Der Beginn der Globalisierung
Kommunikation. Denkt man an das Biedermeier-Österreich, liegt der Gedanke an den Beginn der heimischen Telegrafie nicht nahe. Doch damals war die Zeit der ersten Netze.
Je mehr es den Menschen gelingt, den Raum, der sie trennt, in möglichst kurzer Zeit zu überwinden, desto nützlicher ist das für sie. Durch den schnellen „Ideenwechsel“nimmt nämlich ihre geistige Bildung zu, in der Folge auch der äußere Wohlstand und damit die soziale Zufriedenheit. Also müssten wir im Zeitalter des Internets reich und glückselig unser Leben fristen. Doch die zitierte Vision stammt von einem Zukunftsoptimisten des Jahres 1833, der beeindruckt war von der Geschwindigkeit, mit der durch die Entwicklung des Telegrafen Botschaften über gewaltige Entfernungen versandt werden konnten. Und zwar in Sekundenbruchteilen und auch bei schlechter Sicht! Das war nicht nur schneller als mit der Postkutsche, die war ohnehin passe,´ sondern sogar schneller als durch die Neuerfindung der Eisenbahn.
Freilich: Der Mann, der sich hier als Verfechter der Moderne zeigte, stammte aus Preußen und nicht aus dem Biedermeier-Österreich des Fürsten Metternich. Dieser riet seinem Monarchen von der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung ab: Wer wisse schon, auf welche konspirativen Ideen da der Bürger komme. Der Missbrauch lag auf der Hand, wenn jeder Börsenkurse, Lottoziehungen oder irgendwelche Spekulationen weitergeben könnte. Doch „für die Zwecke der Staatspolitik und Staatspolizei“eröffneten sich da großartige Perspektiven, etwa für die Verfolgung flüchtiger Verbrecher. Je schneller zudem eine Information an die Truppen, etwa im stets störrischen Italien, gelangte, desto effektiver konnten Aufstände niedergeschlagen werden.
Die Telegrafie beginnt mit Morse
Noch gab es dieses moderne Netz nicht, aber dennoch verbreitete sich die Nachricht von der neuen Erfindung sehr schnell, auch im industriell rückständigen Österreich. Samuel Morse erlangte 1840 das Patent für seinen elektromagnetischen Telegrafen. Man konnte mit einer Taste kurze oder lange Stromimpulse über eine Drahtleitung schicken, verschiedene Kombinationen solcher Impulse machten einen Buchstaben oder eine Zahl aus. Niedergeschrieben wurde das an der Empfangsstation, ein Metallstift reagierte hier auf die Impulse und prägte die Botschaft auf einen Papierstreifen. War ein Wort zu Ende, folgte eine kurze Pause. Die Nachricht war übermittelt.
Jede Geschichte der Telegrafie beginnt also mit Morse, auch die neueste Publikation des Technischen Museums Wien über die Geschichte des Telegrafennetzes in Österreich, beginnend bei dem elitären und teuren Korrespondenzmittel aus der Monarchie bis hin zu den populären Massenmedien unserer Zeit, die in Form des Smartphones jedes Kind bei sich herumträgt. Auch Nichttechniker wie der Verfasser dieser Zeilen erfahren durch die verständlich geschriebene Darstellung und die zahlreichen Fotos genau das, was man über die Entwicklung der „telegrafischen Vision“wissen sollte.
Die Landnahme des ungeheuer weiten amerikanischen Kontinents war zu Morses Zeiten gerade im Gange, vor allem mithilfe der Eisenbahnlinien. Entlang dieser unverbauten Trassen zogen sich die Telegrafenlinien, bald auch in Europa, 1845 zwischen dem Wiener Nordbahnhof und der Station Floridsdorf, ein Jahr darauf bis Gänserndorf und weiter nach Brünn und Prag. Eine rasante Entwicklung. Der Physikprofessor und „Telegrafenbauinspektor“Julius Gintl brachte die Apparate eigenhändig mit der Bahn nach Prag. Sein Zug hatte wegen Nebels einen schweren Unfall, Gintl reiste verletzt mit einem Leiterwagen weiter, überbrachte die Apparate, setzte sich hin und schickte eine telegrafische Nachricht über das Zugsunglück hinaus.
Ab 1847 war das auch juristisch geregelt: Der Staat hatte die Hand darauf. Masten aufzustellen, Kupferdrähte zu ziehen war ja auch teuer, dazu die Apparate (24 Gulden), die Batterien und eine Weckvorrichtung, sollte der diensthabende Beamte gerade schlafen, wenn eine solche „Depesche“kam. Teurer war zudem die Variante, die Drähte unter die Erde zu legen, um Sabotage zu verhindern. Wir nähern uns dem Revolutionsjahr 1848. Wehe, der Leiter eines der neuen Telegrafenämter war nicht strikt kaisertreu! Dann wurde der Verkehr eingestellt.
Vor allem in Handelskreisen forderte man den Netzausbau in alle Provinzhauptstädte, nicht zuletzt für die Übermittlung der Börsenkurse. Natürlich traten hier Pannen auf: Erstens passierten den Telegrafisten Fehler beim Durchgeben der Kurse, was in diesem Fall besonders unangenehm war, und zweitens wurden absichtlich falsche Informationen durchgegeben, um damit zu spekulieren.
Je dichter das Netz, desto schwieriger die Finanzierung. Sollte man nicht doch private Nutzer heranziehen? Der junge Kaiser Franz Joseph gab dem Drängen seines Handelsministers Karl Ludwig von Bruck nach und erlaubte am 11. Oktober 1849 auch die „Beförderung von Privat-Correspondenzen für das Publikum“, zu einem horrenden Preis und natürlich unter Aufsicht der Zensur. „Über die Eignung entscheidet der Vorsteher des Telegrafenamtes.“Der abschreckende Effekt für die gemeine Masse war offensichtlich. Doch die Öffnung war der einzig gangbare Weg, auch wenn er beschwerlich war. Bald zeigte sich, dass durch die steigenden Einnahmen der Netzausbau ermöglicht wurde.
Nicht „Hochwohlgeboren“schreiben
Nach und nach überzog das Telegrafennetz die Monarchie, bis Bregenz, Triest und Bozen, sowie das benachbarte Ausland. Die Entfernungen schwanden: ein epochaler Schritt und ein Gewinn an Geschwindigkeit. Doch die Belastung der Netze stieg, vor allem während der Geschäftskorrespondenz, mehr als 20 Depeschen pro Stunde und Apparat waren nicht möglich. Man sollte daher kurz und bündig formulieren, war die Anweisung, unnötige Phrasen wie „Hochwohlgeboren“, „Eure Exzellenz“meiden.
Als die Verbindung über den Ärmelkanal nach Großbritannien gelungen war, gerieten die USA ins Visier. Ein Atlantikkabel, um die langsamen Dampfschiffe zu ersetzen, war ein sensationelles und anfangs belächeltes Unterfangen, war es doch Belastungen durch die Gezeiten, Schiffsanker, Schleppnetze ausgesetzt.
Immer wieder begannen die Schiffe, im Atlantik Kabel zu verlegen, mehrmals kam es zu Rissen. 1859 gelang aber erstmals eine Verbindung zwischen Irland und Neufundland. Eine Weltsensation war perfekt, als die britische Königin und der US-Präsident Glückwünsche tauschten. Dann riss das Kabel wieder, doch der Weg war beschritten: die Verkabelung der Welt, die Aufhebung des Raums, denn „der electrische Blitz durcheilt in Augenblicken Hunderte, ja Tausende von Meilen, in jeder Richtung über Land und Meer, und teilt die Gedanken und Wünsche der Menschen nach jedem Orte getreu und zuverlässig mit“. Da hatte man noch keine Ahnung von Algorithmen, Bots, Trollen und Fake News.