Interview mit Rudolf Anschober: „Bisherige Lockerungen hatten keine negativen Auswirkungen“
Pandemie. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) über Öffnungen, impfende Apotheker und eine Grippe-Maskenpflicht.
Die Presse: Am Montag kündigt die Regierung Lockerungen an, am Donnerstag sagen Sie, die Situation sei alarmierend. Was ist denn nun Sache?
Rudolf Anschober: Ich habe auch schon bei den Beratungen am Montag sehr klar und eindeutig gesagt, dass die Situation alles andere als einfach ist und große Öffnungsschritte nicht in Frage kommen. Deswegen haben wir uns ja – was in der Öffentlichkeit sehr wenig wahrgenommen wurde – auf zusätzliche Schutzmaßnahmen verständigt, die rechtlich gerade verankert werden. Am Mittwoch hat dann die Expertenprognose gezeigt, dass die Situation noch einmal alarmierender ist und durchaus dem ähnelt, was wir im Oktober, um denn 22., erlebt haben.
Im Herbst musste man einen Lockdown verordnen. Rotkreuz-Manager Gerry Foitik fordert auch jetzt einen: Kurz und hart soll er sein. Ist das nicht das, worüber man jetzt ehrlicherweise reden müsste?
Die nächsten zehn Tage werden das zeigen. Wir brauchen eine Trendwende. Der Appell ist, dass die Schutzmaßnahmen konsequent umgesetzt werden. Dazu kommen Kontrolloffensiven der Exekutive in Hotspot-Gemeinden. Zum anderen habe ich Ausreisetestungen in Bezirken mit sehr hohen Zahlen angeordnet. In Tirol hat sich das sehr bewährt.
Sie haben einmal gesagt, dass Sebastian Kurz schneller entscheidet, während Sie derjenige sind, der lieber noch eine Runde nachdenkt. War das am Montag, als es um die Lockerungen ging, wieder so ein Fall? Ich bin nicht derjenige, der Detailinformationen aus vertraulichen Gesprächen hinausposaunt. Klar ist aber, dass ich am Montag derjenige war, der Bedenken hatte, was schnelle Öffnungsschritte betrifft – und dass manche Landeshauptleute da viel offensiver sein wollten.
Die Leute freuen sich auf geöffnete Schanigärten zu Ostern. Wie realistisch ist das angesichts der neuen Prognose?
Natürlich ist es auch mein Ziel, dass diese Öffnung möglich wird, denn wir alle freuen uns darauf. Das kann aber immer nur dann der Fall sein, wenn das verantwortbar ist. Und das wollen wir am 15. März bewerten, auf Basis der Analyse der Fachexperten.
Aber kann man noch zehn Tage zuschauen? Ab einer Wocheninzidenz von 200 soll es regional Konsequenzen. Einige Länder sind schon dort, andere werden bald dort sein. Müsste man nicht darüber reden, ob man die bisherigen Lockerungen – etwa im Handel – wieder zurücknimmt?
Die bisherigen Lockerungen haben nach unserem Informationsstand keine entscheidenden negativen Auswirkungen gehabt. Es gab ja Schutz in allen Bereichen: FFP2-Masken, Abstand, Testungen.
Der Handel und die Schulen haben kaum Einfluss auf die Verbreitung des Virus?
Die Hauptursache ist der Durchmarsch der britischen Virusvariante. Das Risiko, etwa in den Schulen, haben wir mit der massiven Zunahme der Testungen verringert. Die Tests wirken, aber sie wirken zu wenig, um die Mutanten im Griff behalten zu können.
Wo passieren die meisten Ansteckungen? Wir merken beim Contact Tracing, dass wir öfter keine präzisen Aussagen bekommen. Sehr oft wird der Haushalt genannt, aber die Infektion muss ja irgendwie hineinkommen. Ein wesentlicher Bereich ist der Arbeitsplatz, nicht der Arbeitsort selbst, sondern Sozialräume oder Firmenbusse. Hier wollen wir mit Präventionskonzepten ansetzen. Und bei jungen Leuten merken wir schon einen deutlich erhöhten Inzidenz-Wert. Das deutet darauf hin, dass wir sowohl im schulischen Umfeld als auch im Freizeitverhalten von Jugendlichen ein Thema haben. Bei den 15bis 24-Jährigen deutet das eher auf das Freizeitverhalten hin.
Warum dauert es so lange, bis Ausreisetestungen angeordnet werden. Über Hermagor wurde sehr lange geredet, bis
es so weit war. Über Wiener Neustadt reden wir immer noch. Ist das nicht eine Gefahr für die Leute vor Ort und alle rundherum?
Da muss ich die Landesbehörden in Schutz nehmen. Es ist ja nicht so, dass man da untätig zugewartet hätte. Das, was ich zusätzlich haben will, sind Ausreisetestungen. Warum? Weil es ein sehr, sehr gutes Instrument ist, damit wir mit den Testungen in die Breite kommen. Und als Maßnahme gegen eine Ausbreitung in anderen Regionen.
Wann kommen Ausreisetestungen für Wiener Neustadt?
Am Montag haben wir bei den Beratungen zur Pandemie mit Experten und Landeshauptleuten fixiert, dass wir ein Sicherungsnetz zur Begrenzung regionaler Covid-19-Brennpunkte brauchen. Ich werde heute noch einen Erlass dazu an die Landeshauptleute verschicken, damit die zuständigen Bezirksbehörden verpflichtende Ausreisetestungen in Bezirken und/oder Gemeinden mit einer 7-Tages-Inzidenz über 400 verordnen können. Ich bin überzeugt, dass Wr. Neustadt und das Land Niederösterreich die notwendigen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung effizient umsetzen können.
Warum werden für Öffnungen immer Termine genannt, die dann zurückgenommen werden müssen, und nicht Inzidenzen oder andere objektive Kriterien? Gegenfrage: Deutschland hat 35 als Inzidenzziel genannt, ist weit davon entfernt und beginnt trotzdem mit Öffnungen. Das ist keine Kritik, bei uns ist das ja genauso passiert. Ich denke es braucht eine Gesamtbewertung. Man muss auch Bereiche mitbedenken, die nichts mit Infektionszahlen zu tun haben, z. B. die Frage, wie sich Maßnahmen auf die psychosoziale Situation oder auf Jugendliche auswirken.
Bleiben Sie bei Ihrer Prognose, dass jeder im Sommer ein Impfangebot erhält? Absolut.
Der Kanzler will mit Israel und Dänemark ein Netzwerk zur Impfstoffproduktion hochziehen. Unterstützen Sie das?
Ich bin sehr zufrieden mit dem EU-Beschaffungsprogramm, weil wir als Europa eine ganz andere Marktmacht haben. Eine über Europa hinausgehende Kooperation ist aber sicher eine gute Ergänzung, die sich nicht gegen die EU richtet.
Studien zeigen, dass bereits eine Impfdosis gut schützt. Müsste man nicht als Devise ausgeben, zunächst möglichst schnell eine Dosis zu verimpfen?
Wir hören auf das nationale Impfgremium, und die Impfexperten haben uns gesagt, wir sollen bei den Empfehlungen der Impfstoffhersteller bleiben. Aber der März bringt oh eine Verdreifachung der Liefermengen, der April noch einmal eine Verdoppelung.
Glauben Sie, dass AstraZeneca die vereinbarten Mengen liefert?
Sie haben Recht, das war nicht immer so. Wir haben für AstraZeneca im zweiten Quartal deshalb sehr vorsichtig kalkuliert.
AstraZeneca wurde jetzt erst für Über-65-Jährige empfohlen. Professor Wiedermann-Schmidt, Mitglied des Impgremiums, findet dieses lange Zuwarten als übervorsichtig. Sie auch?
Es steht mir nicht zu, das zu bewerten. Ich bin nicht Teil des nationalen Impfgremiums. Klar ist, dass diese Entscheidung eine große Erleichterung bei der Umsetzung der Impfkampagne bringt.
Der Vizepräsident der Ärztekammer meinte kürzlich auf Ö1 auf die Frage, ob er sich mit AstraZeneca impfen lasse: Ja, wenn nichts anderes da ist. Wenn Ärzte so reden, wie sollen dann Laien vertrauen? Wir haben tatsächlich keinen Rückstau bei der Impfung mit AstraZeneca. Auch dieser Impfstoff wird in Östereich gut akzeptiert. Ich würde mich jederzeit mit jenem von AstraZeneca impfen lassen.
Würden Sie sich auch von einem Apotheker impfen lassen oder nur vom Arzt?
Ich kann mir lang- oder auch mittelfristig vorstellen, dass Apotheken in den Impfprozess integriert werden. Es gab bereits Gespräche mit der Apothekerkammer. Aber dafür braucht es einen Schulungs- und Vorbereitungsprozess, der nicht in der hochsensiblen Phase der Pandemie passieren kann.
Sondern wann?
Möglicherweise nach der jetzigen Impfkampagne. Denn ich gehe davon aus, dass wir künftig – ähnlich wie bei der Grippe – jährlich angepasste Covid-Impfstoffe haben werden. Ein Einstieg der Apotheken könnte schon nächstes Jahr bei der Grippeimpfung passieren, bei der es einen deutlich größeren Zulauf geben wird als bisher. Entschieden ist aber noch nichts.
Die Maskenpflicht hat dazu beigetragen, dass die Grippewelle diesmal ausgefallen ist. Könnte es künftig in der Influenza-Saison eine Maskenpflicht geben, etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Spitälern? Tatsache ist, dass wir diesmal eine Erkrankung, die in der Vergangenheit jährlich zirka 1000 Todesfälle verursacht hat, quasi gestoppt haben. Ich halte diesen Erfolg für sensationell. Insofern spricht einiges dafür, dass wir das eine oder andere, was wir jetzt gelernt haben, während einer solchen Akutphase anwenden. Diese Entscheidung, die auch eine politische ist, müssen wir treffen, aber da haben wir noch etwas Zeit.
Bleiben wir bei den Masken. Viele fragen sich derzeit: Sind die Hygiene-AustriaMasken sicher?
Das wird gerade behördlich überprüft. Aber das Gesundheitsministerium ist hier nicht zuständig.
Aber das Ministerium hat mit Hygiene Austria für die Gratis-Masken-Aktion für die Gruppe 65+ exklusive Gespräche geführt. Warum? Schon damals gab es Zweifel an der Qualität, und der Preis war deutlich höher als bei anderen.
Ich persönlich nicht. Ich gehe davon aus, dass eine Überlegung war, eine österreichische Bezugsquelle für diese vielen Millionen benötigter FFP2-Masken zu finden. Wir hatten im März eine extrem schwierige Situation bei Schutzmaterialien, weil es keine österreichische oder europäische Produktion gab.
Apropos Verträge: Werden die Beratungsverträge mit dem Roten Kreuz verlängert? Derzeit ist das nicht geplant, aber das hängt von dem Pandemiegeschehen ab. In der Startphase war das Rote Kreuz ein sehr wichtiger Partner beim teilweise notwendigen Umbau des Ministeriums in einen Krisenstab, der zum Steuerungszentrum der Krise werden musste. Mein Eindruck ist, dass sie sich das Geld redlich verdient haben.