Günstiges Klima, glückselige Zeiten? Nicht unbedingt
Der Umwelthistoriker Johannes PreiserKapeller hat populäre Thesen zum Zusammenhang von gesellschaftlichen Blütezeiten und milden Klimaverhältnissen akribisch überprüft – und teilweise widerlegt.
Klimatisch günstige Epochen bringen gesellschaftliche Blütezeiten mit Wachstum und Stabilität hervor. Wird es hingegen kälter, lässt das ganze Reiche zerfallen. Das klingt dramatisch, aber nicht unplausibel. Nicht umsonst lassen sich mit der These Bestseller verkaufen. So sorgte im Vorjahr etwa „Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches“des USamerikanischen Historikers Kyle Harper für feuilletonistische Furore.
Etwas anders sieht das der Umwelthistoriker und Byzantinist Johannes Preiser-Kapeller vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). „Die einfache Gleichung geht nicht auf“, kritisiert er. „Einiges von dem, was da auch an wissenschaftlichen Studien kursiert, ist sehr simplifizierend.“Und zwar sowohl mit Blick auf verschiedene Gruppen innerhalb von Gesellschaften als auch auf unterschiedliche geografische Regionen. „Es ist immer relativ, was eine gesellschaftliche Blütezeit ist“, sagt er. „Die Frage muss lauten: Für wen?“Man müsse genau hinschauen, welche Bedingungen auch einer breiteren Bevölkerung erlaubten, zu partizipieren und physisch ein besseres Leben zu führen. „Nach dem Zerfall des Weströmischen Reiches waren die Menschen zum Beispiel im Durchschnitt besser ernährt und größer als während der angeblichen Blütezeit. Viele mussten da für eine Elite arbeiten, sie waren den Lasten einer hochkomplexen Gesellschaft unterworfen.“
Damals wie heute gelte freilich: Nicht nur die Früchte von gesellschaftlichen Wachstumsphasen sind ungleich verteilt, sondern auch die Folgen von klimatischen Katastrophen. „Krisenzeiten sind immer Katalysatoren für bestehende soziale und wirtschaftliche Bruchlinien, das erleben wir ja aktuell auch in der Coronapandemie“, so PreiserKapeller. Die Ergebnisse seiner globalhistorischen Forschungen legt er jetzt in zwei Bänden rund um Klima, Pandemien und den Wandel der Alten Welt bis 1500 n. Chr. (Band 1: „Die erste Ernte und der große Hunger“; Band 2: „Der Lange Sommer und die Kleine Eiszeit“; Mandelbaum-Verlag) vor.
Resiliente Gesellschaft ohne Staat
Für Preiser-Kapeller ist dabei auch spannend, wie es Menschen abseits der Großreiche erging. Etwa denen, die in „Zomia“lebten. So bezeichnet der niederländische Historiker Willem van Schendel jene 2,5 Millionen Quadratkilometer große Zone des südostasiatischen Hochlands, deren Bewohnerinnen und Bewohner sich konsequent einem Zentralstaat entzogen. Ein Phänomen, das – wenn auch in kleinerem Maßstab – weltweit in wenig zugänglichen Gebirgsregionen oder Sumpf- und Feuchtgebieten immer wieder beobachtet werden kann.
„Es handelt sich oft um Rückzugsgebiete für ethnisch-religiöse Minderheiten, deren Unterwerfung sich vor der Industrialisierung nicht ausgezahlt hätte“, sagt der Umwelthistoriker. Diese lebten mitunter auch weniger betroffen vom Klimawandel. Großreiche waren zwar durch ihre komplexeren Strukturen eher in der Lage, Vorratshaltung zu betreiben, aber bei großen Krisen brachen diese Pufferkapazitäten irgendwann zusammen. Kleiner und autonom organisierte Gruppen konnten flexibel auf Katastrophen reagieren und sich wehren. Zudem pflegten sie meist eine diverse Landwirtschaft, was Erträge widerstandsfähiger gegenüber Klima und Pflanzenkrankheiten machte. „In Großreichen setzte man indes auf Monokulturen und konzentrierte sich auf Produkte wie Getreide oder Baumwolle, die man leicht besteuern und verkaufen konnte.“
Ein prominentes Beispiel für eine Gesellschaft, die erfolgreich auf geänderte klimatische Bedingungen reagieren konnte, sind die Niederlande. Im Vergleich zum deutschen Kaiserreich, zu Frankreich oder auch England kamen die Menschen dort relativ gut durch die Krise der Kleinen Eiszeit (ab Anfang 15. Jahrhundert), so Preiser-Kapeller. Die Städte waren eigenständig organisiert und in Bezug auf das Versorgungssystem gut vernetzt. Als Konsequenz wuchsen die Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert zu einer globalen Wirtschaftsmacht und erlebten eine kulturelle Blütezeit.