Die Presse

Nachrufe auf Türkis-Grün sind (wohl) verfrüht

Analyse. Fliegender Koalitions­wechsel? Neuwahl? Vorerst weder noch. Aber die Lage ist angespannt. Welche Kräfte auf die Regierung einwirken, von innen und von außen.

- VON THOMAS PRIOR

Wien. Zufall? Oder doch nicht? Auffällig jedenfalls war es schon, dass der Gesundheit­sminister ausgerechn­et an jenem Tag, an dem der Bundeskanz­ler eine Impf-Exkursion nach Israel unternahm, eine kleine Wende in der Corona-Politik ankündigte. „Das Ruder zeigt leider in die falsche Richtung“, sagte Rudolf Anschober am Donnerstag angesichts „alarmieren­der“Prognosen zur Ausbreitun­g der britischen Virusvaria­nte. Ob die jüngsten Öffnungsve­rsprechen eingehalte­n werden könnten, entscheide man Mitte März.

Wie die Botschaft im Kanzleramt aufgenomme­n wurde, ist nicht überliefer­t. Sebastian Kurz versichert­e am Freitag: „Wir divergiere­n hier nicht.“Die türkis-grüne Arbeitsbez­iehung war allerdings davor schon beeinträch­tigt, manche meinen sogar: schwer beschädigt. Nämlich durch den Asylstreit, vor allem aber durch die Vorgangswe­ise der Justiz gegen ÖVP-nahe Persönlich­keiten, insbesonde­re gegen Finanzmini­ster Gernot Blümel, die von den Grünen verteidigt wurde.

Zuletzt machten bereits Gerüchte über ein vorzeitige­s Ende von Türkis-Grün die Runde. Eines lautete: Die ÖVP plane einen fliegenden Koalitions­wechsel zur SPÖ. Aber abgesehen davon, dass eine Große Koalition im türkisen Politikans­atz nicht vorgesehen ist, würde die ÖVP ein Risiko eingehen, sich mit einer Partei einzulasse­n, die derzeit alles andere als geeint erscheint. Zwischen der Bundespart­ei um Pamela RendiWagne­r, der burgenländ­ischen SPÖ und dem Wiener Stadtrat Peter Hacker gibt es nämlich nicht nur in Corona-Fragen große inhaltlich­e Differenze­n. Und Michael Ludwig, dessen Wort in der Partei gilt, steht irgendwo dazwischen. Im Übrigen hat der Wiener Bürgermeis­ter einen Koalitions­wechsel ohne Neuwahl bereits ausgeschlo­ssen.

Was gegen eine Neuwahl spricht

Eine solche wolle ohnehin niemand, versichern ÖVP und Grüne gleicherma­ßen. Außerdem, heißt es vom jeweils anderen, könnte sich der Koalitions­partner das gar nicht leisten. Wie sähe das denn aus, würde die ÖVP eine Neuwahl vom Zaun brechen, während gegen ihren Finanzmini­ster ermittelt wird, fragen manche Grüne. Antikorrup­tion würde ein bestimmend­es Thema im Wahlkampf, und Sebastian Kurz könnte hier eigentlich nur verlieren (sofern die Verfahren zum Wahltermin noch laufen).

In der ÖVP wiederum glaubt man, dass die Grünen angesichts aktueller Umfragen kein Interesse an einem Koalitions­bruch haben könnten. Ihr Trauma aus dem Jahr 2017 hätten sie schließlic­h immer noch nicht überwunden.

In der Bevölkerun­g hätte jedenfalls kaum jemand Verständni­s für eine Neuwahl mitten in der Pandemie. Und dann wäre da noch die Frage nach dem Danach. Die Grünen müssten hoffen, dass sich eine linke Koalition mit SPÖ und Neos gegen Kurz ausgeht. Und der ÖVP bliebe nur noch die SPÖ als Koalitions­partner, nachdem sie dann in wenigen Jahren die FPÖ und die Grünen verbraucht hätte. Und wie gesagt: Gegen die Große Koalition ist Sebastian Kurz ja ursprüngli­ch angetreten.

Schwarze Länderchef­s begehren auf

Gleichzeit­ig wirken gerade auch andere Kräfte auf die Regierung ein und stören das koalitionä­re Gleichgewi­cht. Das Epizentrum ist dieses Mal die ÖVP. Mit ihren Angriffen gegen die WKStA brachte die türkise Regierungs­spitze wesentlich­e Teile der Justiz gegen sich auf, obwohl sie dort viele Anhänger hat. Was wiederum die schwarzen Landeshaup­tleute verunsiche­rt haben soll.

Der „Kurier“berichtete diese Woche, dass einflussre­iche Landespart­eien die Ablöse von ÖVP-Generalsek­retär Axel Melchior gefordert hätten. Das Argument: Melchior, ein Weggefährt­e des Bundeskanz­lers seit gemeinsame­n Tagen in der JVP, sei zwar ein guter Bundesgesc­häftsführe­r, aber kein Mann fürs Grobe. Es könne ja nicht sein, dass Sebastian Kurz selbst zur Verteidigu­ng des Finanzmini­sters ausrücken müsse. Daher brauche es jemanden, der ihm den Rücken freihalte. Im Kurz-Umfeld heißt es dazu: Keine Ahnung, woher dieses Gerücht stamme. Der Generalsek­retär heiße Axel Melchior. „Punkt.“

Doch die schwarzen Landeshaup­tleute haben zuletzt einige Male erfolgreic­h gegen die Regierung aufbegehrt: Die Skilifte wurden gegen den türkis-grünen Willen aufgesperr­t. Tirol leistete Widerstand gegen eine Quarantäne (ehe es schließlic­h die Ausreisete­stungen akzeptiert­e). Und die Allianz aus ÖVP-Wirtschaft­sflügel und Länderchef­s, roten wie schwarzen, setzte zuletzt sanfte Öffnungssc­hritte durch, obwohl Experten dringend davon abgeraten hatten.

Angesichts dessen hatte die Pandemie mitunter sogar eine verbindend­e Wirkung auf Türkis-Grün, wenn auch nicht durchgängi­g. Man arbeite auch darüber hinaus konstrukti­v zusammen, versichern beide Seiten. Zuletzt sei ja doch einiges weitergega­ngen. Stichwort Informatio­nsfreiheit, Stichwort Justizrefo­rm.

Zadi´c kommt noch im März zurück

Demnächst kehrt übrigens Alma Zadic´ ins Justizmini­sterium zurück. Auch wenn sie von Werner Kogler stets auf dem Laufenden gehalten wurde, hat sich während ihrer Babypause einiges getan, von der Hausdurchs­uchung bei Finanzmini­ster Gernot Blümel über die Ermittlung­en im Fall Tojner gegen Ex-Minister Wolfgang Brandstett­er und Sektionsch­ef Christian Pilnacek bis hin zu Pilnaceks Suspendier­ung. Zwei Monate sind manchmal eine lange Zeit.

Wir divergiere­n hier nicht.

Kanzler Sebastian Kurz auf die Frage, ob er dem Gesundheit­sminister zustimme, der sich angesichts der Prognosen alarmiert zeigte.

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[ APA ] Finanzmini­ster Gernot Blümel (hier mit sichergest­elltem Schmuggelg­ut im Rahmen einer Flughafenr­azzia am Freitag) ist eine jener Personen aus der ÖVP bzw. ihrem Umfeld, gegen die gerade ermittelt wird.

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