„Bitcoin ist wichtig für kriminellen Zahlungsverkehr“
Interview. Börse-Chef Christoph Boschan über Blasen, Bitcoin und langfristiges Anlegen.
Die Presse: An den Märkten gab es in den vergangenen Monaten einige starke Preisanstiege, etwa bei Tesla oder Bitcoin, die aber zuletzt teilweise zurückgenommen wurden. Platzt da gerade eine Blase, sollte man raus aus Aktien?
Christoph Boschan: Als Infrastrukturdienstleister will ich das nicht beurteilen. Ich muss aber wieder und wieder betonen, dass es für Kleinanleger eine einzige sinnvolle Strategie gibt: Langfristig und breit gestreut investieren, dann ist man auf der sicheren Seite. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, würde ich die öffentliche Berichterstattung über das Börsenwesen sowohl in den Crashszenarien wie in den Boomzeiten gern in den Lockdown schicken. Dann würde die Realität sichtbar: Durchschnittsrenditen von sechs, sieben Prozent an den entwickelten Märkten über Jahrzehnte.
Derzeit gibt es aber schon Auffälligkeiten, etwa zuletzt die GameStop-Affäre, als Kleinanleger den Kurs des Videospiele-Händlers hochtrieben, um Short-Sellern zuzusetzen. Ist das nicht Ausdruck einer ungewöhnlichen Situation?
Diese Phasen gab es immer wieder. Das ist der ewig frische Blumenstrauß vom Feld der Tulpenzwiebel. Ich würde auch von der Erklärung abraten, dass diesmal alles anders ist. Es ist das gleiche ewige Spiel. Diese Phänomene werden auch immer wieder von IdeologieSchlagworten wie „Demokratisierung der Börse“begleitet.
Wer sind denn bei GameStop die Bösen? Die Hedgefonds, die Broker oder die Kleinanleger?
Diese Frage kommt ja schon wieder aus dieser Gerechtigkeitsecke. Ich würde erst einmal nüchtern anschauen, was da passiert ist.
Vielleicht ist es der uralte Vorgang des konzertierten Pump and Dump. Eine Gruppe von Investoren verabredet sich, den Preis zu heben oder zu senken. Das ist nichts Neues, aber es ist ein Bärendienst für die Anlegerkultur, und es ist auch eine kriminelle Handlung, weil es Marktmanipulation ist. Und es ist keine „Demokratisierung der Börse“. Denn das würde ja bedeuten, dass die Börse bisher undemokratisch war. Dabei ist der Zugang heute leichter und billiger denn je. Das sind so Schlagworte, die haut man so hin, und in der allgemeinen Skepsis gegen die Kapitalmärkte kommt das gut an. Die Börse ist aber schon demokratisch und eine Wohlstandsverteilungsmaschine.
Warum ist die Debatte denn so ideologisch aufgeheizt?
Darüber habe ich auch viel nachgedacht. Ich glaube, das ist der Zug der Zeit, jeden Sachverhalt ideologisch aufzuladen. Der GameStopVorfall, der hat so etwas von Steine-Schmeißen in Berlin Kreuzberg. Man kann das eingeschlagene Schaufenster bei einem kleinen Händler auch einfach als kriminelle Sachbeschädigung sehen. Aber wenn das eine Auflehnung gegen den Kapitalismus ist, scheint das teilweise gesellschaftlich akzeptiert. Und noch einmal: Eine konzertierte Absprache ist eine glasklare Marktmanipulation. Aber in dem Moment, wo man von der Rebellion gegen die Hedgefonds redet, kriegt das auf einmal eine moralische Legitimation.
Nun sagen Sie, solche Phänomene sind vorübergehend. Wenn man aber jetzt in den Markt reingeht, auch als vernünftiger Anleger, muss man sich mit diesen Blasen herumschlagen.
Auch dafür gibt es Handwerkszeug, um das Risiko zu senken: nicht nur langfristig und breit gestreut investieren, sondern regelmäßig, über einen Sparplan. Damit ist man nicht nur von der Einzeltitelauswahl entlastet, sondern auch vom Market-Timing.
Es ist trotzdem schwierig, neu einzusteigen und zu sehen, wie die Gewinne wegschmelzen.
Die Bewertung eines Unternehmens ist die Vorwegnahme seiner zukünftigen Erträge. Die Blasen entstehen dort, wo diese Frage nicht mehr gestellt wird. Und da sind wir bei den Teslas, Bitcoins, GameStop. Wo es nur mehr darauf ankommt, den Nächsten zu finden, der noch mehr bezahlt. Diese Spannungen lösen sich immer auf, aber äußerst selten in Seitwärtsbewegungen. Ein Unternehmen, das die Frage nicht beantworten kann, wozu es da ist, wird es dauerhaft am Markt nicht geben. Das ist die fantastische Effizienz unserer freien Marktwirtschaft. Unternehmen ohne marktfähige Produkte oder Dienstleistungen gibt es nur im Kommunismus.
Haben sich die Unternehmensbewertungen inzwischen von der Realität abgekoppelt?
Ich würde nicht sagen, dass sich die Unternehmensbewertungen von der Realität entfernt haben. Ich würde nur sagen, dass wir in Teilbereichen des Markts wilde Spekulation haben. Bei Aktien im Allgemeinen bin ich nicht der Meinung, dass die Bewertung zu hoch ist. Vor allem österreichische Unternehmen sehe ich keineswegs als überbewertet.
Nun ein Thema, das vom Finanzmarkt nicht mehr wegzudenken ist und das viele für überbewertet halten: Bitcoin. Plant die Wiener Börse etwas dazu?
Wir haben zwei börsengehandelte Produkte, kurz ETPs, im Angebot, die werden leidlich gehandelt. Wir sind da sicher nicht der attraktivste Platz. Wir haben auch keine Bestrebungen in diese Richtung. Mich würde eher interessieren: Welche Frage beantwortet der Bitcoin?
Inflation, sagen Befürworter. Dem liegen große Missverständnisse zugrunde. Inflation ist nur das Ziel des beabsichtigten Wachstums. Ich möchte nicht mit einer Währung unterwegs sein, die ständig deflationiert. Deflation führt dazu, dass die Leute ihr Geld zusammenhalten. Außerdem hatten wir erst kürzlich 20 Prozent Wertverlust in diesem angeblich inflationssicheren Instrument. Das ist absurd.
Ist nicht Gold auch genau deswegen ein Wertaufbewahrungsmittel, weil es knapp ist?
Ja, aber Gold hat sich seit Jahrtausenden bewährt. Es hat einen industriellen Nutzen, wird als Rohstoff gebraucht und als Schmuck. Bitcoin ist eine Tulpen-Mania. Egal, ob es um Inflation oder die Unabhängigkeit vom Staat geht, ist Bitcoin jeder Handlungsalternative haushoch unterlegen. Auch die Transaktionskosten sind hoch. Wie kommt man auf die Idee, für die Verifikation von Zahlungen ein Meganetzwerk zu nutzen? Das ist das Ineffizienteste, was man machen kann. Die Mining-Power sitzt übrigens in China und Russland. Das sind also die Hauptverifizierungsorte für die Transaktionen. Wer bei Verstand kann das wollen?
PayPal, Visa, Mastercard und andere Firmen bieten BitcoinDienstleistungen an.
Ja, aber mitnichten substituieren sie ihr Kerngeschäft damit. Niemand dort glaubt an Bitcoin als Zahlungsmittel, denn sie bieten alle nur Verwahrung und Erwerb an, wollen also nur über Gebühren an der wachsenden Spekulation mitschneiden. Vielleicht ist das auch eine gute Abwehrstrategie. Aber eines muss auch ich anerkennen: Bitcoin ist extrem wichtig für den kriminellen Zahlungsverkehr. Wenn die Wiener Börse angegriffen wird, kommt die Zahlungsaufforderung ausschließlich in Bitcoin. Wer sagt, Bitcoin sei so transparent und nachverfolgbar, der soll zu uns kommen, und er erhält 50.000 Euro, wenn er die Identität dieser Verbrecher aufdeckt.