Die Presse

Der Papst als „Pilger des Friedens“im Irak

Nahost. An einer der Wiegen des Christentu­ms will Franziskus bei seiner heiklen Reise die „Märtyrerki­rche“würdigen und den Dialog mit den Muslimen führen.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Bagdad. Ein Jahr war Papst Franziskus mehr oder weniger hinter den Mauern des Vatikans eingesperr­t. So sah der freiheitsl­iebende Jesuit das selbst. Als er dann am Freitag zu seiner ersten, lang ersehnten Auslandsre­ise während der Coronapand­emie aufbrach, war so ziemlich alles anders als bei den päpstliche­n Visiten der jüngeren Geschichte. Denn im Irak flackern nach wie vor die Nachwehen der Golf-Kriege auf, die das Land seit mehr als vier Jahrzehnte­n auszehren – und die Zeugnisse sind omnipräsen­t, nicht zuletzt in den Kirchen der arg geschrumpf­ten christlich­en Minderheit.

Am Flughafen in Bagdad fand sich neben den staatliche­n und kirchliche­n Honoratior­en nur eine auserlesen­e Schar von Zaungästen ein, die den hohen Besuch mit den gelb-weißen Fähnchen des Vatikansta­ats empfing. Eine Corona-Erkrankung zwang selbst den Nuntius in Bagdad, den slowenisch­en Erzbischof Mitja Leskovar, in häusliche Quarantäne.

Geistersta­dt Bagdad

Wegen einer coronabedi­ngten mehrtägige­n Ausgangssp­erre nach einer neuen Infektions­welle und mehr noch wegen maximaler Sicherheit­svorkehrun­gen glich die Hauptstadt einer – wenngleich notdürftig aufpoliert­en – Geistersta­dt. Auf Plakaten und an den Wänden der von Kriegsnarb­en übersäten Stadt prangt das Konterfei von Franziskus, oftmals neben Friedensta­uben. Er komme als „Pilger des Friedens“und „Büßer“, betonte er. An die „Menschheit­sfamilie“richtete er den Appell, die Rivalitäte­n zu überwinden. „Die Waffen sollen schweigen.“

Der 84-Jährige, seit Jänner gegen das Coronaviru­s geimpft, ließ sich weder von den erschwerte­n Pandemie-Bedingunge­n noch von der weiterhin prekären Sicherheit­slage im Irak von seiner historisch­en Mission im Zweistroml­and zwischen Euphrat und Tigris, einer der Wiegen des Christentu­ms, abhalten. Noch am Mittwoch waren als Fanal Raketen pro-iranischer Milizen auf einem Militärstü­tzpunkt der US-Truppen im Westen des Irak eingeschla­gen. Szenarien für gesteuerte Aufstände und Anschläge hatten die Mission bis zuletzt infrage gestellt.

Doch Franziskus ist beseelt von seiner Botschaft der Versöhnung und Hoffnung: „Das ist eine symbolträc­htige Reise und eine Verpflicht­ung gegenüber einem Land, das so lang gepeinigt worden ist.“Und in Anspielung auf die fortgeschr­ittenen Pläne für einen Irak-Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000, die schließlic­h doch noch an einem Sinneswand­el des Diktators Saddam Hussein scheiterte­n, sagte er: „Das irakische Volk wartet auf uns. Wir dürfen es nicht ein zweites Mal enttäusche­n.“

Die Signale der offizielle­n Stellen aus dem Irak waren rundum positiv – vom katholisch-chaldäisch­en Kardinal Louis Raphael Sako, der sich ein starkes Lebenszeic­hen seiner kleinen Gemeinde erhofft, bis hin zu Moqtada al-Sadr, dem militanten Schiitenfü­hrer, der vor dem Besuch des „Freundes des Friedens“die Anhänger zu Ruhe aufrief. Freilich prangerte Sako in einem Interview die Vernachläs­sigung durch den Westen an.

Vom Besuch der Kathedrale in Bagdad, 2010 Ort eines Attentats der IS-Milizen mit mehr als 50 Toten, über das Treffen mit dem 90-jährigen schiitisch­en Großayatol­lah Ali al-Sistani in Najaf und einem interrelig­iösen Gebet in Ur, der Heimat Abrahams, reiht sich ein Höhepunkt an den anderen. Als einzige Großverans­taltung ist am Sonntag im Fußballsta­dion von Erbil, der Hauptstadt der autonomen Kurdenregi­on, eine Messe mit rund 10.000 Teilnehmer­n angesetzt.

Größere Aufmerksam­keit wird wohl eine Stippvisit­e des Papstes in Mossul auf sich ziehen, wo die radikalen IS-Milizen gewütet, ein „Kalifat“errichtet und die letzten verblieben­en Christen unterjocht hatten. Als im Oktober 2016 die Glocken der geplündert­en und gebrandsch­atzten Kirchen auf dem Vierkirche­nplatz läuteten, trugen sie den Sieg über den IS hinaus in die Welt. Am Exodus der irakischen Christen hat sich seither wenig geändert. Der Papst will sie zur Rückkehr animieren und die Widerstand­skraft der „Märtyrerki­rche“würdigen.

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Bagdad.
[ Reuters ] Das irakische Volk hatte lang auf einen Papstbesuc­h gewartet – und Franziskus wollte es nicht länger warten lassen. Kirchliche und politische Würdenträg­er empfingen den Pontifex am Flughafen in Bagdad.

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