„Ich habe wieder Blut geleckt“
Interview. Der Tiroler Romed Baumann gewinnt WM-Medaillen für Deutschland. In Saalbach spricht er über die „Judas“Rufe in der alten Heimat, die deutsche Sportkultur und die Frage, ob sich der ÖSV heuer WM-Silber entgehen hat lassen.
Die Presse: ÖSV-Trainer sahen sich genötigt, Ihren damaligen Kader-Rauswurf zu rechtfertigen, der deutsche Botschafter in Wien meldete sich zu Wort, die Gratulations-SMS von Peter Schröcksnadel an Sie war der Deutschen Presse-Agentur eine Meldung wert. Mit WM-Silber für Deutschland haben Sie die Geschichte dieses Winters geschrieben. Romed Baumann: Ich habe auch die Schlagzeilen gelesen. Dass ich der erste Rennfahrer der Nachkriegszeit bin, der für zwei Nationen eine WM-Medaille gewonnen hat. Das ist jetzt schon eine einzigartige Geschichte. Es war mir in Cortina schon bewusst, was ich da fabriziert habe. Es hat super Feedback gegeben von allen Seiten. Viele waren natürlich dabei, die es immer schon gewusst haben. Auch ehemalige Kollegen haben gratuliert, die selbst schon in so einer Situation gesteckt sind und die wissen, wie es ist, wenn man bei Großereignissen zuschauen muss und eigentlich mehr draufhat.
Wird uns Ihr Nationenwechsel bei jedem Topresultat begleiten oder ist das Thema nun erledigt? Ich glaube, dass Cortina schon ein guter Schlussstrich gewesen ist. Jetzt haben es alle mitgekriegt. Aber es wird immer ein Teil meiner Biografie sein. Ich bin für Österreich genauso gern Rennen gefahren, aber die Zeit hat sich geändert, das Umfeld hat sich geändert. Ich habe profitiert und meine ehemaligen Kollegen sind mir auch nicht böse, weil das wäre ja wieder ein Startplatz weniger für sie.
In Kitzbühel waren einst „Judas“und „Verräter“-Rufe zu hören. Deutschland – Österreich, das ist einfach die Rivalität Nummer eins. Ich habe gewusst, da wird sicher etwas kommen, aber das war kein Grund für mich, es nicht zu machen. Warum soll ich jetzt aufhören, nur weil das ein paar Deppen, die nicht wissen, wie es dazu gekommen ist, nicht passt? Nein, da bin ich drübergestanden. Ich habe diese fast schon Länderspiel-Stimmung eher witzig gefunden. Und ins Gesicht gesagt hat es mir eh nie einer. Das trauen sie sich dann doch nicht.
Liegt Ihnen nicht von Zeit zu Zeit ein Seitenhieb in Richtung ÖSV auf den Lippen?
Nein, weil ich damit komplett abgeschlossen habe. Ich bin mit mir im Reinen, ich bin mit dem ÖSV im Reinen. Ich habe in Österreich eine coole Zeit gehabt, nur aus einem Tief habe ich es hier nicht mehr herausgeschafft. Ich habe aber die Freigabe bekommen, das war auch nicht selbstverständlich, es hätten schon andere vorher probiert. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt haben sie es mir auch nicht mehr ganz zugetraut. ’Viel wird nicht gehen’ – so auf die Art. Für mich ist es dann perfekt gelaufen.
Was ist eigentlich perfekt gelaufen? Skifahrerisch haben Sie sich ja nicht neu erfunden.
Rein skifahrerisch können die ersten 30, die hier am Start sind, ein Rennen gewinnen. Du musst jetzt nicht der Edeltechniker sein, da fallen mir viele Leute ein, die viel gewonnen haben, aber nicht zu den besten Skifahrern gehört haben. Aber die haben den passenden Kopf gehabt. Du brauchst eben das Selbstvertrauen dazu. Dass du dich überwinden kannst, dass du dir zutraust schnell zu sein. Das ist mit mir passiert. Ich habe wieder Blut geleckt.
Ohne passendes Umfeld keine Spitzenleistungen. Sie sind das Paradebeispiel.
Das ist kein Geheimnis. Es heißt immer, du musst aus der Komfortzone heraus, damit du besser wirst. Ich habe es eher so erlebt, dass, wenn ich mich nicht wohlfühle, ich auch nicht so performen kann, wie ich es draufhätte. Da werden dann auf einmal Gedanken an Sachen verschwendet, die dich sportlich nicht weiterbringen und irgendwie hemmen. Mit dem neuen Umfeld ist es mir gelungen, das auszuputzen und mich wieder auf das Wesentliche zu fokussieren.
Die neuen deutschen Teamkollegen waren also mitentscheidend. Auf jeden Fall. Skifahren ist ein Einzelsport, aber du bist das ganze Jahr zusammen unterwegs. Und wir sind auch mehr wie gut befreundet. Man erlebt Höhen und Tiefen miteinander, das schweißt zusammen. Und das ist jetzt noch einmal der Unterschied: In Österreich herrscht schon ein gutes Teamgefüge, es ist immer eine Gaudi und alles, aber man merkt einfach im Herbst, je näher die Rennen kommen, umso mehr muss man auf sich selbst schauen.
Weil mein Zimmerkollege genauso derjenige ist, der mir meinen Startplatz wegnimmt. Und das haben wir in Deutschland nicht.
Braucht es da ein Umdenken in Österreich?
Nein. Es nützt ja nichts. Es gibt einfach begrenzte Startplätze. Und sie sind ja erfolgreich. Es ist vielleicht hart, dass es Einzelne trifft, aber sie stellen Weltmeister, fahren um die Kugeln mit. Für mich war es scheiße, ja, aber das ist eben der österreichische Weg.
Aber hat sich der ÖSV so nicht in der WM-Abfahrt eine Silbermedaille entgehen lassen?
Nein, ich hätte mich in Österreich nicht so entwickelt. Das neue Umfeld hat es für mich einfach gebraucht. Ich habe mich neu aufgestellt, und die Zeit hätte ich in Österreich nicht gekriegt.
Haben Sie Nachteile im DSV im Vergleich zu Österreich?
Nein. Es sind andere Strukturen. Wir haben weniger Geld, aber das setzen wir gezielter ein. Trainer haben wir sehr gute, da brauchen wir nicht schauen, ob wir irgendwo bessere herkriegen (u. a. die beiden Salzburger Weltcup-Veteranen Andi Evers und Christian Schwaiger, Anm.). Im Sommertraining sind wir infrastrukturmäßig über die Olympiazentren in Deutschland sicher besser aufgestellt, da ist der Sport richtig etwas wert. Und wenn du im Winter im Weltcup unterwegs bist, ist im Skitraining kein großer Unterschied.
Sie sind 35 Jahre alt, hat Ihr DSVProjekt ein Ablaufdatum?
Das war beim Umstieg die erste Frage der deutschen Medien. Wie lang noch? Die WM noch mitnehmen? Vielleicht Olympia? Ich habe gesagt: Nein, das ist für mich ein langfristiges Projekt. Meine Familie steht hinter mir, ich habe Spaß, ich bin über die Bundeswehr noch zusätzlich ganz gut abgesichert. Und wenn es dann irgendwann so weit ist, werde ich es nicht ankündigen, dann sage ich von heute auf morgen ’Das war’s’.