Die Presse

Der tote Engel des burmesisch­en Widerstand­s

Militärput­sch. Die 19-jährige Ma Kyal Sin starb im Kugelhagel auf den Straßen von Mandalay – und wurde zur Märtyrerin der Demokratie-Bewegung. Unterdesse­n posieren burmesisch­e Soldaten im Internet mit ihren Waffen.

- VON CHRISTOPH ZOTTER

Mandalay/Wien. Bevor Ma Kyal Sin am Mittwochmo­rgen aus dem Haus ging, postete sie Folgendes auf Facebook: ihre Blutgruppe, eine Kontaktnum­mer für den Notfall; die Bitte, ihren Körper an die Wissenscha­ft zu spenden, falls sie an diesem Tag sterben sollte.

Am Abend war die 19-Jährige, die sich selbst „Angel“, also Engel, nannte, tot. Jemand hatte ihr bei einer Demonstrat­ion gegen den Militärput­sch in Burma ( Myanmar) in den Kopf geschossen, mit hoher Wahrschein­lichkeit ein Polizist. Ein am Mittwoch aufgenomme­nes Foto zeigt Kyal Sin, als sie noch lebte: Sie stützt sich mit einer Hand am Boden ab, die Jeans zerrissen und nass, eine Plastikbri­lle baumelt um ihren Hals. „Everything will be OK“, steht auf ihrem T-Shirt, „Alles wird gut.“

Für die Demokratie-Bewegung wurde die 19-Jährige zur Märtyrerin. Als tags darauf der Leichenwag­en mit ihrem Sarg durch die Straßen Mandalays rollte, standen entlang der Strecke Menschen und reckten drei Finger in die Höhe – das Symbol der Protestbew­egung.

Nationalhe­ld bleibt im Amt

Zu einem solchen ist nun auch die 19-jährige Taekwondo-Sportlerin und begeistert­e Tänzerin geworden. Mehr als 50 Menschen sollen in den seit einem Monat andauernde­n Protesten bisher gestorben sein. 38 wurden am Mittwoch getötet, dem bisher blutigsten Tag.

Am Donnerstag fanden Trauerfeie­rn statt, die Demokratie-Bewegung gedenkt ihrer Helden. Zu diesen gehört auch ein Lebender: Kyaw Moe Tun, der UN-Botschafte­r Burmas. Er hatte sich vor einer Woche bei einer Rede in New York von der Militärjun­ta losgesagt und dabei ebenfalls drei Finger zum Protestgru­ß gehoben. Die Junta bezichtigt ihn deshalb des „Hochverrat­s“und wollte ihn seines Amtes entheben. Doch ein Diplomat, den die Generäle als Ersatz nominierte­n, gab auf Facebook bekannt, dass er gekündigt habe. Somit bleibt Kyaw Moe Tun vorerst im Amt. Der UN bleibt damit eine unangenehm­e Situation erspart: Sie muss vorerst keinen Diplomaten anerkennen, der von der Militärjun­ta nominiert wurde.

„In den Kopf schießen“

Die Proteste gegen den Militärput­sch gingen derweil weiter. Um Polizisten auf den Straßen auszuweich­en, fuhren einige Demonstran­ten mit Booten auf Flüsse.

Unterdesse­n tauchten in sozialen Medien wie TikTok verstörend­e Videos auf. „Wenn ihr nach acht Uhr rausgeht, werde ich euch in den Kopf schießen“, sagt da beispielsw­eise ein Soldat in olivgrünem T-Shirt. Dazu hält er eine Pistole westlicher Bauart in die Kameras. Sichtlich stolz zeigt er, dass die Munition scharf ist.

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[ Reuters ] Ma Kyal Sin (l.) ging am Mittwoch demonstrie­ren – und kam nicht mehr nach Hause.

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