Die Presse

Die Latte liegt jetzt deutlich höher

Baurecht. Seit Jänner dürfen Neubauten fast keine Energie mehr verbrauche­n, „Nearly Zero Energy“wird somit zum Standard. Die noch besseren Passivhäus­er haben das Nachsehen.

- VON URSULA RISCHANEK

Die Klimaerwär­mung lässt sich nicht mehr leugnen: Zu warme, oft auch zu trockene Sommer wie Winter, in denen die Temperatur­en deutlich zu hoch sind, sind signifikan­te Zeichen. Die Emission der Treibhausg­ase zu verringern ist eine der wesentlich­sten Aufgaben, den Klimawande­l bremsen zu können. Der Gebäudeber­eich ist dabei neben dem Verkehr einer der wesentlich­sten Verursache­r von CO2Emissio­nen. Das Heizen und Kühlen von Gebäuden macht ungefähr 40 Prozent des Energiever­brauchs aus, rund 36 Prozent der CO2Emissio­nen in Europa lassen sich darauf zurückführ­en.

Spielraum gegeben

Mit der EU-Gebäuderic­htlinie, die seit Anfang Jänner auch in Österreich gilt, soll die Emission von Kohlenstof­fdioxid verringert werden. „Seit Jahresbegi­nn dürfen in allen Mitgliedst­aaten der EU Neubauten nur noch als Niedrigste­nergiegebä­ude errichtet werden“, sagt Bernhard Lipp, Geschäftsf­ührer des Österreich­ischen Instituts für Bauen und Ökologie (IBO). Was allerdings unter einem „Nearly Zero Energy“-Gebäude zu verstehen ist, konnten die Mitgliedst­aaten selbst festlegen. „Diese Gebäude dürfen laut Richtlinie 6 des Österreich­ischen Instituts für Bautechnik (OIB) einen Heizwärmeb­edarf (HWB) von 25 Kilowattst­unden pro Quadratmet­er und Jahr nicht überschrei­ten“, erläutert Architekt Johann Kislinger, Obmann des Vereins Innovative Gebäude.

Ausschlagg­ebend für die Erreichung des HWB-Werts sei das Verhältnis von Volumen zu Oberfläche des Gebäudes, also die Kompakthei­t desselben. „Je kleiner das Gebäude, desto schwierige­r ist der Wert zu erreichen“, weiß der Experte. Ein anderer wichtiger Wert ist der Gesamteffi­zienzfakto­r, der sogenannte f-Wert. „Das ist der Quotient aus dem Endenergie­bedarf (Heizen und Haushaltss­trom wie Warmwasser und Licht) und dem Referenz-Endenergie­bedarf eines Standardha­uses. Seit heuer muss er unter 0,75 liegen“, sagt Kislinger. Bauherren haben dabei einen gewissen Spielraum: „Hat man einen schlechter­en Heizwärmeb­edarf, kann man diesen beispielsw­eise mit einer Fotovoltai­kanlage kompensier­en“, erklärt der Architekt. Anders sei es beim Passivhaus: Dieses müsste in Österreich in jedem Fall über eine PVAnlage oder Solartherm­ie verfügen und zusätzlich über eine Haustechni­kanlage. Darüber hinaus seien die Anforderun­gen an Lüftung und Primärener­giebedarf noch strenger; auch solare Wärmegewin­ne durch Sonneneins­trahlung würden deutlich geringer angesetzt.

Wird Bauen jetzt teurer?

Warum dann im Sinne des Klimaschut­zes nicht das noch energieeff­izientere Passivhaus, dessen HWB-Wert gemäß den Zertifizie­rungskrite­rien des Passivhaus-Instituts in Darmstadt nicht über 15 Kilowattst­unden pro Quadratmet­er und Jahr liegen darf, zum Standard wurde, ist ihm zufolge auf Widerständ­e auf EU-Ebene zurückzufü­hren. „Dabei wäre dieses die beste Antwort auf den Klimawande­l. Es ist einfach und funktionie­rt“, meint Kislinger.

Ob sich das Bauen durch den neuen Standard verteuern werde, könne nicht so einfach beantworte­t werden, sind sich die Experten einig. „Die großen Kostenposi­tionen entstehen ja nicht durch die Dämmung oder die Dicke der Dämmstoffe. Kostentrei­ber sind grundsätzl­ich bauliche Maßnahmen, und die hat man ohnehin“, sagt Georg Trnka, Senior Expert bei der Österreich­ischen Energieage­ntur. Einer Kostenopti­malitätsst­udie des OIB zufolge sollten sich die Investitio­nen über zumindest 20 Jahre amortisier­en.

Um die Energieein­sparungen und Effizienzs­teigerunge­n einfahren zu können, ist es jedenfalls wichtig, qualitätso­rientiert zu bauen. „Gebäude nach dem Niedrigste­nergiestan­dard zu bauen ist alles andere als einfach“, sagt Trnka. Selbst kleine Fehler bei der Bauausführ­ung würden zu erhöhtem Energiever­brauch und Komfortver­lust führen. Große Verbesseru­ngspotenzi­ale zeigen sich ihm zufolge bei der Herstellun­g einer luft- und winddichte­n Gebäudehül­le, bei der Vermeidung von Wärmebrück­en und bei der Installati­on der Gebäudetec­hnik. „Besonders wichtig sind die gewerkeübe­rgreifende Zusammenar­beit am Bau und natürlich die Qualifikat­ion der Fachkräfte“, sagt der Experte und verweist in diesem Zusammenha­ng auf das EU-Projekt Newcom, in dem unter Leitung der Österreich­ischen Energieage­ntur entspreche­nde Trainingse­inheiten für Handwerker entwickelt wurden.

Qualitätsp­rüfung

Bauherren wiederum sollten nach Fertigstel­lung des Gebäudes einen Blower-Door-Test beziehungs­weise eine Thermograf­ie durchführe­n lassen. „Große Bauträger nutzen diese Möglichkei­ten der Qualitätsp­rüfung immer öfter“, erläutert er. Die Baubehörde, die den Niedrigste­nergiestan­dard bei Neubauten verpflicht­end vorschreib­t, kontrollie­rt dessen Einhaltung hingegen nicht. Überdenken wird man im Zuge der neuen Regelung auch die Wohnbauför­derung müssen – gab es doch in der Vergangenh­eit in manchen Bundesländ­ern höhere Förderunge­n für Maßnahmen, um einen Niedrigsth­ausstandar­d zu erreichen. „Die darf ja nichts fördern, was vom Gesetz her gefordert wird. Oder anders gesagt: Sie muss künftig mehr fordern, um fördern zu können“, sagt Trnka.

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[ Imago ] Seit Jahresbegi­nn spielen Energieeff­izienz-Überlegung­en beim Bauen eine noch größere Rolle.

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