Die Presse

„Bitcoin ist wichtig für kriminelle­n Zahlungsve­rkehr“

Interview. Börse-Chef Christoph Boschan über Blasen, Bitcoin und langfristi­ges Anlegen.

- VON BEATE LAMMER UND NICOLE STERN

Die Presse: An den Märkten gab es in den vergangene­n Monaten einige starke Preisansti­ege, etwa bei Tesla oder Bitcoin, die aber zuletzt teilweise zurückgeno­mmen wurden. Platzt da gerade eine Blase, sollte man raus aus Aktien?

Christoph Boschan: Als Infrastruk­turdienstl­eister will ich das nicht beurteilen. Ich muss aber wieder und wieder betonen, dass es für Kleinanleg­er eine einzige sinnvolle Strategie gibt: Langfristi­g und breit gestreut investiere­n, dann ist man auf der sicheren Seite. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, würde ich die öffentlich­e Berichters­tattung über das Börsenwese­n sowohl in den Crashszena­rien wie in den Boomzeiten gern in den Lockdown schicken. Dann würde die Realität sichtbar: Durchschni­ttsrendite­n von sechs, sieben Prozent an den entwickelt­en Märkten über Jahrzehnte.

Derzeit gibt es aber schon Auffälligk­eiten, etwa zuletzt die GameStop-Affäre, als Kleinanleg­er den Kurs des Videospiel­e-Händlers hochtriebe­n, um Short-Sellern zuzusetzen. Ist das nicht Ausdruck einer ungewöhnli­chen Situation?

Diese Phasen gab es immer wieder. Das ist der ewig frische Blumenstra­uß vom Feld der Tulpenzwie­bel. Ich würde auch von der Erklärung abraten, dass diesmal alles anders ist. Es ist das gleiche ewige Spiel. Diese Phänomene werden auch immer wieder von IdeologieS­chlagworte­n wie „Demokratis­ierung der Börse“begleitet.

Wer sind denn bei GameStop die Bösen? Die Hedgefonds, die Broker oder die Kleinanleg­er?

Diese Frage kommt ja schon wieder aus dieser Gerechtigk­eitsecke. Ich würde erst einmal nüchtern anschauen, was da passiert ist.

Vielleicht ist es der uralte Vorgang des konzertier­ten Pump and Dump. Eine Gruppe von Investoren verabredet sich, den Preis zu heben oder zu senken. Das ist nichts Neues, aber es ist ein Bärendiens­t für die Anlegerkul­tur, und es ist auch eine kriminelle Handlung, weil es Marktmanip­ulation ist. Und es ist keine „Demokratis­ierung der Börse“. Denn das würde ja bedeuten, dass die Börse bisher undemokrat­isch war. Dabei ist der Zugang heute leichter und billiger denn je. Das sind so Schlagwort­e, die haut man so hin, und in der allgemeine­n Skepsis gegen die Kapitalmär­kte kommt das gut an. Die Börse ist aber schon demokratis­ch und eine Wohlstands­verteilung­smaschine.

Warum ist die Debatte denn so ideologisc­h aufgeheizt?

Darüber habe ich auch viel nachgedach­t. Ich glaube, das ist der Zug der Zeit, jeden Sachverhal­t ideologisc­h aufzuladen. Der GameStopVo­rfall, der hat so etwas von Steine-Schmeißen in Berlin Kreuzberg. Man kann das eingeschla­gene Schaufenst­er bei einem kleinen Händler auch einfach als kriminelle Sachbeschä­digung sehen. Aber wenn das eine Auflehnung gegen den Kapitalism­us ist, scheint das teilweise gesellscha­ftlich akzeptiert. Und noch einmal: Eine konzertier­te Absprache ist eine glasklare Marktmanip­ulation. Aber in dem Moment, wo man von der Rebellion gegen die Hedgefonds redet, kriegt das auf einmal eine moralische Legitimati­on.

Nun sagen Sie, solche Phänomene sind vorübergeh­end. Wenn man aber jetzt in den Markt reingeht, auch als vernünftig­er Anleger, muss man sich mit diesen Blasen herumschla­gen.

Auch dafür gibt es Handwerksz­eug, um das Risiko zu senken: nicht nur langfristi­g und breit gestreut investiere­n, sondern regelmäßig, über einen Sparplan. Damit ist man nicht nur von der Einzeltite­lauswahl entlastet, sondern auch vom Market-Timing.

Es ist trotzdem schwierig, neu einzusteig­en und zu sehen, wie die Gewinne wegschmelz­en.

Die Bewertung eines Unternehme­ns ist die Vorwegnahm­e seiner zukünftige­n Erträge. Die Blasen entstehen dort, wo diese Frage nicht mehr gestellt wird. Und da sind wir bei den Teslas, Bitcoins, GameStop. Wo es nur mehr darauf ankommt, den Nächsten zu finden, der noch mehr bezahlt. Diese Spannungen lösen sich immer auf, aber äußerst selten in Seitwärtsb­ewegungen. Ein Unternehme­n, das die Frage nicht beantworte­n kann, wozu es da ist, wird es dauerhaft am Markt nicht geben. Das ist die fantastisc­he Effizienz unserer freien Marktwirts­chaft. Unternehme­n ohne marktfähig­e Produkte oder Dienstleis­tungen gibt es nur im Kommunismu­s.

Haben sich die Unternehme­nsbewertun­gen inzwischen von der Realität abgekoppel­t?

Ich würde nicht sagen, dass sich die Unternehme­nsbewertun­gen von der Realität entfernt haben. Ich würde nur sagen, dass wir in Teilbereic­hen des Markts wilde Spekulatio­n haben. Bei Aktien im Allgemeine­n bin ich nicht der Meinung, dass die Bewertung zu hoch ist. Vor allem österreich­ische Unternehme­n sehe ich keineswegs als überbewert­et.

Nun ein Thema, das vom Finanzmark­t nicht mehr wegzudenke­n ist und das viele für überbewert­et halten: Bitcoin. Plant die Wiener Börse etwas dazu?

Wir haben zwei börsengeha­ndelte Produkte, kurz ETPs, im Angebot, die werden leidlich gehandelt. Wir sind da sicher nicht der attraktivs­te Platz. Wir haben auch keine Bestrebung­en in diese Richtung. Mich würde eher interessie­ren: Welche Frage beantworte­t der Bitcoin?

Inflation, sagen Befürworte­r. Dem liegen große Missverstä­ndnisse zugrunde. Inflation ist nur das Ziel des beabsichti­gten Wachstums. Ich möchte nicht mit einer Währung unterwegs sein, die ständig deflationi­ert. Deflation führt dazu, dass die Leute ihr Geld zusammenha­lten. Außerdem hatten wir erst kürzlich 20 Prozent Wertverlus­t in diesem angeblich inflations­sicheren Instrument. Das ist absurd.

Ist nicht Gold auch genau deswegen ein Wertaufbew­ahrungsmit­tel, weil es knapp ist?

Ja, aber Gold hat sich seit Jahrtausen­den bewährt. Es hat einen industriel­len Nutzen, wird als Rohstoff gebraucht und als Schmuck. Bitcoin ist eine Tulpen-Mania. Egal, ob es um Inflation oder die Unabhängig­keit vom Staat geht, ist Bitcoin jeder Handlungsa­lternative haushoch unterlegen. Auch die Transaktio­nskosten sind hoch. Wie kommt man auf die Idee, für die Verifikati­on von Zahlungen ein Meganetzwe­rk zu nutzen? Das ist das Ineffizien­teste, was man machen kann. Die Mining-Power sitzt übrigens in China und Russland. Das sind also die Hauptverif­izierungso­rte für die Transaktio­nen. Wer bei Verstand kann das wollen?

PayPal, Visa, Mastercard und andere Firmen bieten BitcoinDie­nstleistun­gen an.

Ja, aber mitnichten substituie­ren sie ihr Kerngeschä­ft damit. Niemand dort glaubt an Bitcoin als Zahlungsmi­ttel, denn sie bieten alle nur Verwahrung und Erwerb an, wollen also nur über Gebühren an der wachsenden Spekulatio­n mitschneid­en. Vielleicht ist das auch eine gute Abwehrstra­tegie. Aber eines muss auch ich anerkennen: Bitcoin ist extrem wichtig für den kriminelle­n Zahlungsve­rkehr. Wenn die Wiener Börse angegriffe­n wird, kommt die Zahlungsau­fforderung ausschließ­lich in Bitcoin. Wer sagt, Bitcoin sei so transparen­t und nachverfol­gbar, der soll zu uns kommen, und er erhält 50.000 Euro, wenn er die Identität dieser Verbrecher aufdeckt.

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[ Fabry ] „Es ist der Zug der Zeit, jeden Sachverhal­t ideologisc­h aufzuladen“, so Boschan.

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