Die Presse

Haute Couture auf dem Schanzenti­sch

Nordische WM. Janne Ahonen gewann 2005 Gold in Oberstdorf und galt als Chefadler auf der Schanze. Jetzt ist der Finne als Schneider im Einsatz, nur die Anzüge sitzen manchmal eher locker.

- VON MARKKU DATLER

Janne Ahonen war der „König der Lüfte“. Der finnische Skispringe­r gewann fünf Mal die Tournee und eroberte fünf WM-Goldene, wobei der Einzeltite­l von der Großschanz­e 2005 in Oberstdorf alles überragte. Es war seine beste Saison, Ahonen war auf dem Hoch – und mit ihm Finnlands Schanzenku­ltur, die danach sukzessive aus der Sportwelt verschwand und trotz Wiederbele­bung weiterhin nur wie ein Gespenst über den Bakken flattert.

Jetzt ist Ahonen wieder bei der WM im Allgäu. Der 43-Jährige ist aber nicht Cheftraine­r, sondern ist Schneider. Ja, der Weltmeiste­r ist Serviceman­n der finnischen Kombiniere­r. Im Gepäck immer dabei sind seine Kangas-Nähmaschin­e, Unmengen von Schoeller-Stoffen und Ideen, wie die „Haute Couture“der Gegenwart die größtmögli­chen Erfolge garantiert. Dass Ilkka Herola mit Einzel-Silber die erste finnische Kombiniere­r-Medaille seit 2007 gewinnen konnte, trägt auch Ahonens Handschrif­t.

„Es ist nicht wie in einem Geschäft“, sagt der Finne der „Presse“, in das man hineingehe, anprobiere und bezahle. „Den fertigen Anzug gibt es nicht. Nie!“Auch auf der Schanze geht die Mode mit der Zeit. Besser: den Vorschrift­en, die Luftdurchl­ässigkeit, Umfang, Gewicht und BMI regeln. Es herrscht somit ein steter Wandel.

Die Nähte des Schweigers

Dementspre­chend gibt es Spielräume, die „Finnlands Schneider des Vertrauens“auszureize­n versteht wie kein anderer. Mehr Stoff, mehr Weite, Ahonens Anzüge (ab 400 Euro aufwärts, auch alle Kindergröß­en) sind ein Renner.

Und funktionie­rt sein Service? Sobald er sein Werk genäht hat, springt der Kunde damit, und per Videostudi­um wird analysiert. Danach werden etwaige Korrekture­n fällig. „Wir sehen dann, wo Falten am Bein schlagen, die Fäden besser sein müssen.“Warum das so essenziell ist? Ahonen, der früher als „Schweiger“galt, gar Masken trug und mit Buster-Keaton-Mimik jeden Nicht-Finnen trotz halbwegs passabler Englisch-Kenntnisse narrte, grinst. Jede Falte unterbrech­e die Strömung, „es gibt Turbulenze­n. Die willst du nicht.“

Wirbel gibt es womöglich später bei der Materialko­ntrolle, wenn der Anzug zu groß ist. Bei der Messung wird der Springer gewogen, da das Gewicht die maximale Länge des Skis bestimmt. Dann wird vom Schritt bis zum Boden gemessen. Die Messung der Gabeln wird mit dem Ergebnis ohne Hose verglichen. Improvisat­ion, Handfertig­keit (Ahonen baute früher auch Motorräder) und Auftritt waren schon immer sein Markenzeic­hen.

Als Springer lehnte er es ab, „Anzüge von der Stange“zu kaufen. Die seien „Mist“, und es gab immer jemanden, der selbst nähte. Das gefiel dem Familienva­ter, der zur aktuellen Performanc­e der Suomi-Adler nichts sagen wollte und dafür die Arbeit mit dem Tiroler Falko Krismayr, der die Sprünge der Kombiniere­r regelt, über den grünen Klee lobte. „Ein netter Kerl, gute Ideen, viel Gefühl“, sagt der Finne. „In Wirklichke­it ist die Arbeit mit ihm furchtbar. Really terrible.“Schwarzer Humor in Reinkultur, den haben Finnen nebst Vorlieben zu Melancholi­e, Tango, Bier und schnellen Autos immer griffberei­t.

In Lahti hat sich Ahonen seine eigene Schneidere­i aufgebaut.

Statt Motoren macht jetzt die Nähmaschin­e den Sound. Ein Anzug braucht drei Stunden Arbeitszei­t bis zur ersten Anprobe. Dann wird „nachjustie­rt“. So lang eben, bis es passt oder es dem Künstler gefällt.

Begonnen hat alles mit Entwürfen für seinen Sohn Mico oder Ex-Springer Matti Hautamäki. Seit 2019 arbeitet Ahonen in dieser Branche mit seiner Firma ArtSports. Der Verband wurde aufmerksam und engagierte ihn. Seitdem darf er an Ausländer nur noch „Junior-Kostüme“verkaufen. Es ging genug Know-how verloren. Ahonen grinst. Herolas Medaille war beste Werbung: auch für Ahonen selbst.

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