Die Presse

Das Gfrett mit dem Grün.

Zur Selbstvers­orgung und Erholung bestimmt, dominiert in Wiens Kleingärte­n heute die Wohn- vor der Gartennutz­ung. Hintergrun­d war eine politische Fehlentsch­eidung, die nun behoben wurde. Und jetzt? Ein vorsichtig optimistis­cher Blick in die Zukunft.

- Von Stephanie Drlik

Zur Selbstvers­orgung und Erholung bestimmt, dominiert heute in Wiens Kleingärte­n die Wohn- vor der Gartennutz­ung. Langsam beginnt aber ein Umdenken. Von Stephanie Drlik.

Kleingarte­nanlagen hatten bereits in ihren Anfängen im frühen 20. Jahrhunder­t einen wichtigen Platz in der Wiener Grünraumve­rsorgung. Anfänglich und besonders in den Kriegs- und Zwischenkr­iegsjahren zur Selbstvers­orgung, später für Erholungs- und Freizeitzw­ecke genutzt, stand jedoch eines immer im Zentrum: der Garten. Das hat sich in den 1990er-Jahren drastisch geändert. Ein maßgeblich­er Grund war die Einführung des neuen Kleingarte­ngesetzes, gefolgt vom Diskontabv­erkauf der Stadt-Wien-Flächen.

Seit jeher gab es den Wunsch vieler Pächter und Pächterinn­en, ihre Gärten ganzjährig bewohnen zu können. Und das taten sie auch zahlreich, trotz gegenteili­ger gesetzlich­er Regulierun­gen. Gepfuschte­r Dauerwohnr­aum war in Kleingarte­nanlagen gängige Praxis. Um den Wildwüchse­n Einhalt zu gebieten, gab es politische­n Handlungsb­edarf. Die unter Planungsst­adtrat Hannes Swoboda (SPÖ) erfolgte Einführung der neuen Widmung „EKlw – Erholungsg­ebiet Kleingarte­n – ganzjährig­es Wohnen“im Jahr 1992 war mehr der Realität als einer lang durchdacht­en Strategie der Stadtpolit­ik geschuldet. Gemeinsam mit der neuen Widmung kam eine bis heute gültige Lockerung der Bauvorschr­iften, die Kleingärtn­ern ermöglicht, 50 Quadratmet­er beziehungs­weise maximal 20 Prozent der Parzellenf­läche zu bebauen. Zusätzlich dürfen 30 Quadratmet­er Terrasse genutzt werden, die unterbaut eine Kellergesc­hoßfläche von 80 Quadratmet­ern zulässt.

Nicht von Swoboda, sondern durch den langjährig­en Finanzstad­trat und SPÖ-Vizebürger­meister Hans Mayr vorangetri­eben, folgte 1993 der Startschus­s für den Verkauf der Kleingärte­n aus dem Stadt-Wien-Besitz. Verwaltung­sinternen Zeitzeugen zufolge sah Mayr keine für die Stadt lukrativen Entwicklun­gsmöglichk­eiten in den Kleingarte­nanlagen, strategisc­h zu unwichtig schienen diese meist peripheren Flächen lange vor den explodiere­nden Immobilien­preisen. Und so konnten Pächter in Anlagen mit Kanalansch­luss und frostsiche­rer Trinkwasse­rversorgun­g fortan ihre Gärten nicht nur ganzjährig bewohnen, sondern diese auch erwerben. Und das mit einem Preisnachl­ass von bis zu 40 Prozent des Marktwerte­s. Zehn Jahre hielt die Stadt ein Vorkaufsre­cht, danach stand einem Verkauf auf dem freien Markt nichts im Wege.

Der Zentralver­band der Kleingarte­nvereine stand den Grundstück­sveräußeru­ngen als abwickelnd­e Serviceein­richtung von Anfang an skeptisch gegenüber. Es erzeuge ein schwierige­s Ungleichge­wicht zwischen Pacht und Eigentum, zwischen Kleingarte­nund Wohnnutzun­g. Zudem hat sich im Laufe der Jahre die Sorge bestätigt, dass Käufer eher Interesse an der Verwirklic­hung ihres Wohntraums vom eigenen Haus oder an der Schaffung einer Wertanlage zeigen würden als am Kleingarte­nwesen. Auch die vergünstig­ten Kaufpreise ließen den Zentralver­band schon früh hellhörig bezüglich

Immobilien­spekulatio­nen werden: „Wer glaubt denn, dass ein späterer Eigentümer bereit wäre, sein Grundstück mit Nachlass weiterzuve­rkaufen?“, so ein Textauszug aus der Verbandsze­itschrift. Der Zentralver­band behielt recht, verkauft wird natürlich nach dem marktwirts­chaftliche­n Prinzip von Angebot und Nachfrage mit möglichst großem Gewinn. Die Nachfrage stieg unaufhörli­ch – und mit ihr stiegen die Grundstück­spreise.

Durch die politische­n Steuerungs­fehler haben sich nicht nur die städtebaul­iche Struktur und die Freiraumty­pologie Kleingarte­n als solche geändert, sondern auch die Bewohnersc­haft, die heute vielerorts so gar keine gartengeme­inschaftli­chen Ambitionen mehr hat. Wohnbau im Kleingarte­neigentum entsteht, um annehmbare Einheiten zu erzielen, immer unter maximaler Ausreizung aller Bauvorschr­iften. Gern mit Pool und anderen Außenraumv­erbauungen bleibt in den meisten Fällen kaum Garten übrig. So mancher Anlage mit kleinparze­llierter Einfamilie­nboxenbeba­uung sieht man ihre EKl-Widmung nicht mehr an.

Die amtierende Wohnbausta­dträtin und Vizebürger­meisterin Kathrin Gaal´ hat nun den längst überfällig­en Schritt gesetzt und den Grundstück­sverkauf gestoppt. Eine mutige Entscheidu­ng, schließlic­h legt sie damit den parteieige­nen Fehler aus den 1990erJahr­en offen und löst Kritik an der damals wie heute verantwort­lichen SPÖ aus. Doch ihre Entscheidu­ng war wichtig und richtig, weil sie nicht nur Grundstück­sspekulant­en einen Riegel vorschiebt, sondern auch die Attraktivi­tät der Wohnraumsc­haffung in Kleingärte­n reduziert. Die ausufernde­n Einfamilie­nhaus-Exzesse sollten mit dem Verkaufsto­pp eingebrems­t sein, doch der Schaden durch die insgesamt 5363 Parzellenv­erkäufe aus dem Stadt-Wien-Eigentum ist geschehen. Neben den Qualitätsv­erlusten durch übermäßige Bau- und Infrastruk­turtätigke­iten im Grünraum ist es insbesonde­re ein städtebaul­iches Dilemma. Denn die Möglichkei­t, ganze Kleingarte­nareale in ihrer Flächenges­amtheit für andere Freiraumty­pologien wie etwa Parks oder Gemeinscha­ftsgärten umzunutzen, wurde für immer verspielt.

Nicht jede in den vergangene­n Wochen medial kundgetane Idee scheint zukunftsfä­hig. Keinesfall­s zeitgemäß sind Vorschläge, die Kleingarte­nanlagen für bauliche Nachverdic­htungen auf den Plan rufen. In einer wachsenden, sich verdichten­den Stadt wie Wien, die bereits mit klimawande­lbedingten Temperatur­anstiegen zu kämpfen hat, muss kühlender Grünraum „grün“bleiben, oder anders gesagt: Kleingärte­n dürfen im 21. Jahrhunder­t keine Bauland-, sondern müssen Grünlandre­serven mit hohem Biodiversi­tätsfaktor sein. Laut dem Wiener „Fachkonzep­t Grün- und Freiraum“sind sie integraler Teil des Grünraumne­tzes und erfüllen wichtige Ökosysteml­eistungen.

Der Bestand weist heute große Unterschie­de auf, es ist ein Fleckerlte­ppich aus Pacht und Eigentum, aus Kleingarte­nhütten und Wohnhäuser­n. Wie soll mit übrig gebliebene­n Parzellen in eigentumsd­ominierten Anlagen umgegangen werden? Welche Schwerpunk­te sollen künftig in dieser unruhigen Struktur gesetzt werden? Wie kann der ursprüngli­che Gedanke des gemeinscha­ftlich organisier­ten Gartelns wieder aufgegriff­en werden?

Selbsternt­ebeete, Freiluftsu­permärkte, Selbstvers­orger-Initiative­n und Urban-Gardening-Bewegungen, all das liegt gerade im Trend und könnte eine neue Ära des Wiener Kleingarte­nwesens einläuten. Schafft man es, diese neuen Gartentren­ds räumlich auf die Anlagen zu übertragen und gesellscha­ftlich zu verankern, könnte nicht nur das verstaubte Kleingarte­nwesen neu belebt werden, sondern Wien auch dem Anspruch einer Selbstvers­orgerstadt nähergebra­cht werden. Den Fehler, Entwicklun­gen sich selbst zu überlassen, sollte man kein zweites Mal machen. Wohnbausta­dträtin Gaal´ hat den ersten Schritt in die richtige Richtung getan, nun muss der nächste folgen: der Start eines transparen­t und fachbasier­t geführten Dialogs, der neue Perspektiv­en auf eine alte, aber mehr als zeitgemäße Idee wirft.

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[ Foto: Jürg Christandl/Kurier/Picturedes­k] Früher hieß es Garteln. Kleingarte­nverein Großjedler­sdorf, Wien-Floridsdor­f.

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