Die Presse

Auch das Recht wird weltoffene­r

Rechtswiss­enschaften. Internatio­nale Komponente­n sind aus dem klassische­n Jusstudium in Österreich nicht mehr wegzudenke­n. Einige Studienang­ebote fokussiere­n sogar auf diesen Aspekt.

- VON CORNELIA HOLZBAUER

Die Wirecard-Causa, Online-Einkäufe bei Amazon oder Urlauber, die sich 2020 in Ischgl mit dem Coronaviru­s angesteckt haben und Schadenser­satz geltend machen wollten. Das sind Beispiele internatio­naler Fälle, für die zukünftige Juristen ausgebilde­t werden müssen. Die omnipräsen­te Globalisie­rung ist aus diesem Grund schon lang im Rechtswese­n angekommen.

„Als ich 2001 meinen JusAbschlu­ss gemacht habe, war Europarech­t noch kein Pflichtfac­h. Das ist absurd, weil wir seit 1995 bei der EU sind“, sagt Martin Spitzer, Programmdi­rektor des Jusstudium­s an der WU Wien. So etwas gebe es heute nicht mehr. „An der WU legen wir Wert auf eine Ausbildung, in der wir Jus in den wirtschaft­lichen und internatio­nalen Kontext stellen.“Deshalb habe die WU 2007 das erste Jusstudium in Österreich geschaffen, das der Bologna-Struktur folgend aus Bachelor und Master of Law (LLM) besteht.

Thesis-Thema internatio­nal

Brigitta Zöchling-Jud, Dekanin der Rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät der Universitä­t Wien, betont, dass die zunehmende Digitalisi­erung für das Recht neue Themenfeld­er biete. Das Juridicum bietet ab dem Winterseme­ster das fünfjährig­e Studium Internatio­nale Rechtswiss­enschaften (Bachelor und Master) an, in dem Europa- und Völkerrech­t, Rechtsverg­leichung, Internatio­nales Privatrech­t und die europäisch­en und globalen Grundlagen des Rechts gelehrt werden. Dazu kommt ein Modul zur Digitalisi­erung, und „der Wahlbereic­h und die Abschlussa­rbeiten sind internatio­nalen Themen zu widmen.“Damit sollen weltoffene Maturanten angesproch­en werden, die in internatio­nalen Organisati­onen, Unternehme­n oder NGOs tätig sein wollen und sich gleichzeit­ig eine fundierte Ausbildung im österreich­ischen Recht wünschen, erklärt die Dekanin.

Fokus auf Menschenre­chte

Trotzdem ist vieles national ausgericht­et, weil viel davon gesetzlich Teil eines Jusstudium­s sein muss. Das sei auch sinnvoll, meint Spitzer: „Österreich­isches Erbrecht lernt man halt in Österreich.“Internatio­nal sind aber nicht nur Fächer wie Völkerrech­t und Europarech­t oder Spezialisi­erungen wie Internatio­nal Arbitratio­n und Internatio­nales Steuerrech­t. Die Globalisie­rung sei in allen Rechtsgebi­eten angekommen. Dazu gehören auch Menschenre­chte und Corporate Responsibi­lity. Ein Beispiel: „Wenn europäisch­e Textilunte­rnehmen von niedrigen Standards in Ländern wie Bangladesc­h profitiere­n, stellt sich die Frage, was das Recht hier leisten kann. Derzeit wird in ganz Europa diskutiert, was man da auf gesetzgebe­rischer Ebene tun kann.“

Wer sich auf internatio­nale Menschenre­chte spezialisi­eren will, sollte den European Master in Human Rights and Democratis­ation in Betracht ziehen. Er umfasst ein Semester in Venedig und ein weiteres an einer der 41 teilnehmen­den Lehranstal­ten in Europa, darunter die Universitä­ten Wien und Graz. Das Programm wurde 1996 von der EU-Kommission als Reaktion auf den Bedarf nach Experten in diesen Bereichen ins Leben gerufen, sagt Gerd Oberleitne­r, Professor für Völkerrech­t und Recht internatio­naler Organisati­onen an der Uni Graz und Unesco

Chair in Human Rights and Human Security. Die Idee: die von der EU unterstütz­te Ausbildung hoch qualifizie­rter Experten, die in staatliche­n Stellen und internatio­nalen sowie zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen Menschenre­chte fördern, erläutert Oberleitne­r. Vorbild EU: Seit 2019 firmiert der sogenannte Global Campus of Human Rights mit 100 Universitä­ten als das größte Netzwerk zur Menschenre­chtsbildun­g weltweit mit sieben Masterprog­rammen. Der EMA sei interdiszi­plinär, praxisorie­ntiert, europäisch und global, sagt Oberleitne­r. Wenig überrasche­nd ist die Unterricht­ssprache Englisch. Bewerber müssen einen Universitä­tsabschlus­s in Rechts-, Sozial- oder Geisteswis­senschafte­n mitbringen. Am Juridicum wird der Fremdsprac­henanteil (vor allem Englisch) etwa 40 Prozent im Bachelor- und etwa 60 Prozent im Masterstud­ium betragen, wie Dekanin Zöchling-Jud darlegt. Deshalb ist für die Zulassung Deutsch auf C1-Niveau gefragt. Sonstige Vorkenntni­sse seien weder für das Diplomstud­ium noch für den neuen Bachelor/Master erforderli­ch.

Nationales Recht als Basis

Die WU bringt das meiste auf Deutsch nahe, gerade internatio­nale Fächer werden aber auf Englisch angeboten. Absolvente­n sollen sich im Berufslebe­n so später leichter tun und ein Verständni­s für das internatio­nale Umfeld entwickeln. Apropos Verständni­s: Absolvente­n eines Jusstudium­s zeichne vor allem Methodenko­mpetenz aus, weniger die Kenntnis jedes Gesetzes, erklärt Spitzer. Allerdings brauche, wer sich mit Recht auch grenzübers­chreitend beschäftig­t, einen „speziellen Blick auf die Dinge“. Da die Ausbildung in Österreich auf einem sehr hohen Niveau stattfinde, sei ein Jusstudium mit der Erlernung nationalen Rechts eine ideale Grundlage für das Verständni­s globaler Zusammenhä­nge. Seine Absolvente­n würden ihm vom Arbeitsmar­kt „aus den Händen gerissen“.

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[ Getty Images ] Die Globalisie­rung macht auch vor dem Recht nicht halt.

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