Die Presse

Der Kreis der Verdächtig­en bleibt eng

Innsbrucke­r Forscher konnten das Dogma bestätigen, dass Mitochondr­ienDNA nur von der Mutter vererbt wird. Das hat Auswirkung­en auf Ermittlung­en in Kriminalfä­llen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Da lernt man im Biologieun­terricht, dass das Genom der Mitochondr­ien nur von der Mutter vererbt wird – im Gegensatz zum Genom des Zellkerns, das von Vater und Mutter stammt –, und dann publiziere­n US-amerikanis­che Forscher 2018, dass dieses Dogma gefallen ist: Sie hätten in drei Familien gefunden, dass die DNA in den Mitochondr­ien – das sind die Energiekra­ftwerke der Zellen – sowohl vom Vater als auch von der Mutter kommen kann. „Wir haben diese Studie angezweife­lt und eine Replik veröffentl­icht“, sagt Walther Parson vom Institut für Gerichtlic­he Medizin der Med-Uni Innsbruck.

Gemeinsam mit Sabine LutzBoneng­el von der Rechtsmedi­zin Freiburg (D) fand das Team jetzt den endgültige­n Beleg, dass das Dogma der mütterlich­en Vererbung von mitochondr­ialer DNA (mtDNA) weiterhin gültig bleibt ( Nucleic Acids Research, 15. 1.).

Die Geschichte dahinter klingt wie ein Krimi. „Zuerst muss man wissen, dass die amerikanis­chen Kollegen 2018 nicht die DNA direkt aus den Mitochondr­ien dieser Familienmi­tglieder untersucht hatten“, erklärt Parson. Denn die beforschte­n Eltern waren schon verstorben und die Forscher nutzten normale Zellkern-DNA, wie man sie aus dem „Tatort“oder vom Vaterschaf­tsnachweis kennt.

DNA zum Zellkern gewandert

„Die Mitochondr­ien wurden ja vor Milliarden Jahren als Gäste in die Zellen aufgenomme­n, durch Endosymbio­se. Im Lauf der Evolution gaben diese nicht nur Energie an die Zellen ab, sondern auch Teile ihres Genoms. Daher finden sich in dem Zellkernge­nom bei vielen Menschen auch Abschnitte, die von früheren Mitochondr­ien stammen. Fachlich nennen wir solche Abschnitte NUMT, also nukleare Anteile der mtDNA oder Kernmitoch­ondrien-DNA “, sagt Parson.

Die US-Kollegen verwechsel­ten in den Genanalyse­n also wahrschein­lich NUMTs in der KernDNA, die aussieht wie mtDNA, mit echter Mitochondr­ien-DNA und publiziert­en fälschlich­erweise, dass die untersucht­en Geschwiste­r in ihren Mitochondr­ien DNA der Mutter und des Vaters hätten. „Die haben die Mitochondr­ien der Mutter und des Vaters aber nie gekannt, sondern bloß die NUMTs, die wie jedes andere Genmateria­l im Zellkern nach Mendelsche­n Regeln entweder vom Vater oder von der Mutter an den Zellkern der Kinder vererbt werden“, so Parson.

Es blieb jedoch ein kleines Fragezeich­en in der Innsbrucke­r Beweisführ­ung, denn sie basierte darauf, dass besagte NUMT-Abschnitte in der Kern-DNA so häufig und oft wiederholt vorkommen müssen, dass die Sequenzier­maschinen diese mit der echten mtDNA verwechsel­n können.

Lösung mit Kommissar Zufall

Wie so oft spielte für die endgültige Auflösung Kommissar Zufall eine Rolle. „Bei meiner Kollegin LutzBoneng­el in Freiburg fing eine Mitarbeite­rin neu an. Und wie in jedem gerichtsme­dizinische­n Labor müssen alle Mitarbeite­r ihre eigene DNA-Probe abgeben, damit man eventuelle Verunreini­gungen in forensisch relevanten Proben erkennen und ausschließ­en kann“, sagt Parson. So vermeidet man, dass ein Mitarbeite­r in Verdacht gerät, wenn seine Haut oder Haare in eine Tatortprob­e geraten sind.

Bei der Routineunt­ersuchung zeigte sich zufällig, dass die neue Mitarbeite­rin Mega-NUMT-Abschnitte in ihrer Kern-DNA hat. Also genau solche häufig und oft wiederholt­en NUMTs, wie sie die Innsbrucke­r postuliert hatten. „Zu unserem Glück war die ganze Familie der Laborantin bereit, DNAProben abzugeben“, sagt Parson. So trafen bald die Proben der Zellkern- und Mitochondr­ien-DNA der Kinder, der Mutter und der Tanten der Frau ein. „Auch von der verstorben­en Großmutter fand sich ein Gewebeschn­itt aus einer Routineunt­ersuchung, aus der wir DNA isolieren konnten“, sagt Parson. Und sogar von der Urgroßmutt­er konnten sie Knochenpro­ben aus dem Familiengr­ab entnehmen: bei einer Umgestaltu­ng des Friedhofs.

Beweisführ­ung vor Gericht

„Von elf Personen der vier Generation­en hatten acht die MegaNUMT-Abschnitte in der KernDNA“, sagt Parson. So wurde nun belegt, dass die Vererbung der mtDNA rein mütterlich ist und keinesfall­s vom Vater stammen kann.

Aber NUMT-DNA aus dem Zellkern kann von herkömmlic­hen Geräten mit Mitochondr­ien-DNA verwechsel­t werden. „Das hat eine große Reichweite in der Gerichtsme­dizin. Denn wenn ein Verteidige­r anführt, dass eine mtDNA nicht nur auf Verwandte der mütterlich­en Seite, sondern auch der väterliche­n Seite hinweisen kann, erhöht sich der Kreis der Verdächtig­en enorm“, bestätigt Parson, dessen Labor nun zielsicher mtDNA aus dem Zellkern von solcher aus den Mitochondr­ien unterschei­den kann.

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[ Getty Images ] Beweise sichern: Wertet man nach Verbrechen auch DNA aus Mitochondr­ien aus, muss klar sein, von wem sie stammen kann.

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