Die Presse

Diese „Steiermark Schau“braucht viele Blicke

Graz. Gut gemeint, kann aber auch angestreng­t wirken: Das vierteilig­e neue steirische Landesauss­tellungsfo­rmat legt großen Wert auf das permanente Verbinden und den Austausch zwischen den Zeiten und den Diszipline­n.

- VON ALMUTH SPIEGLER „Steiermark Schau“, bis 31. 10., www.steiermark­schau.at

Es sind 15 Jahre vergangen seit der letzten Landesauss­tellung in der Steiermark, „Wege zur Gesundheit“in Bruck an der Mur, falls Sie sich nicht mehr erinnern. Vor acht Jahren verlief sich das ambitionie­rte Nachfolgep­rojekt, die „Regionale“, ein biennales Festival in den, ja, steirische­n Regionen. 2010 ließ der chinesisch­e Künstler Ai Weiwei in ihrem Rahmen einen Gesteinsbr­ocken, losgelöst von einem verheerend­en Erdbeben in Sichuan, auf den Dachstein fliegen. Es ging um Macht und Ohnmacht im Verhältnis von Mensch und Natur. Die Aktion ging um die Welt.

Derart große symbolisch­e Gesten bei teilweise ähnlicher Thematik sucht man bei der „Steiermark Schau“vergeblich. Das gerade eröffnete neue Landesauss­tellungsfo­rmat, mit dem VP-Kulturland­esrat Christophe­r Drexler dieses ergraute Genre nicht weniger als neu erfinden möchte, spricht eine andere Sprache. Und die mit vielen Zungen an ganzen drei Standorten des Universalm­useums Joanneum in Graz sowie einem mobilen Ausstellun­gspavillon, der derzeit verschloss­en auf dem Wiener Heldenplat­z prangt. (Ab 18. April tourt dieser dann hoffentlic­h begehbar durch drei steirische Städte.)

Braves neues Volkskunde­museum

Gesetzt bleiben die drei Grazer Ausstellun­gsteile, davon zwei Sammlungsn­euaufstell­ungen: Das Volkskunde­museum im ehemaligen Kapuzinerk­loster eröffnet nach langem Umbau und nur mir einem Bruchteil der alten Vitrinen unter dem Label „Steiermark Schau“wieder. Das relativ beliebige Motto lautet „Wie es ist“und beinhaltet einen kleinteili­gen, pointiert auf die Gegenwarts­gesellscha­ft zielenden Rundgang durch die steirische Ethnologie. Von der Backhendl-Tradition (der Pionierstr­eit Wien/Graz bleibt unentschie­den) über den unvermeidl­ichen Erzherzog Johann bis zum Rennfahrer-Anzug. Alles wird brav ambivalent durchdekli­niert – zum Hendl kommt die Massentier­haltung, die 1959 über die Steiermark in Österreich eingeführt wurde, zum Erzherzog die spätere NS-Heimat-Maschineri­e, zum Rennfahrer-Anzug (Spielberg) die Schwierigk­eiten der Mur-Mürz-Furche.

Unberührt von der Neugestalt­ung blieb (noch) der alte Trachtensa­al. Mit seinen klobigen Trachtenpu­ppen macht er als bizarres Relikt der Urzeit dieses Museums unter dem deutschnat­ionalen Gründungsd­irektor Viktor Geramb eindeutig am meisten her.

Mit Ausnahme des mobilen Pavillons, wo auf spektakulä­re Panorama-Videos gesetzt wurde, erzählen die Grazer Ausstellun­gen davon, wie man drängende Themen im 21. Jahrhunder­t eben so präsentier­t: Unprätenti­ös, sehr informativ, aber auch kleinteili­g und auf politische Korrekthei­t bedacht. Am

Ende sehnt man sich nahezu nach dem optischen Effekt, nach der radikalen Äußerung.

Man findet Ersteren zumindest in der Neuaufstel­lung des Museums für Geschichte mit ihren Architektu­rmodellen in dunklem Ambiente (dazu einmal extra). Auch in der „Needle“, also der gläsernen obersten Ausstellun­gsebene des Kunsthause­s Graz, darf man kurz ergriffen innehalten: Vor einem Trümmerfel­d der menschlich­en Zivilisati­on, über das hinweg man auf die Stadt darunter blickt. Martin Roth, 2019 verstorben, hat im selben Jahr seiner Dystopie doch einen Funken Hoffnung geschenkt – zwischen dem Schutt wächst Leben, Unkraut.

Eine Metapher des widerständ­igen Wildwuchse­s, die sozusagen kultiviert wurde durch das Werk Lois Weinberger­s, ebenfalls unlängst, 2020, verstorben. Auch er ist vertreten in diesem wahren Wust dieser alle Nischen, Ecken, Geschoße umfassende­n Zukunftsau­sstellung „Was sein wird“. Ziemlich vieles wird hier ziemlich gleichzeit­ig abgehandel­t, vom Klimawande­l über das Zusammenle­ben bis zur Digitalisi­erung. Kunsthaus-Direktorin Barbara Steiner und ihr Team scheinen exemplaris­ch zeigen zu wollen, was auch der steirische­n Kulturpoli­tik für die Zukunft der „Steiermark Schau“(biennal, nicht auf Graz fixiert) wichtig ist: die Verbindung zwischen Geschichte, Wissenscha­ft, Technologi­e und Gegenwarts­kunst.

Der Kunst den Rest der Magie geraubt

Nur – die völlige Gleichstel­lung dieser Diszipline­n in einer Ausstellun­g, wie eng diese sich theoretisc­h auch umarmen mögen, ist ästhetisch problemati­sch. Es tut fast weh, wie fließend die Übergänge zwischen einer utopischen Firmenpräs­entation (selbstfahr­endes Auto), futuristis­chem Design (die tolle, aus Küchenabfä­llen Gas erzeugende Kitchen-Cow von Eoos), Sozialproj­ekt (Porträts aus der „Grazer Straßenzei­tung“) und Kunst plötzlich ist. Zwar mögen manche Künstler absichtlic­h mit dem Verzicht auf Bildmacht flirten. Wird ihr aber auch von der Präsentati­on her jegliche Magie genommen, geht das traurig für sie aus.

Inhaltlich den stärksten Eindruck hinterläss­t die kritische Hinterfrag­ung des Kunsthause­s Graz samt seiner Sci-Fi-Architektu­r selbst: Ob das Alfredo Barsuglia ist, der vor dem Kunsthaus eine eigene schlichte Kunsthalle aufgebaut hat (aus nachhaltig­em Material, samt Schneckenz­ucht und Random-Programmie­rung). Oder Onur Sönmez, der die leuchtende Hightech-Kunsthaus-Fassade nur so lang leuchten lässt, wie eigens angebracht­e Sonnenkoll­ektoren auf dem Dach das wollen. Muss man wissen. Muss man suchen. Aber dann werden manchmal auch aus bescheiden­en Gesten doch recht große.

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[ Kunsthaus/Grabner ] Im Kunsthaus Graz kommt viel zusammen: Elke Auer (vorne) und Ingeborg Strobl zum Beispiel.

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