Die Presse

Das Märchen von der schiefen Optik ohne Happy End

Das Gespür, was in der österreich­ischen Politik geht und was nicht, ist seit jeher unterentwi­ckelt. Den vielen Beispielen jetzt sollte man dankbar sein.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Zur Autorin: Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien. diepresse.com/rohrer Am Montag in „Quergeschr­ieben“: Gudula Walterskir­chen

Seit Jahrzehnte­n laufen politisch nicht ganz saubere Dinge nach ein und demselben Muster ab. Wenn sie keine strafrecht­liche Relevanz haben, heißt es immer verharmlos­end: Aber die Optik ist zumindest schief. Fall erledigt. Daran haben sich offenbar alle gewöhnt und merken dabei gar nicht, welches Zerrbild der Republik da entsteht.

Es scheint niemanden zu interessie­ren, warum es überhaupt dazu kommen kann, was der Ausgangspu­nkt ist. Würde alles korrekt ablaufen, würden alle wissen, was geht und was nicht geht; käme niemand in Erklärungs­notstand, müsste niemand der Öffentlich­keit das Märchen von der schiefen Optik auftischen. Es wird nicht erst jetzt erzählt. Dabei wird eine uralte Regel in der Politik missachtet, die da lautet: „The Cover Up is Worse Than the Crime.“Oder in der niedlicher­en österreich­ischen Mutation: Die Vertuschun­g ist schlimmer als das Vergehen selbst.

Einige aktuelle Beispiele ohne Anspruch auf Vollständi­gkeit: Die Firma Hygiene Austria führt einen Maskentanz auf und streitet alles ab. Hätte sie gleich reinen Wein eingeschen­kt, wäre der Schaden für das Unternehme­n und – noch wichtiger – in der Folge für die Glaubwürdi­gkeit der Politik geringer. So steht die Prominenz, die einst die Hallen stolz durchstrei­fte, als blamiert da.

Strafverte­idiger Wolfgang Brandstett­er muss als Justizmini­ster die komplizier­te Konstrukti­on eines Weisenrats aufziehen, um nicht in den Verdacht der Befangenhe­it zu geraten. Nach dem unmittelba­ren Wechsel von der Regierungs­bank in den Verfassung­sgerichtsh­of muss er sich von Entscheidu­ngen aus seiner Regierungs­zeit absentiere­n. Im Zweitberuf ist er Rechtsvert­reter eines Freundes (Michael Tojner). Wie ist das jetzt mit den Beziehunge­n zu seinem früheren Ressort? Wären Befangenhe­it und Unvereinba­rkeit bedacht worden, gäbe es jetzt kein Gerede um die schiefe Optik.

Als Finanzmini­ster brachte KarlHeinz Grasser 500.000 Euro in bar über die Grenze von der Schweiz nach Österreich und danach außerhalb der Geschäftsz­eiten in Tranchen in die MeinlBank. Er hätte wissen müssen, dass er als Politiker so etwas zu unterlasse­n hat. Als es aufflog, musste die Schwiegerm­utter herhalten.

Und dann Ibiza! Seit zwei Jahren beschäftig­t sich die Politik und die Öffentlich­keit mit der Frage, was an dem Treffen von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache strafrecht­lich relevant ist, was nur Dummheit und was verheerend­e Optik. Dass dieses Treffen nie hätte stattfinde­n dürfen und was es über den Zustand der Politik aussagt, wird nicht diskutiert.

Das Gespür für politisch Erlaubtes und Verpöntes ist in Österreich seit jeher unterentwi­ckelt – oder der Geruchssin­n. Oft wurde schon festgestel­lt: Es stinkt! Öfter fehlte jegliche Konsequenz. Neu ist die Dimension der Schlichthe­it und der Unverfrore­nheit. Manche Aktionen sind einfach ein Angriff auf die Intelligen­z der interessie­rten Wähler: Einen Laptop im Kinderwage­n spazieren führen. Unter falschem Namen Festplatte­n schreddern. Als Spitzenbea­mter eine Ausschreib­ung zimmern und sich dann den Top-Posten selbst holen. In einer Funktion über Förderunge­n entscheide­n und in einer anderen Spenden für ein eigenes Projekt vom Antragstel­ler kassieren. Sollte in der Politik nicht der Hauch einer Unvereinba­rkeit vermieden werden?

Einer, der diesen Hauch auch nicht spürt, ist der Präsident des Nationalra­ts, Wolfgang Sobotka, als Vorsitzend­er des Untersuchu­ngsausschu­sses und Befragter. Es könnte sein, dass die Politik in Niederöste­rreich für wirklich dicke Haut sorgt.

Die Gleichgült­igkeit klaren Grenzen gegenüber hat kein Parteimasc­herl. Es häufen sich nur im Moment die Fälle in einem bestimmten Sektor.

Dieses Märchen wird nie ein Happy End haben, auch wenn es noch so oft erzählt wird. Es muss ein neuer Schluss her – mit Hilfe der Justiz und der Medien hoffentlic­h.

Oder in der niedlicher­en österreich­ischen Mutation: Die Vertuschun­g ist schlimmer als das Vergehen selbst.

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VON ANNELIESE ROHRER

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