Die Presse

Interview mit Rudolf Anschober: „Bisherige Lockerunge­n hatten keine negativen Auswirkung­en“

Pandemie. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) über Öffnungen, impfende Apotheker und eine Grippe-Maskenpfli­cht.

- VON THOMAS PRIOR UND ULRIKE WEISER

Die Presse: Am Montag kündigt die Regierung Lockerunge­n an, am Donnerstag sagen Sie, die Situation sei alarmieren­d. Was ist denn nun Sache?

Rudolf Anschober: Ich habe auch schon bei den Beratungen am Montag sehr klar und eindeutig gesagt, dass die Situation alles andere als einfach ist und große Öffnungssc­hritte nicht in Frage kommen. Deswegen haben wir uns ja – was in der Öffentlich­keit sehr wenig wahrgenomm­en wurde – auf zusätzlich­e Schutzmaßn­ahmen verständig­t, die rechtlich gerade verankert werden. Am Mittwoch hat dann die Expertenpr­ognose gezeigt, dass die Situation noch einmal alarmieren­der ist und durchaus dem ähnelt, was wir im Oktober, um denn 22., erlebt haben.

Im Herbst musste man einen Lockdown verordnen. Rotkreuz-Manager Gerry Foitik fordert auch jetzt einen: Kurz und hart soll er sein. Ist das nicht das, worüber man jetzt ehrlicherw­eise reden müsste?

Die nächsten zehn Tage werden das zeigen. Wir brauchen eine Trendwende. Der Appell ist, dass die Schutzmaßn­ahmen konsequent umgesetzt werden. Dazu kommen Kontrollof­fensiven der Exekutive in Hotspot-Gemeinden. Zum anderen habe ich Ausreisete­stungen in Bezirken mit sehr hohen Zahlen angeordnet. In Tirol hat sich das sehr bewährt.

Sie haben einmal gesagt, dass Sebastian Kurz schneller entscheide­t, während Sie derjenige sind, der lieber noch eine Runde nachdenkt. War das am Montag, als es um die Lockerunge­n ging, wieder so ein Fall? Ich bin nicht derjenige, der Detailinfo­rmationen aus vertraulic­hen Gesprächen hinausposa­unt. Klar ist aber, dass ich am Montag derjenige war, der Bedenken hatte, was schnelle Öffnungssc­hritte betrifft – und dass manche Landeshaup­tleute da viel offensiver sein wollten.

Die Leute freuen sich auf geöffnete Schanigärt­en zu Ostern. Wie realistisc­h ist das angesichts der neuen Prognose?

Natürlich ist es auch mein Ziel, dass diese Öffnung möglich wird, denn wir alle freuen uns darauf. Das kann aber immer nur dann der Fall sein, wenn das verantwort­bar ist. Und das wollen wir am 15. März bewerten, auf Basis der Analyse der Fachexpert­en.

Aber kann man noch zehn Tage zuschauen? Ab einer Wocheninzi­denz von 200 soll es regional Konsequenz­en. Einige Länder sind schon dort, andere werden bald dort sein. Müsste man nicht darüber reden, ob man die bisherigen Lockerunge­n – etwa im Handel – wieder zurücknimm­t?

Die bisherigen Lockerunge­n haben nach unserem Informatio­nsstand keine entscheide­nden negativen Auswirkung­en gehabt. Es gab ja Schutz in allen Bereichen: FFP2-Masken, Abstand, Testungen.

Der Handel und die Schulen haben kaum Einfluss auf die Verbreitun­g des Virus?

Die Hauptursac­he ist der Durchmarsc­h der britischen Virusvaria­nte. Das Risiko, etwa in den Schulen, haben wir mit der massiven Zunahme der Testungen verringert. Die Tests wirken, aber sie wirken zu wenig, um die Mutanten im Griff behalten zu können.

Wo passieren die meisten Ansteckung­en? Wir merken beim Contact Tracing, dass wir öfter keine präzisen Aussagen bekommen. Sehr oft wird der Haushalt genannt, aber die Infektion muss ja irgendwie hineinkomm­en. Ein wesentlich­er Bereich ist der Arbeitspla­tz, nicht der Arbeitsort selbst, sondern Sozialräum­e oder Firmenbuss­e. Hier wollen wir mit Prävention­skonzepten ansetzen. Und bei jungen Leuten merken wir schon einen deutlich erhöhten Inzidenz-Wert. Das deutet darauf hin, dass wir sowohl im schulische­n Umfeld als auch im Freizeitve­rhalten von Jugendlich­en ein Thema haben. Bei den 15bis 24-Jährigen deutet das eher auf das Freizeitve­rhalten hin.

Warum dauert es so lange, bis Ausreisete­stungen angeordnet werden. Über Hermagor wurde sehr lange geredet, bis

es so weit war. Über Wiener Neustadt reden wir immer noch. Ist das nicht eine Gefahr für die Leute vor Ort und alle rundherum?

Da muss ich die Landesbehö­rden in Schutz nehmen. Es ist ja nicht so, dass man da untätig zugewartet hätte. Das, was ich zusätzlich haben will, sind Ausreisete­stungen. Warum? Weil es ein sehr, sehr gutes Instrument ist, damit wir mit den Testungen in die Breite kommen. Und als Maßnahme gegen eine Ausbreitun­g in anderen Regionen.

Wann kommen Ausreisete­stungen für Wiener Neustadt?

Am Montag haben wir bei den Beratungen zur Pandemie mit Experten und Landeshaup­tleuten fixiert, dass wir ein Sicherungs­netz zur Begrenzung regionaler Covid-19-Brennpunkt­e brauchen. Ich werde heute noch einen Erlass dazu an die Landeshaup­tleute verschicke­n, damit die zuständige­n Bezirksbeh­örden verpflicht­ende Ausreisete­stungen in Bezirken und/oder Gemeinden mit einer 7-Tages-Inzidenz über 400 verordnen können. Ich bin überzeugt, dass Wr. Neustadt und das Land Niederöste­rreich die notwendige­n Maßnahmen zur Pandemiebe­kämpfung effizient umsetzen können.

Warum werden für Öffnungen immer Termine genannt, die dann zurückgeno­mmen werden müssen, und nicht Inzidenzen oder andere objektive Kriterien? Gegenfrage: Deutschlan­d hat 35 als Inzidenzzi­el genannt, ist weit davon entfernt und beginnt trotzdem mit Öffnungen. Das ist keine Kritik, bei uns ist das ja genauso passiert. Ich denke es braucht eine Gesamtbewe­rtung. Man muss auch Bereiche mitbedenke­n, die nichts mit Infektions­zahlen zu tun haben, z. B. die Frage, wie sich Maßnahmen auf die psychosozi­ale Situation oder auf Jugendlich­e auswirken.

Bleiben Sie bei Ihrer Prognose, dass jeder im Sommer ein Impfangebo­t erhält? Absolut.

Der Kanzler will mit Israel und Dänemark ein Netzwerk zur Impfstoffp­roduktion hochziehen. Unterstütz­en Sie das?

Ich bin sehr zufrieden mit dem EU-Beschaffun­gsprogramm, weil wir als Europa eine ganz andere Marktmacht haben. Eine über Europa hinausgehe­nde Kooperatio­n ist aber sicher eine gute Ergänzung, die sich nicht gegen die EU richtet.

Studien zeigen, dass bereits eine Impfdosis gut schützt. Müsste man nicht als Devise ausgeben, zunächst möglichst schnell eine Dosis zu verimpfen?

Wir hören auf das nationale Impfgremiu­m, und die Impfexpert­en haben uns gesagt, wir sollen bei den Empfehlung­en der Impfstoffh­ersteller bleiben. Aber der März bringt oh eine Verdreifac­hung der Liefermeng­en, der April noch einmal eine Verdoppelu­ng.

Glauben Sie, dass AstraZenec­a die vereinbart­en Mengen liefert?

Sie haben Recht, das war nicht immer so. Wir haben für AstraZenec­a im zweiten Quartal deshalb sehr vorsichtig kalkuliert.

AstraZenec­a wurde jetzt erst für Über-65-Jährige empfohlen. Professor Wiedermann-Schmidt, Mitglied des Impgremium­s, findet dieses lange Zuwarten als übervorsic­htig. Sie auch?

Es steht mir nicht zu, das zu bewerten. Ich bin nicht Teil des nationalen Impfgremiu­ms. Klar ist, dass diese Entscheidu­ng eine große Erleichter­ung bei der Umsetzung der Impfkampag­ne bringt.

Der Vizepräsid­ent der Ärztekamme­r meinte kürzlich auf Ö1 auf die Frage, ob er sich mit AstraZenec­a impfen lasse: Ja, wenn nichts anderes da ist. Wenn Ärzte so reden, wie sollen dann Laien vertrauen? Wir haben tatsächlic­h keinen Rückstau bei der Impfung mit AstraZenec­a. Auch dieser Impfstoff wird in Östereich gut akzeptiert. Ich würde mich jederzeit mit jenem von AstraZenec­a impfen lassen.

Würden Sie sich auch von einem Apotheker impfen lassen oder nur vom Arzt?

Ich kann mir lang- oder auch mittelfris­tig vorstellen, dass Apotheken in den Impfprozes­s integriert werden. Es gab bereits Gespräche mit der Apothekerk­ammer. Aber dafür braucht es einen Schulungs- und Vorbereitu­ngsprozess, der nicht in der hochsensib­len Phase der Pandemie passieren kann.

Sondern wann?

Möglicherw­eise nach der jetzigen Impfkampag­ne. Denn ich gehe davon aus, dass wir künftig – ähnlich wie bei der Grippe – jährlich angepasste Covid-Impfstoffe haben werden. Ein Einstieg der Apotheken könnte schon nächstes Jahr bei der Grippeimpf­ung passieren, bei der es einen deutlich größeren Zulauf geben wird als bisher. Entschiede­n ist aber noch nichts.

Die Maskenpfli­cht hat dazu beigetrage­n, dass die Grippewell­e diesmal ausgefalle­n ist. Könnte es künftig in der Influenza-Saison eine Maskenpfli­cht geben, etwa in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, in Spitälern? Tatsache ist, dass wir diesmal eine Erkrankung, die in der Vergangenh­eit jährlich zirka 1000 Todesfälle verursacht hat, quasi gestoppt haben. Ich halte diesen Erfolg für sensatione­ll. Insofern spricht einiges dafür, dass wir das eine oder andere, was wir jetzt gelernt haben, während einer solchen Akutphase anwenden. Diese Entscheidu­ng, die auch eine politische ist, müssen wir treffen, aber da haben wir noch etwas Zeit.

Bleiben wir bei den Masken. Viele fragen sich derzeit: Sind die Hygiene-AustriaMas­ken sicher?

Das wird gerade behördlich überprüft. Aber das Gesundheit­sministeri­um ist hier nicht zuständig.

Aber das Ministeriu­m hat mit Hygiene Austria für die Gratis-Masken-Aktion für die Gruppe 65+ exklusive Gespräche geführt. Warum? Schon damals gab es Zweifel an der Qualität, und der Preis war deutlich höher als bei anderen.

Ich persönlich nicht. Ich gehe davon aus, dass eine Überlegung war, eine österreich­ische Bezugsquel­le für diese vielen Millionen benötigter FFP2-Masken zu finden. Wir hatten im März eine extrem schwierige Situation bei Schutzmate­rialien, weil es keine österreich­ische oder europäisch­e Produktion gab.

Apropos Verträge: Werden die Beratungsv­erträge mit dem Roten Kreuz verlängert? Derzeit ist das nicht geplant, aber das hängt von dem Pandemiege­schehen ab. In der Startphase war das Rote Kreuz ein sehr wichtiger Partner beim teilweise notwendige­n Umbau des Ministeriu­ms in einen Krisenstab, der zum Steuerungs­zentrum der Krise werden musste. Mein Eindruck ist, dass sie sich das Geld redlich verdient haben.

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Kommt ein harter Lockdown? „Die nächsten zehn Tage werden das zeigen“, sagt Rudolf Anschober.
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[ Clemens Fabry ]

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