Adas Ad Raum
Ungeheure Themen in mehrstimmiger Opulenz: Sharon Dodua Otoos „Adas Raum“.
Sharo on Dodua Otoo: Wie edergängerin in der Zeitschleife
Eine Fliege flog alle paar Sekunden gegen die Fensterscheibe. Sie erholte sich, um mit aller Wucht noch einmal gegen die Scheibe zu fliegen.“Dieses Bild, das in seinem winzigen Kosmos so anschaulich die Tragik allen Lebens zeigt, trifft auch auf die Situationen der Ada-Figuren in „Adas Raum“zu, dem Debütroman von Sharon Dodua Otoo, der britisch-deutschen, in Berlin lebenden Bachmannpreis-Gewinnerin des Jahres 2016.
Ada muss als Wiedergängerin ungeheure Zeiträume überwinden, aus jeder ihrer Zeitschleifen wird sie gewaltsam zum Tod befördert, um an einem anderen Ort zu anderer Zeit wiedergeboren zu werden. Begleitet wird sie von einer Art göttlichem Hauch, der sich während ihrer Existenzen in unterschiedlichen Gegenständen materialisiert, als Reisigbesen im ghanaischen Totope im März 1459, als Löwenkopf-Türklopfer im Londoner Stadtteil Stratford-le-Bow 1848, als gesamtes Zimmer in einem KZ-Bordell 1945 in Kohnstein bei Nordhausen.
Das sind die vergangenen Stationen, aus denen einmal aus der gegenständlichen Perspektive, ein andermal aus Sicht der jeweiligen Ada erzählt wird. Die Opulenz dieser Mehrstimmigkeit, sowohl in ihrer sprachlichen Kraft als auch in ihrer inhaltlich-surrealen Fülle, macht den Reiz dieser vielen Geschichten aus, man könnte ein beliebiges Kapitel aufschlagen und sich hineinziehen lassen, um sich dann doch noch chronologisch vorwärts zu bewegen. Oder rückwärts beginnen – viele Lesarten sind möglich.
Die vierte Ada befindet sich im Berlin der Gegenwart, hier laufen die Fäden zusammen, der göttliche Hauch ist zunächst eine Windbrise, am Ende ein Holzboden in dem Zimmer, das die schwangere Ada mieten wird. Manchmal hegt man als Leserin den kindlichen Wunsch, er möge ihr Schmerzen ersparen, ihre Peiniger bestrafen oder sie aus brenzligen Situationen retten, er aber bleibt Beobachter, mit bedauerndem Tonfall zwar, niemals jedoch greift er ein.
Einmal ein lebendiges Wesen sein
Als Reisigbesen wird er sogar dafür verwendet, die ghanaische Ada zu schlagen – er versucht zwar, sich einigermaßen dünn zu machen, aber für Ada ergibt das keinen Unterschied. Einmal nur möchte er ein lebendiges Wesen werden, erstaunlich in Anbetracht der Grausamkeiten, die er mitansehen muss: „Nie wieder möchte ich ein KZ-Zimmer sein.“
Otoo verhandelt in ihrem Roman eine ungeheure Menge an Themen: zwei herausragende Verbrechen der Menschheit – den portugiesischen Sklavenhandel und die beginnende Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents durch Europa und die Tötungsmaschinerie des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg. Dazu die länder- und zeitenübergreifende strukturelle Gewalt an Frauen und den ewigen alltäglichen Rassismus.
Die englische Ada, die an die historische Ada Lovelace, eine Mathematikerin und Programmier-Pionierin, erinnert, kann zwar in Bezug auf Gewalt ein wenig durchschnaufen, trägt aber die Bürde, im viktorianischen England ihre naturwissenschaftliche Arbeit durchsetzen zu müssen. Die Gewalt ist hier weniger körperlicher als geistiger Natur, obwohl sie am Ende von ihrem eifersüchtigen Ehemann erschossen wird. Denn Otoo dichtet Lovelace eine Affäre mit Charles Dickens an – ein heiterer Sidestep für die Tochter von Lord Byron.