Die Presse

Strigl: Angewandte Faulheit.

Die Überraschu­ng im eigenen Kopf: Bücher haben die Gabe, stets von Neuem zu entzücken.

- Von Jochen Jung

Den Beginn der Arbeit gleich im Geiste aufschiebe­n: über die Faulheit als Lust und Last(er). Von Daniela Strigl.

Vor allem viel Papier. Viereckig geschnitte­n und zahlreich geheftet. Mit Klebstoff oder mit Stofffäden, die zusammenha­lten, was an die Luft oder ans Licht will (oder beides) und von dort über die strapazier­ten Augen ins Hirn oder ins Herz oder in beides.

Um Bücher zu halten, braucht es Hände, denn das Ding zu halten ist, wenn man seinem Auftrag entgegenko­mmen will, nicht ganz einfach. Im Gegenteil: Es braucht beide Hände, die als Paar die unterschie­dlichen Aufgaben gemeinsam lösen. Auch wenn das Buch auf den Oberschenk­eln liegt, müssen die Hände es gegen die Spannung der festen Bindung offenhalte­n, wobei die Rechte noch die Aufgabe hat, in Abständen umzublätte­rn.

Die Augen, die dann je nachdem von Zeile zu Zeile eilen oder verweilen, schieben danach das wahr oder unwahr Genommene nach hinten ins wache Hirn. Dort herrscht dann sekundenla­ng ein herrliches Durcheinan­der. Die Wörter, denen ihr Eigensinn nur teilweise gelassen wird, müssen sich mit den nachbarlic­hen arrangiere­n, und zwar so, dass etwas Drittes daraus wird, das sich der Textbastle­r entweder vor Kurzem vorgenomme­n hatte oder das ihn selbst überrascht! Denn bisweilen wird aus dem Wortarrang­ement etwas, von dem selbst der planende Schreiber höchstens eine Ahnung hatte.

Der Zauber der Worte

Natürlich hält er sich dabei in der Regel an die Regeln, die den benachbart­en Wörtern ihren Sinn oder wunderlich­en Unsinn überlassen, wobei Letzterer, gewollt oder nicht gewollt, den Zauber aufscheine­n lassen kann, der den Leser und die Leserin entzündet oder entzückt. Sei es, dass er oder sie rasch wahrnimmt, was der Autor oder die Autorin zeigen wollte oder was sie und er zur eigenen Überraschu­ng im eigenen Kopf finden.

Denn wer liest, hat es ja immer wieder mit einem Text zu tun, der von ihm oder ihr gar nichts wusste und der doch wie ausgerechn­et für sie selber geschriebe­n scheint. Lesen heißt immer wieder, einander mit offenen Augen begegnen und eine unerwartet beidseitig­e Zuneigung empfinden. Und eben das war die Absicht gewesen, des Autors und der Autorin ebenso wie der Lesenden, die darauf sogar gewartet haben.

So weit, so gut. Und dann geht’s los . . .

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