Ein finnischer Don Camillo?
Expedition Europa: Warum ausgerechnet der „Wahrste aller Finnen“ein Katholik ist.
„Expedition Europa“: zu Besuch bei Timo Soini in Kaitaa. Warum ausgerechnet der „Wahrste aller Finnen“ein Katholik ist. Von Martin Leidenfrost.
Timo Soini, 58, ist ein großes politisches Tier. Er war Mitbegründer und von 1997 bis 2017 Obmann der „Wahren Finnen“und führte die gemäßigt rechtspopulistische Partei von null auf 19 Prozent. Als sie sich zu einer Anti-Migrations-Partei radikalisierte, verließ er die Wahren Finnen. Er sitzt nur noch im Gemeinderat der zweitgrößten finnischen Stadt Espoo, schreibt seine Memoiren und liebäugelt mit der Gründung von was Neuem. In der kurzen Corona-Phase, da man nach Finnland reinkam, suchte ich ihn auf. Ich wollte wissen, warum der Wahrste aller Finnen ein devoter Katholik ist.
Kaum wo in Europa ist die katholische Kirche nämlich unbedeutender als in Finnland. Gerade mal 0,3 Prozent sind Katholiken, die Hälfte davon Zuwanderer. Eine halbe Autostunde von Helsinki, in der luftigen Gartenstadt Kaitaa, begrüßte mich ein Finne wie aus dem Bilderbuch: dicke Knollennase, dröhnendes Lachen, Bauch. Er lebt seit seiner Kindheit in Kaitaa, war nur einmal innerhalb desselben Blocks umgezogen und einmal ein paar Blocks weiter. Er sauniert, sagte er, „vier bis fünf Mal in der Woche“, auch im Sommer, „mit einem Bier zur Ehre Gottes“. Nur einen eigenen See hat dieser Finne nicht.
Wir fuhren zum Bootshafen. Auf den wenigen Metern vom Parkplatz zum Cafe´ sprachen ihn mehrere Fans an. Das waren alles Männer mittleren Alters, zwei im Blaumann, laut Soini waren die Wahren Finnen „führend in der Arbeiterklasse und wurden zu 70 Prozent von Männern gewählt“. Buchstäblich jeder kennt Soini, „20 Prozent lieben, 20 Prozent hassen mich“. Er bestellte sich ein deftiges Hacklergericht, gebratene Würstel mit Pommes. Der euroskeptische Konservative, der allezeit gegen Homo-Ehe und Gender kämpfte, verteidigte seine Haltung oft mit dem Argument, dass ihn „die Doktrin der katholischen Kirche binden“würde. Damit konnte er Debattengegner immer wieder entwaffnen – wer hat in Finnland schon einen Tau von römischer Glaubenslehre.
Das ging gut, bis er 2018 als finnischer Außenminister Kanada besuchte und dort als Privatperson an einer Mahnwache für abgetriebene Föten teilnahm. Nun verlangten auch Politikerinnen der Regierungskoalition eine Entschuldigung. Soini weigerte sich, die Regierung drohte zu stürzen. Daraufhin beugte sich mehrere Monate der „Justizkanzler“über den Fall, um laut Soini zu folgendem Schiedsspruch zu gelangen: „Ein Pro-Life-Minister ist zwar problematisch, aber nicht illegal.“Soini empfand es als seinen Triumph, als Abtreibungsgegner vier Jahre in der Regierung überlebt zu haben. Warum er, der in der lutherischen Staatskirche groß geworden war, Katholik wurde – das musste ich ihn mehrmals fragen. Allzu gerne fing er zu politisieren an, über die „Orwellschen Wege“der „LGBTJunta“oder die Schwäche der klassischen Christdemokraten in Europa. Im politischen Kampf dürfe man „nicht nach ihren Regeln spielen“, erklärte er. „Wenn Hans Krankl ein Tor schießen will, dann schießt er eins und bittet nicht um Entschuldigung.“
Irgendwann gab er dann Antwort. Er war im Alter von 26 konvertiert. „Der große Trigger war“, erzählte er, „als die lutherische Staatskirche Priesterinnen zu ordinieren begann“. Damals ging er nicht mehr in den evangelischen Gottesdienst – weil er auf eine Priesterin hätte stoßen können. Als sein Vater 2020 dem Tod entgegenging, schärfte dieser der Familie ein, dass er von einem männlichen Priester begraben werden wollte.
Ich fragte ihn nach einem Bekehrungserlebnis. Es war in Irland. Er besuchte mit Freunden die Marienkathedrale in Killarney, „schön und riesengroß“. Timo Soini fühlte sich hingezogen, also ging er am nächsten Tag noch einmal ohne Freunde hin. Er sprach dort mit einer Nonne, „über Erlösung, Kreuzigung, ewiges Leben, wohl auch über die Eucharistie“. Am Ende sagte die Nonne zu dem jungen Finnen: „Aus Ihnen wird eines Tages ein guter Katholik.“
1987, im folgenden Jahr, konvertierte er. Er meint, er wäre auch ein guter Priester geworden, „so einer wie Don Camillo“, bereut aber nichts, „dann hätte ich keine Familie“. Wir verabschiedeten uns bei den Birken der Gartenstadt, in der er sein ganzes Leben verbracht hat. Ich fuhr weiter. Und er blieb in Kaitaa. Und setzte sich in seine Heimsauna, mit einem Bier zur Ehre Gottes.