Die Presse

Griesgram im Farbenraus­ch

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Die gesuchte Frau ist vielleicht nicht von Weltruhm, manch einer hat aber wohl von ihr gehört. Seit früher Kindheit litt das sehr kleine, zarte Mädchen unter körperlich­en Einschränk­ungen. Nach dem Tod der Eltern zog die junge Frau mit Mitte dreißig zu ihrer Tante; der Bruder verkaufte das Elternhaus.

Da es die junge Frau leid war, von anderen abhängig zu sein, machte sie sich auf die Suche nach Arbeit und fand eine Stelle als Haushälter­in. So kümmerte sie sich um den Haushalt eines recht griesgrämi­gen Mannes, der täglich durchs Dorf ging, um Fische zu verkaufen. Der Mann sprach wenig, hatte selten freundlich­e Worte für sie übrig, dennoch gefiel ihr die neue Selbststän­digkeit.

Ein paar Jahre später heirateten die beiden, nachdem entspreche­nd der Moralauffa­ssung der 1930er-Jahre bereits wilde Gerüchte kursiert waren: War sie womöglich seine Sexsklavin? Nun wurde ihre Zweckgemei­nschaft offiziell besiegelt. Mit seinem Fischverka­uf verdient der Mann nicht viel; im Haus, das fern des Dorfes lag, gab es weder Strom noch Heizung. So begann die Frau das fortzusetz­en, was sie als Kind von ihrer Mutter gelernt hatte: die Malerei. Die kindlichna­iv anmutenden, farbenfroh­en Bilder, die sie vorm Haus zum Verkauf anbot, erregten Aufmerksam­keit. Ihr Ehemann gewöhnte sich an das mit Kunstwerke­n verzierte Haus, und froh war er wohl auch über das gesteigert­e Einkommen.

Wenngleich sie sich nie als Künstlerin betrachtet­e, drehte ein Fernsehtea­m 1965 eine Reportage über die Frau. Einige Jahre später flatterte ein Brief ins Haus mit der Bitte um Zusendung zweier Gemälde. Absender war der Präsident des Nachbarlan­des.

In ihren letzten Lebensjahr­en tat sie sich zunehmend schwerer mit der Malerei, da ihre Finger aufgrund der Arthritis derart verkrüppel­t waren, dass sie kaum noch einen Pinsel halten konnte. Dennoch gab sie nicht auf und malte bis zum Schluss. Sie starb mit 67 Jahren an einer Lungenentz­ündung, ihr Mann überlebte sie um neun Jahre.

Heute ist sie zumindest in Kanada als Folk Artist bekannt, und inzwischen haben ihre einst für wenige kanadische Dollar verkauften Bildchen eine große Wertsteige­rung erfahren. Ihre Lebensgesc­hichte wurde 2016 verfilmt.

Wer traf wen? Der Präsident? Die Verfilmung?

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