer Sicht ist die Veranstaltung eine reine Farce, denn Gegenstimmen gibt es maximal eine Handvoll. Für Beobachter ist der Volkskongress trotzdem ein wichtiges Barometer.
Normalerweise fokussieren sich die meisten Beobachter vor allem auf eine einzelne Zahl: das alljährliche Wachstumsziel. Nachdem 2020, also nur wenige Monate nach Ausbruch der Pandemie, erstmals kein konkreter Richtwert ausgegeben wurde, ging die Staatsführung einen Kompromiss ein. Man wolle ein Wachstum von „über sechs Prozent“erreichen, heißt es. Das geradezu bescheidene Ziel liegt rund zwei Prozent hinter den Prognosen von Ökonomen für Chinas erwartetes Wachstum.
Doch für die Entwicklung des Landes ist das eine gute Nachricht: Die Bürokraten müssen nun nicht mehr auf eine starre, überambitionierte Planzahl fokussieren. Wie Premierminister Li Keqiang am Freitag darlegte, lasse dies mehr Spielraum zu, um sich auf Reformen und Innovationen zu konzentrieren, die sich nicht unmittelbar in empirisch messbarem Wachstum niederschlagen.
Denn trotz der erstaunlichen wirtschaftlichen Erholung während der globalen Pandemie steht die Volkswirtschaft mittelfristig vor Herausforderungen: Allen voran leidet die Gesellschaft unter einer rapiden Alterung und der niedrigsten Geburtenrate seit Jahrzehnten. Letztere konnte auch durch die Abschaffung der Ein-Kind-Politik nicht erhöht werden. Zudem hat sich das Land politisch isoliert, insbesondere die Beziehungen mit den Vereinigten Staaten sind so schlecht wie zuletzt nach der blutigen Niederschlagung der demokratischen Bewegung am Pekinger Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989.
Geld für Militär und Forschung
Doch die Parteikader in Peking reichen weniger die Hand nach außen, als dass sie ihren Blick weiter nach innen fokussieren: In Li Keqiangs Grundsatzrede ging der auf dem Papier zweitmächtigste Mann des Landes auf die Notwendigkeit ein, die Volksrepublik im Bereich der Hochtechnologie von der Außenwelt unabhängig zu machen.
Die Botschaft ist an die Vereinigten Staaten gerichtet, die aus Sicht Pekings mit Handelskrieg und Boykottdrohungen den wirtschaftlichen Aufstieg der neuen Weltmacht sabotieren wollen. Folglich sollen Chinas Forschungsausgaben bis 2025 jährlich um sieben Prozent steigen. Ähnlich hoch fällt auch die Steigerung des diesjährigen Militärbudgets aus. Damit hinkt die Volksrepublik zwar nach wie vor den Ausgaben der Vereinigten Staaten deutlich hinterher. Dennoch ist die technologische „Modernisierung“der Volksbefreiungsarmee, wie sie Staatschef Xi Jinping immer offensiver mit künstlicher Intelligenz und autonomen Waffensystemen vorantreibt, insbesondere für die angrenzenden Nachbarländer in der Region besorgniserregend.
Letztendlich kann der streng orchestrierte Volkskongress jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nach außen vor Selbstbewusstsein geradezu strotzende Staatsführung im Innersten aus tiefer Unsicherheit agiert.
Wie paranoid die chinesische Regierung bisweilen handelt, zeigte sich beispielsweise bei der Berichterstattung über den Volkskongress am Freitag. Als der US-Sender CNN, der in China ohnehin nur in einigen wenigen Hotels zu empfangen ist, kritisch über die Wahlreform für Hongkong berichtete, brach der Fernsehempfang im Land plötzlich ab.