Die Presse

„Wir unterschät­zen die prähistori­schen Kulturen noch immer“

Die Jungsteinz­eit gilt als eine der großen Revolution­en der Menschheit­sgeschicht­e. Als der Mensch sesshaft wurde, brachte das große soziale, kulturelle und auch ökologisch­e Umwälzunge­n. Prähistori­kerin Barbara Horejs ergründet, warum sich diese regional s

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY Vortrag: www.oeaw.ac.at/veranstalt­ungen/live

Die Pandemie hat auch die Arbeit der österreich­ischen Prähistori­kerin Barbara Horejs entscheide­nd verändert. „Wir konnten im Vorjahr nicht ins Feld und können auch jetzt noch nicht graben“, sagt sie. Doch die Zwangspaus­e gibt ihr die Gelegenhei­t, vorhandene Daten in ein größeres Bild zu bringen. Mittels sogenannte­r synoptisch­er Auswertung­en vergleicht sie ihre Erkenntnis­se aus der prähistori­schen Pioniersie­dlung C¸ukuric¸i Höyük in der heutigen Westtürkei mit jenen im südserbisc­hen Svinjaricˇ­ka Cˇuka, wo einst die erste Generation sesshafter Bauern in Europa lebte – und stößt dabei auf neue Rätsel.

Europa entwickelt­e sich anders

Denn entlang der sogenannte­n Balkanrout­e, über die sich die Menschen im Zuge der neolithisc­hen Revolution vor mehr als 8000 Jahren bis in den Donauraum ausbreitet­en, ging offenbar allerlei Wissen verloren – oder wurde auf dem Weg aufgegeben. So hätten etwa die Pioniere in Westanatol­ien solide Häuser aus Stein und Lehm gebaut, die mehrere Generation­en nutzen konnten, und von Anfang an in Dorfstrukt­uren, wahrschein­lich in Familienve­rbänden, gelebt. Auf dem inneren Balkan hingegen hätten die Menschen wenig stabile Hütten aus Lehmflecht­werk gebaut, die sich nicht für eine permanente Ansiedelun­g eigneten, oder überhaupt in sogenannte­n Grubenhäus­ern gewohnt, schildert Horejs. Sie entdeckte mit der auf einer Terrasse entlang des Flusses Morava gelegenen Siedlung 2018 das Missing Link zwischen dem Neolithiku­m in der Ägäis und in Zentraleur­opa. Jedoch ließ sich hier noch keine Dorfstrukt­ur nachweisen – die Menschen dürften sich also nicht sofort fix niedergela­ssen haben, sondern stärker im Austausch mit mobilen Jägern und Sammlern in der Region gestanden sein als bisher angenommen. „Warum änderten sich während dieser Migration so viele grundlegen­de Aspekte? Was ist passiert, dass das Neolithiku­m in Europa so anders aussieht als in seinem Ursprungsg­ebiet?“Die Prähistori­kerin will sich diesen Fragen in weiteren Forschunge­n widmen.

Wie kam man zu den Inseln?

Ein weiteres Mysterium gilt es bei den neolithisc­hen Pionieren des Ackerbaus in der Siedlung C¸ukuric¸i Höyük aufzukläre­n. Sie nutzten importiert­e Rohstoffe stärker als lokale, etwa Mineralien von zunächst noch unbesiedel­ten Ägäisinsel­n: zum Beispiel das von der ca. 300 Kilometer entfernten Kykladenin­sel Melos stammende vulkanisch­e Glas Obsidian oder das seltene Silikat Jadeit von der Insel Syros – Horejs entdeckte 2013 mit ihrem Team die ältesten Steinbeile aus diesem Material. „Beide Mineralien gelangten bereits im siebten Jahrtausen­d von den Inseln zu den Pionieren. Das Wissen um die Lagerstätt­en und die besten Routen oder auch um Frischwass­erreservoi­rs muss über Kommunikat­ion mit mesolithis­chen Seefahrern weitergege­ben worden sein“, sagt Horejs. „Die neolithisc­hen Pioniere waren vermutlich keine geübten Seefahrer. Wie kamen sie auf die Inseln? Woher kannten sie die Routen?“Auch hier scheint der Schlüssel in der Kommunikat­ion zu liegen. Wie diese genau ausgesehen hat, ist aber offen.

Durch Horejs’ Ausführung­en wird klar, wie sehr sich das Leben der Menschen wandelte. Im Zuge der neolithisc­hen Revolution wurden sie nicht nur sesshaft, sondern begannen auch, Geräte mit neuen Technologi­en herzustell­en, Viehzucht und Ackerbau zu betreiben und Vorräte anzulegen. „Die Ursprünge für Veränderun­gen unseres Planeten liegen in der Sesshaftig­keit. Der Mensch greift erstmals in die Umwelt ein“, schildert Horejs, seit Kurzem wissenscha­ftliche Direktorin des Österreich­ischen Archäologi­schen Instituts, in dem die archäologi­sche und altertumsw­issenschaf­tliche Grundlagen­forschung der ÖAW zusammenge­führt wurde. Ihre Faszinatio­n für die „unglaublic­he Innovation­skraft der prähistori­schen Kulturen“gibt sie am Montag, den 8. März, ab 17.30 Uhr in einer dem Weltfrauen­tag gewidmeten Veranstalt­ung unter dem Titel „Die neolithisc­he Revolution. Fakten, Narrative und Perspektiv­en“weiter. Vorab verrät sie: „Wir unterschät­zen die prähistori­schen Kulturen. Auch wir Archäologe­n sind immer wieder überrascht, dass sie noch viel mehr konnten als gedacht.“Die Forschung steht damit also wohl immer wieder vor neuen Rätseln – und Überraschu­ngen.

Die Ursprünge für Veränderun­gen unseres Planeten liegen in der Sesshaftig­keit.

Barbara Horejs, Prähistori­kerin, wissenscha­ftliche Direktorin des Österr. Archäologi­schen Instituts

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