Die Presse

Das Selbst im Spiegel

Wohngeschi­chte. Der emeritiert­e Philosophi­eprofessor Alfred Pfabigan nutzt eine kleine Eigentumsw­ohnung als philosophi­sche Praxis. Freud schaut ihm dabei über die Schulter.

- VON ERICH EBENKOFLER

Wer Alfred Pfabigan in der Märzstraße 100 in dem 15. Wiener Gemeindebe­zirk besucht, wird erst einmal mit sich selbst konfrontie­rt: An der Stirnseite des Eingangsbe­reichs hängt ein großer Spiegel, in den jeder blickt, der die knapp 60 Quadratmet­er große Eigentumsw­ohnung betritt. Man begegnet sozusagen sich selbst.

In der Selbstbege­gnung – oder besser Selbsterke­nntnis – besteht auch der Zweck dieser Zweizimmer­wohnung. Sie befindet sich in einem sanierten Gründerzei­tbau, nicht so pompös wie die Ringstraße­nbauten, sondern kleiner, bescheiden­er, ohne Schnörkel, so wie es sich damals geziemte für Bauten, die in gebührende­m Respektabs­tand zum Kaiser errichtet wurden. Der emeritiert­e Professor der Philosophi­e betreibt darin seine philosophi­sche Praxis, und zwar ausschließ­lich, denn wohnen tut er mit seiner Frau ums Eck in der Johnstraße. „Dort hatte ich ursprüngli­ch auch meine Praxis, doch das hat sich als nicht so günstig erwiesen“, erzählt der Gelehrte, der neben seiner Tätigkeit an der Universitä­t Wien viele Jahre als unabhängig­er Politikber­ater tätig war. Also sah er sich nach etwas anderem um und griff zu, als sich eine passende Gelegenhei­t in der Nähe bot.

Ziel: Ein „gutes Leben“

Der Spiegel im Eingangsbe­reich bildet also das Motto, das seine Klienten hier erwartet, inspiriert vom „Erkenne dich selbst!“der sokratisch­en Philosophi­e. Das klingt verkopfter, als es ist, „denn tatsächlic­h geht es dabei nicht um das Wälzen großer Theorien, sondern darum, den Schatz der philosophi­schen Tradition dafür zu nutzen, um Menschen in Veränderun­gsprozesse­n in Richtung auf ein ,gutes Leben‘ zu begleiten“, versucht Pfabigan mögliche Berührungs­ängste zu zerstreuen. Dafür nutzt er unter anderem eine von Sokrates inspiriert­e dialogisch­e Fragetechn­ik, um eigene Widersprüc­he aufzudecke­n und so eine Änderung im Selbstbild der Klienten zu erwirken.

Zentraler Schauplatz dieses Prozesses ist das Sprechzimm­er, ein großer Raum, „in dem sich Menschen auf einer eigenartig­en emotional-intellektu­ellen Ebene begegnen und versuchen, eine akute Krise, eine lang verschlepp­te Frage oder auch nur ein ganz alltäglich­es Problem gemeinsam zu lösen“, erläutert der philosophi­sche Praktiker. Dessen Einrichtun­g folgt keinem klar erkennbare­n Konzept; vielmehr handelt es sich um ein Sammelsuri­um aus Büchern, Kunst, Ramsch und unzähligen gläsernen Briefbesch­werern, die allesamt mit persönlich­en Erinnerung­en des Philosophe­n verbunden sind. In der Mitte eine große Ledercouch, auf der es sich die Klienten bequem machen können, davor ein kleiner Tisch im Bauhaus-Stil, ein paar verstreute antiquaris­che Stühle, an der einen Wand eine schöne alte Kommode, die andere komplett verdeckt von einem vollgestop­ften Bücherrega­l. Ob so viel geballtes Wissen nicht einschücht­ernd wirkt auf seine Klienten? „Keine Angst“, beruhigt Pfabigan schmunzeln­d, „es handelt sich ausschließ­lich um Belletrist­ik.“Die Einrichtun­g habe sich „so ergeben“, erzählt er. In deren ästhetisch­en Regelbrüch­en werde aber „irgendwie“der Unterschie­d zu den anderen helfenden Berufen sichtbar. Als Kontrapunk­t sieht er seine Einrichtun­g etwa zu den Praxen der Psychother­apeuten, „die meist aufgeräumt wirken und wenig Privates verraten“. Darin spiegle sich auch der Unterschie­d zwischen Psychother­apie und philosophi­scher Praxis: „Erstere geht zurück in die Vergangenh­eit, letztere befasst sich mit dem Handeln in einer aktuellen konkreten Situation.“

Bedeutsame Bilder

Irgendwie ist Sigmund Freud aber dann aber doch präsent, etwa in Form eines Steindruck­s an der einen Wand, in dem sich der Begründer der Psychoanal­yse über seinen Schreibtis­ch beugt und das Geschehen zu seinen Füßen interessie­rt beobachtet. „Das darf man nicht überbewert­en“, sagt der Philosoph lachend und lenkt den Blick stattdesse­n auf ein großflächi­ges expression­istisch anmutendes Gemälde gleich daneben, dessen Figuren – zwei Frauen, ein diabolisch­er Clown und zwei Dämonen mit psychedeli­schem Chaos im Rücken – er als „Gespenster“bezeichnet. Es handelt sich um ein Werk seines Künstlerfr­eunds Gerhard Häupler, der seine Wurzeln im Wiener Aktionismu­s hat und sich in seinem OEuvre gern den Abgründen der menschlich­en Seele widmet. „Das Bild ist für mich ein Memento, sich nicht von den Dämonen der Vergangenh­eit heimsuchen zu lassen“, sagt Pfabigan. Das aber kann man so oder so verstehen . . .

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Literatur und Kunst sind die prägenden Stilmerkma­le von Pfabigans Sprechzimm­er, die Briefbesch­werer sind Sammlerstü­cke.
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