Diese „Steiermark Schau“braucht viele Blicke
Graz. Gut gemeint, kann aber auch angestrengt wirken: Das vierteilige neue steirische Landesausstellungsformat legt großen Wert auf das permanente Verbinden und den Austausch zwischen den Zeiten und den Disziplinen.
Es sind 15 Jahre vergangen seit der letzten Landesausstellung in der Steiermark, „Wege zur Gesundheit“in Bruck an der Mur, falls Sie sich nicht mehr erinnern. Vor acht Jahren verlief sich das ambitionierte Nachfolgeprojekt, die „Regionale“, ein biennales Festival in den, ja, steirischen Regionen. 2010 ließ der chinesische Künstler Ai Weiwei in ihrem Rahmen einen Gesteinsbrocken, losgelöst von einem verheerenden Erdbeben in Sichuan, auf den Dachstein fliegen. Es ging um Macht und Ohnmacht im Verhältnis von Mensch und Natur. Die Aktion ging um die Welt.
Derart große symbolische Gesten bei teilweise ähnlicher Thematik sucht man bei der „Steiermark Schau“vergeblich. Das gerade eröffnete neue Landesausstellungsformat, mit dem VP-Kulturlandesrat Christopher Drexler dieses ergraute Genre nicht weniger als neu erfinden möchte, spricht eine andere Sprache. Und die mit vielen Zungen an ganzen drei Standorten des Universalmuseums Joanneum in Graz sowie einem mobilen Ausstellungspavillon, der derzeit verschlossen auf dem Wiener Heldenplatz prangt. (Ab 18. April tourt dieser dann hoffentlich begehbar durch drei steirische Städte.)
Braves neues Volkskundemuseum
Gesetzt bleiben die drei Grazer Ausstellungsteile, davon zwei Sammlungsneuaufstellungen: Das Volkskundemuseum im ehemaligen Kapuzinerkloster eröffnet nach langem Umbau und nur mir einem Bruchteil der alten Vitrinen unter dem Label „Steiermark Schau“wieder. Das relativ beliebige Motto lautet „Wie es ist“und beinhaltet einen kleinteiligen, pointiert auf die Gegenwartsgesellschaft zielenden Rundgang durch die steirische Ethnologie. Von der Backhendl-Tradition (der Pionierstreit Wien/Graz bleibt unentschieden) über den unvermeidlichen Erzherzog Johann bis zum Rennfahrer-Anzug. Alles wird brav ambivalent durchdekliniert – zum Hendl kommt die Massentierhaltung, die 1959 über die Steiermark in Österreich eingeführt wurde, zum Erzherzog die spätere NS-Heimat-Maschinerie, zum Rennfahrer-Anzug (Spielberg) die Schwierigkeiten der Mur-Mürz-Furche.
Unberührt von der Neugestaltung blieb (noch) der alte Trachtensaal. Mit seinen klobigen Trachtenpuppen macht er als bizarres Relikt der Urzeit dieses Museums unter dem deutschnationalen Gründungsdirektor Viktor Geramb eindeutig am meisten her.
Mit Ausnahme des mobilen Pavillons, wo auf spektakuläre Panorama-Videos gesetzt wurde, erzählen die Grazer Ausstellungen davon, wie man drängende Themen im 21. Jahrhundert eben so präsentiert: Unprätentiös, sehr informativ, aber auch kleinteilig und auf politische Korrektheit bedacht. Am
Ende sehnt man sich nahezu nach dem optischen Effekt, nach der radikalen Äußerung.
Man findet Ersteren zumindest in der Neuaufstellung des Museums für Geschichte mit ihren Architekturmodellen in dunklem Ambiente (dazu einmal extra). Auch in der „Needle“, also der gläsernen obersten Ausstellungsebene des Kunsthauses Graz, darf man kurz ergriffen innehalten: Vor einem Trümmerfeld der menschlichen Zivilisation, über das hinweg man auf die Stadt darunter blickt. Martin Roth, 2019 verstorben, hat im selben Jahr seiner Dystopie doch einen Funken Hoffnung geschenkt – zwischen dem Schutt wächst Leben, Unkraut.
Eine Metapher des widerständigen Wildwuchses, die sozusagen kultiviert wurde durch das Werk Lois Weinbergers, ebenfalls unlängst, 2020, verstorben. Auch er ist vertreten in diesem wahren Wust dieser alle Nischen, Ecken, Geschoße umfassenden Zukunftsausstellung „Was sein wird“. Ziemlich vieles wird hier ziemlich gleichzeitig abgehandelt, vom Klimawandel über das Zusammenleben bis zur Digitalisierung. Kunsthaus-Direktorin Barbara Steiner und ihr Team scheinen exemplarisch zeigen zu wollen, was auch der steirischen Kulturpolitik für die Zukunft der „Steiermark Schau“(biennal, nicht auf Graz fixiert) wichtig ist: die Verbindung zwischen Geschichte, Wissenschaft, Technologie und Gegenwartskunst.
Der Kunst den Rest der Magie geraubt
Nur – die völlige Gleichstellung dieser Disziplinen in einer Ausstellung, wie eng diese sich theoretisch auch umarmen mögen, ist ästhetisch problematisch. Es tut fast weh, wie fließend die Übergänge zwischen einer utopischen Firmenpräsentation (selbstfahrendes Auto), futuristischem Design (die tolle, aus Küchenabfällen Gas erzeugende Kitchen-Cow von Eoos), Sozialprojekt (Porträts aus der „Grazer Straßenzeitung“) und Kunst plötzlich ist. Zwar mögen manche Künstler absichtlich mit dem Verzicht auf Bildmacht flirten. Wird ihr aber auch von der Präsentation her jegliche Magie genommen, geht das traurig für sie aus.
Inhaltlich den stärksten Eindruck hinterlässt die kritische Hinterfragung des Kunsthauses Graz samt seiner Sci-Fi-Architektur selbst: Ob das Alfredo Barsuglia ist, der vor dem Kunsthaus eine eigene schlichte Kunsthalle aufgebaut hat (aus nachhaltigem Material, samt Schneckenzucht und Random-Programmierung). Oder Onur Sönmez, der die leuchtende Hightech-Kunsthaus-Fassade nur so lang leuchten lässt, wie eigens angebrachte Sonnenkollektoren auf dem Dach das wollen. Muss man wissen. Muss man suchen. Aber dann werden manchmal auch aus bescheidenen Gesten doch recht große.