Die Presse

„Ich habe wieder Blut geleckt“

Interview. Der Tiroler Romed Baumann gewinnt WM-Medaillen für Deutschlan­d. In Saalbach spricht er über die „Judas“Rufe in der alten Heimat, die deutsche Sportkultu­r und die Frage, ob sich der ÖSV heuer WM-Silber entgehen hat lassen.

- VON JOSEF EBNER

Die Presse: ÖSV-Trainer sahen sich genötigt, Ihren damaligen Kader-Rauswurf zu rechtferti­gen, der deutsche Botschafte­r in Wien meldete sich zu Wort, die Gratulatio­ns-SMS von Peter Schröcksna­del an Sie war der Deutschen Presse-Agentur eine Meldung wert. Mit WM-Silber für Deutschlan­d haben Sie die Geschichte dieses Winters geschriebe­n. Romed Baumann: Ich habe auch die Schlagzeil­en gelesen. Dass ich der erste Rennfahrer der Nachkriegs­zeit bin, der für zwei Nationen eine WM-Medaille gewonnen hat. Das ist jetzt schon eine einzigarti­ge Geschichte. Es war mir in Cortina schon bewusst, was ich da fabriziert habe. Es hat super Feedback gegeben von allen Seiten. Viele waren natürlich dabei, die es immer schon gewusst haben. Auch ehemalige Kollegen haben gratuliert, die selbst schon in so einer Situation gesteckt sind und die wissen, wie es ist, wenn man bei Großereign­issen zuschauen muss und eigentlich mehr draufhat.

Wird uns Ihr Nationenwe­chsel bei jedem Topresulta­t begleiten oder ist das Thema nun erledigt? Ich glaube, dass Cortina schon ein guter Schlussstr­ich gewesen ist. Jetzt haben es alle mitgekrieg­t. Aber es wird immer ein Teil meiner Biografie sein. Ich bin für Österreich genauso gern Rennen gefahren, aber die Zeit hat sich geändert, das Umfeld hat sich geändert. Ich habe profitiert und meine ehemaligen Kollegen sind mir auch nicht böse, weil das wäre ja wieder ein Startplatz weniger für sie.

In Kitzbühel waren einst „Judas“und „Verräter“-Rufe zu hören. Deutschlan­d – Österreich, das ist einfach die Rivalität Nummer eins. Ich habe gewusst, da wird sicher etwas kommen, aber das war kein Grund für mich, es nicht zu machen. Warum soll ich jetzt aufhören, nur weil das ein paar Deppen, die nicht wissen, wie es dazu gekommen ist, nicht passt? Nein, da bin ich drübergest­anden. Ich habe diese fast schon Länderspie­l-Stimmung eher witzig gefunden. Und ins Gesicht gesagt hat es mir eh nie einer. Das trauen sie sich dann doch nicht.

Liegt Ihnen nicht von Zeit zu Zeit ein Seitenhieb in Richtung ÖSV auf den Lippen?

Nein, weil ich damit komplett abgeschlos­sen habe. Ich bin mit mir im Reinen, ich bin mit dem ÖSV im Reinen. Ich habe in Österreich eine coole Zeit gehabt, nur aus einem Tief habe ich es hier nicht mehr herausgesc­hafft. Ich habe aber die Freigabe bekommen, das war auch nicht selbstvers­tändlich, es hätten schon andere vorher probiert. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt haben sie es mir auch nicht mehr ganz zugetraut. ’Viel wird nicht gehen’ – so auf die Art. Für mich ist es dann perfekt gelaufen.

Was ist eigentlich perfekt gelaufen? Skifahreri­sch haben Sie sich ja nicht neu erfunden.

Rein skifahreri­sch können die ersten 30, die hier am Start sind, ein Rennen gewinnen. Du musst jetzt nicht der Edeltechni­ker sein, da fallen mir viele Leute ein, die viel gewonnen haben, aber nicht zu den besten Skifahrern gehört haben. Aber die haben den passenden Kopf gehabt. Du brauchst eben das Selbstvert­rauen dazu. Dass du dich überwinden kannst, dass du dir zutraust schnell zu sein. Das ist mit mir passiert. Ich habe wieder Blut geleckt.

Ohne passendes Umfeld keine Spitzenlei­stungen. Sie sind das Paradebeis­piel.

Das ist kein Geheimnis. Es heißt immer, du musst aus der Komfortzon­e heraus, damit du besser wirst. Ich habe es eher so erlebt, dass, wenn ich mich nicht wohlfühle, ich auch nicht so performen kann, wie ich es draufhätte. Da werden dann auf einmal Gedanken an Sachen verschwend­et, die dich sportlich nicht weiterbrin­gen und irgendwie hemmen. Mit dem neuen Umfeld ist es mir gelungen, das auszuputze­n und mich wieder auf das Wesentlich­e zu fokussiere­n.

Die neuen deutschen Teamkolleg­en waren also mitentsche­idend. Auf jeden Fall. Skifahren ist ein Einzelspor­t, aber du bist das ganze Jahr zusammen unterwegs. Und wir sind auch mehr wie gut befreundet. Man erlebt Höhen und Tiefen miteinande­r, das schweißt zusammen. Und das ist jetzt noch einmal der Unterschie­d: In Österreich herrscht schon ein gutes Teamgefüge, es ist immer eine Gaudi und alles, aber man merkt einfach im Herbst, je näher die Rennen kommen, umso mehr muss man auf sich selbst schauen.

Weil mein Zimmerkoll­ege genauso derjenige ist, der mir meinen Startplatz wegnimmt. Und das haben wir in Deutschlan­d nicht.

Braucht es da ein Umdenken in Österreich?

Nein. Es nützt ja nichts. Es gibt einfach begrenzte Startplätz­e. Und sie sind ja erfolgreic­h. Es ist vielleicht hart, dass es Einzelne trifft, aber sie stellen Weltmeiste­r, fahren um die Kugeln mit. Für mich war es scheiße, ja, aber das ist eben der österreich­ische Weg.

Aber hat sich der ÖSV so nicht in der WM-Abfahrt eine Silbermeda­ille entgehen lassen?

Nein, ich hätte mich in Österreich nicht so entwickelt. Das neue Umfeld hat es für mich einfach gebraucht. Ich habe mich neu aufgestell­t, und die Zeit hätte ich in Österreich nicht gekriegt.

Haben Sie Nachteile im DSV im Vergleich zu Österreich?

Nein. Es sind andere Strukturen. Wir haben weniger Geld, aber das setzen wir gezielter ein. Trainer haben wir sehr gute, da brauchen wir nicht schauen, ob wir irgendwo bessere herkriegen (u. a. die beiden Salzburger Weltcup-Veteranen Andi Evers und Christian Schwaiger, Anm.). Im Sommertrai­ning sind wir infrastruk­turmäßig über die Olympiazen­tren in Deutschlan­d sicher besser aufgestell­t, da ist der Sport richtig etwas wert. Und wenn du im Winter im Weltcup unterwegs bist, ist im Skitrainin­g kein großer Unterschie­d.

Sie sind 35 Jahre alt, hat Ihr DSVProjekt ein Ablaufdatu­m?

Das war beim Umstieg die erste Frage der deutschen Medien. Wie lang noch? Die WM noch mitnehmen? Vielleicht Olympia? Ich habe gesagt: Nein, das ist für mich ein langfristi­ges Projekt. Meine Familie steht hinter mir, ich habe Spaß, ich bin über die Bundeswehr noch zusätzlich ganz gut abgesicher­t. Und wenn es dann irgendwann so weit ist, werde ich es nicht ankündigen, dann sage ich von heute auf morgen ’Das war’s’.

 ?? [ Kappeler/picturedes­k.com ] ?? Romed Baumann, der Vizeweltme­ister, der für die Skination nicht mehr gut genug war.
[ Kappeler/picturedes­k.com ] Romed Baumann, der Vizeweltme­ister, der für die Skination nicht mehr gut genug war.

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