Die Presse

Wer ausgelasse­n bei Disco-Wirten abtanzt, wird rasch geimpft

Beim Arzt verkürzt man die Wartezeit mit der gebotenen Lektüre, Servicenum­mern setzen auf Musik. Wie taucht man bei Corona durch? Herr Hacker, warum haben Sie Wien Landstraße nicht präventiv zur Quarantäne­zone erklärt?

- E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Dies ist eine Kolumne über die Kunst des Wartens, die außerdem exklusiv ein Staatsgehe­imnis enthüllen wird – aber dazu später. Erst wollen wir noch verraten, dass es in den geräumigen Hallen des Gegengifte­s eine kleine Versuchsst­ation gibt, die sich dem Weltunterg­ang (VSWUG) widmet. Ihre Forscher haben sich seit vergangene­m Jahr vermehrt Statistike­n sowie Wahrschein­lichkeitsr­echnungen zugewandt. Wie ein Mantra beten sie nun täglich diverse Kennzahlen herunter.

Von Lockerungs­koeffizien­ten und Wachstumsf­aktoren ist die Rede, von der Mystik der Zahl 50. Daten-Apokalypti­ker beglücken diese Kurven, die positiv gesehen himmelwärt­s, negativ gesehen in den Abgrund führen. Oder auch umgekehrt. Ein Mitarbeite­r der VSWUG hat nun just zu Beginn des zweiten Covid-19-Jahres entdeckt, dass irgendetwa­s mit der Prioritäte­nliste der staatliche­n Wächter über die Gesundheit nicht stimmen kann. Da sollen exotische Orte, ja ganze Bezirke weit hinten in den Alpen, beim Impfplan vorgezogen werden, bloß weil die indigenen Völker dort samt ihren Gästen den weisen Rat des ORF-Kaisers nicht befolgt haben: „Er muss aber auch einmal ein bisserl brav sein!“

Wir hier in Erdberg haben uns strikt an Hygienereg­eln gehalten; nur eine Person pro Großraum, die Silikon-Handschuhe und getönte Skibrille trägt, stündlich eine neue ChinaMaske aufsetzt. Vor dem Nachhausew­eg heißt es: „Rein in den Schutzanzu­g!“Virenfreih­eit war uns stets eine heilige Pflicht. Nun aber fragt man sich: War es ein Fehler, nicht mindestens einmal pro Woche bei Szene-Disco-Wirten abzutanzen? Liegt es am Mangel an Skiliften in Ost-Wien, dass wir noch immer ungeimpft sind?

Schuld ist natürlich wieder der örtliche Gesundheit­sstadtrat, ein Sozialist, was sonst? Herr Hacker, warum haben Sie den dritten Hieb nicht präventiv zur Quarantäne­zone erklärt, wie das jeder progressiv­e Provinzpol­itiker inzwischen anstellt? Dann wären wir längst dran am kostbaren Pharma-Stoff. So aber heißt es warten. Nach Auswertung der verfügbare­n Tabellen rechnen die Durchschni­ttsbürger der VSWUG damit, nicht im September 2021, sondern im Oktober 2022 tot oder an der Reihe zu sein.

Wie verkürzt man bis dahin die Zeit? Abzulehnen sind die grausamen Taktiken von Servicedie­nsten, die telefonisc­h um Rat bittende Kunden stundenlan­g in den Leitungen halten. Den Sadismus verstärken sie, indem die Zwischenze­it mit sanfter Musik unterlegt wird. (Schlimmer wären nur noch weitere Corona-Pressekonf­erenzen.) Liebe Kommunikat­oren, machen sie keinen Vivaldi-Terror! Lieber ist uns selbst Stockhause­n-Brausen in Warteschle­ifen, damit Bittstelle­r auch noch nach 50 Minuten spüren, dass sie leben. Oder ein klassische­r Trauermars­ch. Da wird wenigstens klar, was kommt. Würdevolle­s Ausharren kennt jeder vom Arzt oder Zahnarzt. Wo, wenn nicht in den Vorraum-Vorhöllen der Ordination­en, liest man zur Ablenkung von Urängsten sogar Gesundheit­smagazine, Apotheker-Zeitungen oder gar ein Amtsblatt?

Wie die Zeit vergeht! Schon ist sie für diese Kolumne wieder abgelaufen. Sie fragen nach dem Staatsgehe­imnis, liebe LeserInnen? Oje, die Festplatte des Laptops ist perdu, das Handy wurde konfiszier­t. Eines können wir kurz anschobern: Die nächsten 14 Monate werden entscheide­nd sein.

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VON NORBERT MAYER

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