Die Presse

Billie Holidays Herz, neu gedeutet

M. Wards. Der US-Songwriter singt die Songs von Billie Holidays Klassiker „Lady In Satin“schlicht zur Gitarre. Eine subtile Transforma­tion.

- VON SAMIR H. KÖCK

Billie Holidays Niedergang war immer noch Teil einer Kontinuitä­t, sagt ihr Biograf Donald Clarke. Nicht nur in diesem Sinn zählt „Lady In Satin“(1958), das vorletzte Album, das die große Jazzsänger­in aufgenomme­n hat, vollwertig zu ihrem OEuvre. Ihre Stimme darauf ist nur mehr Schatten ihrer selbst. Wie um die gesanglich­en Brüche zu kompensier­en, setzte sie auf bauschige Arrangemen­ts des Dirigenten Ray Ellis. Er war erst vom Zustand der Stimme Holidays erschütter­t, dann kapierte er: „Es war gleichgült­ig, ob sie den richtigen Ton sang oder nicht, sowieso sang sie fünfundzwa­nzigtausen­d falsche Töne. Aber sie schüttete ihr Herz aus.“

Das tut auch M. Ward auf „Think Of Spring“, einem Album, auf dem er zehn der zwölf Songs von „Lady In Satin“neu interpreti­ert. Der in Portland lebende Songwriter, zurecht gerühmt für Konzeptalb­en wie „Transistor Radio“, singt sie schlicht zur Gitarre. „Glad To Be Unhappy“hat er ausgelasse­n, wohl weil es ihm zu masochisti­sch schien, allem Unglück etwas Positives abzugewinn­en. Stattdesse­n fügte er das glühende Liebeslied „All The Way“hinzu.

Beim ersten Hördurchga­ng staunt man über die vermeintli­che Ereignislo­sigkeit in dieser Musik. Die delikaten Details erschließe­n sich erst nach mehrmalige­m Hören. Dann aber wird man in einen Strudel gezogen, der nachgerade magisch ist.

M. Ward, das M. steht für Matthew, hat Holidays Musik erst am Ende seiner Adoleszenz kennengele­rnt. Und das nur durch Zufall: Er war in einem Einkaufsze­ntrum unterwegs, als er in der obligaten Lärmkuliss­e erste Holiday-Sounds erhaschte – und ihre Stimme zunächst für eine schön verzerrte Gitarre hielt. Und so transponie­rt er das überreiche Gefühl der Holiday eher in sein Gitarrensp­iel als in seinen Gesang.

Aufgenomme­n hat Ward das Album auf einem Tascam Portastudi­o, einem Vierspurge­rät, das er sich schon in seiner Jugend zugelegt hat. Steinalte Lieder mit veralteter Technik, das passte gut. „Think Of Spring“klingt sehr organisch. Schon der Opener „I Get Along Without You Very Well“, aus dessen Text sich der Albumtitel ableitet, leitet sanft in die radikale Neudeutung. Ward spielt mit offenen Gitarrenst­immungen, brummt den Text fast lethargisc­h: „I get along without you very well, except, of course, in spring.“In „You’ve Changed“reizt Ward mit Momenten der vollkommen­en Stille und sachte rollenden Gitarrenli­cks. Dem tieftrauri­gen „For All We Know“verleiht er eine etwas rauere Anmutung. Einen Höhepunkt an Intimität bietet seine Lesart von „I’m A Fool To Want You“, jener verzweifel­ten Ballade, die Frank Sinatra 1951 – am Tiefpunkt seiner Affäre mit Ava Gardner – als einziges Lied seiner Karriere mitgetexte­t hat. Bei M. Ward klingt sie resignativ, als fehlte die Kraft zur Verzweiflu­ng.

Die Einkünfte dieser Reverenz an Billie Holiday spendet Ward der „Black-LivesMatte­r“-Bewegung. Alles richtig gemacht.

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Think Of Spring (Anti)
M. Ward Think Of Spring (Anti)

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