Das Märchen von der schiefen Optik ohne Happy End
Das Gespür, was in der österreichischen Politik geht und was nicht, ist seit jeher unterentwickelt. Den vielen Beispielen jetzt sollte man dankbar sein.
Seit Jahrzehnten laufen politisch nicht ganz saubere Dinge nach ein und demselben Muster ab. Wenn sie keine strafrechtliche Relevanz haben, heißt es immer verharmlosend: Aber die Optik ist zumindest schief. Fall erledigt. Daran haben sich offenbar alle gewöhnt und merken dabei gar nicht, welches Zerrbild der Republik da entsteht.
Es scheint niemanden zu interessieren, warum es überhaupt dazu kommen kann, was der Ausgangspunkt ist. Würde alles korrekt ablaufen, würden alle wissen, was geht und was nicht geht; käme niemand in Erklärungsnotstand, müsste niemand der Öffentlichkeit das Märchen von der schiefen Optik auftischen. Es wird nicht erst jetzt erzählt. Dabei wird eine uralte Regel in der Politik missachtet, die da lautet: „The Cover Up is Worse Than the Crime.“Oder in der niedlicheren österreichischen Mutation: Die Vertuschung ist schlimmer als das Vergehen selbst.
Einige aktuelle Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Die Firma Hygiene Austria führt einen Maskentanz auf und streitet alles ab. Hätte sie gleich reinen Wein eingeschenkt, wäre der Schaden für das Unternehmen und – noch wichtiger – in der Folge für die Glaubwürdigkeit der Politik geringer. So steht die Prominenz, die einst die Hallen stolz durchstreifte, als blamiert da.
Strafverteidiger Wolfgang Brandstetter muss als Justizminister die komplizierte Konstruktion eines Weisenrats aufziehen, um nicht in den Verdacht der Befangenheit zu geraten. Nach dem unmittelbaren Wechsel von der Regierungsbank in den Verfassungsgerichtshof muss er sich von Entscheidungen aus seiner Regierungszeit absentieren. Im Zweitberuf ist er Rechtsvertreter eines Freundes (Michael Tojner). Wie ist das jetzt mit den Beziehungen zu seinem früheren Ressort? Wären Befangenheit und Unvereinbarkeit bedacht worden, gäbe es jetzt kein Gerede um die schiefe Optik.
Als Finanzminister brachte KarlHeinz Grasser 500.000 Euro in bar über die Grenze von der Schweiz nach Österreich und danach außerhalb der Geschäftszeiten in Tranchen in die MeinlBank. Er hätte wissen müssen, dass er als Politiker so etwas zu unterlassen hat. Als es aufflog, musste die Schwiegermutter herhalten.
Und dann Ibiza! Seit zwei Jahren beschäftigt sich die Politik und die Öffentlichkeit mit der Frage, was an dem Treffen von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache strafrechtlich relevant ist, was nur Dummheit und was verheerende Optik. Dass dieses Treffen nie hätte stattfinden dürfen und was es über den Zustand der Politik aussagt, wird nicht diskutiert.
Das Gespür für politisch Erlaubtes und Verpöntes ist in Österreich seit jeher unterentwickelt – oder der Geruchssinn. Oft wurde schon festgestellt: Es stinkt! Öfter fehlte jegliche Konsequenz. Neu ist die Dimension der Schlichtheit und der Unverfrorenheit. Manche Aktionen sind einfach ein Angriff auf die Intelligenz der interessierten Wähler: Einen Laptop im Kinderwagen spazieren führen. Unter falschem Namen Festplatten schreddern. Als Spitzenbeamter eine Ausschreibung zimmern und sich dann den Top-Posten selbst holen. In einer Funktion über Förderungen entscheiden und in einer anderen Spenden für ein eigenes Projekt vom Antragsteller kassieren. Sollte in der Politik nicht der Hauch einer Unvereinbarkeit vermieden werden?
Einer, der diesen Hauch auch nicht spürt, ist der Präsident des Nationalrats, Wolfgang Sobotka, als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses und Befragter. Es könnte sein, dass die Politik in Niederösterreich für wirklich dicke Haut sorgt.
Die Gleichgültigkeit klaren Grenzen gegenüber hat kein Parteimascherl. Es häufen sich nur im Moment die Fälle in einem bestimmten Sektor.
Dieses Märchen wird nie ein Happy End haben, auch wenn es noch so oft erzählt wird. Es muss ein neuer Schluss her – mit Hilfe der Justiz und der Medien hoffentlich.
Oder in der niedlicheren österreichischen Mutation: Die Vertuschung ist schlimmer als das Vergehen selbst.