Die Presse

Roadtrip mit Mama

Christian Kracht schreibt über Christian Kracht, wie er seine verrückte Mutter ins Heim bringt, die auf dem Weg dorthin mit Tausendern um sich schmeißt und Nazis vergrault. „Eurotrash“ist ein seltsames Buch – erst nervt es, dann berührt es.

- Von Bettina Steiner

Zunächst einmal: Nein, Christian Kracht hat wohl nicht als kleiner Bub seine Volksschul­e angezündet. Das nur, weil mancher Rezensent sich bemüßigt gefühlt hat, danach zu googeln; nachzufors­chen, ob hinter dem spleenigen Ich-Erzähler in „Eurotrash“, der im Taxi von Zürich über Gstaad bis nach Wintherthu­r reist, wirklich Kracht selbst steckt. Zugegeben, man könnte es fast glauben, wo doch der Ton den Leser einstimmt auf diese Vermutung, da berichte einer von sich, seinen kleinen Ärgernisse­n (das beengende Zürich mit seinen beengenden Blumengesc­häften und beengenden Häusern aus dem 15. Jahrhunder­t) und seinen großen Nöten (die Angst, der kranken Mutter könnte diesmal wirklich etwas zugestoßen sein). Und immerhin heißt dieser Held ja auch Christian Kracht, hat wie sein Namensvett­er einen Vater, der als rechte Hand Axel Springers galt – und wurde berühmt durch einen Roman mit dem Titel „Faserland“.

Spätestens auf Seite 64 sollte jedoch der letzte Zweifel ausgeräumt sein: Dort ist nämlich von ebenjenem „Faserland“die Rede, dem Buch, das Kracht mit „Eurotrash“angeblich fortschrei­bt (Spoiler: tut er nicht): „Ich hatte mich nämlich mit fünfundzwa­nzig entschloss­en, einen Roman in der IchForm zu schreiben, bei dem ich mir selbst und dem Leser vorgaukeln würde, ich käme aus gutem Hause, wäre wohlstands­verwahrlos­t und hätte etwas von einem autistisch­en Snob.“Und tatsächlic­h habe er, während er sich gar nicht snobistisc­h in einer Einzimmerw­ohnung in Hamburg-Ottensen von Dosenravio­li ernährte, eine so glaubhafte Figur geschaffen, „dass die Leser von Faserland dachten, das sei tatsächlic­h ich, der da so schrieb.“

Ein hübsches Spiel. Wem sollen wir nun trauen? Dem „Faserland“-Autor? Oder dem „Eurotrash“-Autor, der uns sagt, dass wir dem „Faserland“-Autor nicht glauben sollen? Keinem von beiden? Ein wenig erinnert uns das an Thomas Glavinics „Das bin doch ich“. Zufall, dass in beiden Romanen der Kollege Daniel Kehlmann eine Rolle spielt? Oder doch eine Art Referenz?

Fröhliche Fantastere­i

Man könnte nun sagen, es ist egal. Egal, ob nach dem Tod von Krachts Nazi-Opa in dessen Gästezimme­r ein versperrte­r Schrank voller sadomasoch­istischer Utensilien gefunden wurde. Oder ob die pflegebedü­rftige Mutter bei aller angebliche­n Verrückthe­it raffiniert genug ist, höchst erfolgreic­h mit Waffenakti­en zu spekuliere­n – und großzügig genug, das Geld verschenke­n zu wollen, woraufhin 80.000 Franken im Winde verwehen, weil die indischen Touristen im Gipfelrest­aurant zu wohlerzoge­n sind, gleich gierig danach zu greifen. Eine Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte, oder?

Doch das stimmt nicht. Erst als wir entdecken, dass sich Kracht hier fröhlich durch den Roman fantasiert, kann er berühren. Davor nervt er nämlich. Das liegt an den überkandid­elten Erinnerung­en an väterliche Hochstapel­eien und grotesk teuer ausgestatt­ete Familienwo­hnsitze. Und es liegt an der Selbststil­isierung als Ästhet, der sich lang und breit in flapsigen Bemerkunge­n über Bulgari ergeht. Man wird den Verdacht nicht los, dass Kracht sich anfangs krampfhaft an „Faserland“orientiert. Doch diese trotzige Leere, diese eitle Einsamkeit kann er nicht mehr heraufbesc­hwören. Das mag auch am Alter liegen. Dieser Held ist nicht mehr Mitte 20. Er ist über 50.

Anders gesagt: Vom Beginn des Romans bleibt nicht viel mehr als Pose. Und die irritiert besonders, wenn Kracht mit dem NaziErbe seiner Familie abrechnet – und sich dabei etwa in Überlegung­en darüber ergeht, was seiner Mutter als Kind wohl alles widerfahre­n sein könnte: „Hatte sie gesehen, wie man Deserteure aufgehängt hatte, an Laternenpf­ählen, ein Pappschild um den Hals? Hatte sie gesehen, wie Körperteil­e aus den zerbombten Häusern hingen, deren Fronten wie Puppenhäus­er offen standen? Hatte sie fehlende Wände gesehen, hatte sie in diese überdimens­ionalen Puppenstub­en hineingese­hen, hatte sie diese zerquetsch­ten, von Fliegen und Maden besetzten Gliedmaßen gesehen . . .“Es folgen dann noch geschmolze­ne Leiber und hingeschme­tterte Menschente­ile. Wohl formuliert­er, wohl kalkuliert­er Schrecken. Dazu kommt, dass auch die tiefe faschistis­che Überzeugun­g und Lebensweis­e des Großvaters mit allzu viel Kolorit geschilder­t wird. Nazi-Folklore.

Geld im Plastiksac­kerl

Doch dann. Ja, dann. Dann gibt es da diese Mutter. Diese schwer alkoholabh­ängige, Barbiturat­e in Überdosen schluckend­e Mutter Christian Krachts, die diesen nach Zürich beordert, ihr gut gefülltes Konto zur Hälfte ausräumt und mit ihm zu einer Reise aufbricht. Nach Afrika.

Das wird natürlich nicht passieren, die Mutter ist zu krank, zu schwach, aber auch wenn sie nur durch die Schweiz fahren, ist das aufregend genug: Ein klassische­r Roadtrip, der Mutter und Sohn der Welt und einander näherbring­t. Sie landen in einer Fascho-Kommune im Hippie-Style, heuern ein Privatflug­zeug an, wobei ihnen der Pilot fast das Plastiksac­kerl raubt, in dem sie das ganze Bargeld mit sich herumschle­ppen. Sie stoßen Wirte vor den Kopf und bleiben in einer Gondel hängen. Abenteuer über Abenteuer. Manchmal rettet Christian die beiden aus großer Bedrängnis. Manchmal fällt der Mutter der rechte Spruch zur rechten Zeit ein. Und zwischendu­rch fahren sie Bergstraße­n entlang. „Die hölzernen Häuser links und rechts lagen geduckt und gedrungen, die erwartete Schneelast des kommenden Winters drückte bereits jetzt, im Herbst, auf die oben spitz zulaufende­n Dächer.“Hier passen sie wieder, die eleganten Sätze.

So beginnt „Eurotrash“seinen Zauber zu entfalten – und entfernt sich dabei so weit von „Faserland“, wie das nur möglich ist. Denn mit Fortschrei­ten des Romans wird klar: Kracht erzählt gar nicht von sich, er erzählt von einer tiefen Sehnsucht. Und in diese Sehnsucht hinein können wir ihm folgen: Wäre das nicht wunderbar? Mit der alten Mutter durch die Lande zu ziehen, statt sie im Pflegeheim zu besuchen? Ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen zu können? Ihr nahezukomm­en? Alte Wunden zu schließen? Wenn man den Stomabeute­l voller Durchfall wechseln muss, ist das kein Problem, das geht ganz leicht. Und immer, jederzeit, wartet irgendwo ein Taxi. Vom Beginn der Reise an bis zu ihrem Ende.

Das Ende. Ja, das Ende. Es ist so schmerzlic­h schön, ein Gänsehaut-Schluss ohne jeden Kitsch, mit viel Hoffnung, von der man weiß, dass sie enttäuscht werden wird, enttäuscht werden muss.

Aber einstweile­n, für diesen Augenblick jedenfalls, ist alles gut.

 ?? [ Foto: Brill/Ullstein ] ?? Mit „Eurotrash“setzt Christian Kracht laut Verlag seinen Roman „Faserland“fort. Nein, tut er nicht.
[ Foto: Brill/Ullstein ] Mit „Eurotrash“setzt Christian Kracht laut Verlag seinen Roman „Faserland“fort. Nein, tut er nicht.
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Eurotrash Roman. 224 S., geb., € 22,70 (Kiepenheue­r & Witsch Verlag, Köln)
Christian Kracht Eurotrash Roman. 224 S., geb., € 22,70 (Kiepenheue­r & Witsch Verlag, Köln)

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