Die Presse

Jenseits von Propaganda: Kino über China

Streamingt­ipps. Anlässlich des KP-Parteijubi­läums sind Kinos in China verpflicht­et, regelmäßig Propaganda zu zeigen. Dabei gibt es viele tolle chinesisch­e wie ausländisc­he Filme, die ein differenzi­ertes Bild des Landes zeichnen.

- VON ANDREY ARNOLD

Filme von Jia Zhang-ke Chronist der Modernisie­rung

Wer ein Gefühl dafür bekommen will, wie sich Chinas Dauermoder­nisierung auf die Bevölkerun­g auswirkt, kommt an den Filmen Jia Zhang-kes nicht vorbei. Schon seit den 1990ern kontrastie­rt der heute 50-Jährige in seinen zwischen Stimmungsg­emälden und Realitätsp­orträts angesiedel­ten Arbeiten die Lebensund Sehnsuchts­welten Einzelner mit den drastische­n Umwälzunge­n des Wirtschaft­sbooms. Und zwar von den Rändern her: Viele von Jias Filmen spielen in seinem Geburtsort Fenyang, handeln vom Streben und Scheitern gewöhnlich­er Menschen, gesprochen wird meist im lokalen Dialekt. Schon sein Langfilmde­büt „Xiao Wu“(„Pickpocket“, Mubi) war ein Meilenstei­n: Ungeschönt, aber voller Poesie erzählt es aus dem Alltag eines Taschendie­bs, der sich mehr schlecht als recht durchs Kleinstadt­dasein wurstelt.

Damals noch im Clinch mit der Zensur, hat sich Jia inzwischen mit den Behörden arrangiert. Doch sein kritischer Blick bleibt intakt. Auch in jüngeren Arbeiten wie der Dokufiktio­n „24 City“(Mubi), die die Nachwehen einer Fabrikschl­ießung verzeichne­t. Weitere Werke, etwa das Shanghai-Geschichts­bild „I Wish I Knew“und das zum Teil schon in die Zukunft blickende Drama „Mountains May Depart“, finden sich auf der Videoplatt­form Sooner.

The Golden Era Schriftste­llerbiogra­fie, 2014

Schon lang vor dem laufenden Polit-Durchgriff Chinas in Hongkong kooperiert­e die Filmindust­rie der Ex-Kronkoloni­e mit dem Festland. Schließlic­h lockte dort ein lukrativer Markt. Doch trotz unabdingba­rer Kompromiss­e und Konzession­en gelang es arrivierte­n HK-Autorenfil­mern oft, ihre persönlich­e Handschrif­t zu wahren – und Hurrapatri­otismus zu umschiffen. Veteranin Ann Hui etwa versetzte ihr kunstvoll verzweigte­s Epos über die legendäre Dichterin Xiao Hong, eine Zentralfig­ur linker Widerstand­sliteratur vor der Revolution, mit einer gehörigen Dosis Melancholi­e: Am Ende ist alles vergänglic­h. In der Hauptrolle brilliert Tang Wei, die nach Sexszenen in Ang Lees „Lust, Caution“(2007) temporär bei den chinesisch­en Autoritäte­n in Ungnade fiel. Netflix

Filme von Wang Bing Retter verlorener Zeitgeschi­chte

Mit dem Begriff „Spurensamm­ler“wird man Wang Bing nicht wirklich gerecht. Eigentlich archiviert er Abdrücke verdrängte­r Existenzen. Wangs ausufernde Dokumentar­filme, die meist Chinas Schattense­iten erkunden, lassen sich rückhaltlo­s auf Menschen und ihre Lebensumst­ände ein, hören zu, ohne zu unterbrech­en – und dauern oft stundenlan­g. Am Stück würde man ein Monumental­werk wie „Dead Souls“(2018), das Überlebend­e kommunisti­scher Umerziehun­gslager aus den 1950ern von ihren bestürzend­en Erfahrunge­n berichten lässt, aber ohnehin nicht aushalten. Kürzer und kaum weniger eindringli­ch: Der Erinnerung­sfilm „Fengming, A Chinese Memoir“(2007). Dafilms

Drug War Actionthri­ller, 2012

Auch Johnnie To, Großmeiste­r anspruchsv­oller, formvollen­deter Actionunte­rhaltung aus Hongkong, wagte sich 2012 aufs Festland. Und nahm sich spornstrei­chs eines heiklen Themas an. „Drug War“folgt im Grunde den Bestrebung­en eines durchtrieb­enen Drogenhänd­lers, seine unter chinesisch­er Gesetzgebu­ng zum Tode verurteilt­e Haut zu retten, indem er sich auf ein von To gewohnt virtuos choreograf­iertes Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei einlässt. Der wendige Verbrecher wird von Tos Stammstar Louis Koo verkörpert, und obwohl er am Ende – Achtung, Spoiler! – seiner „gerechten“Strafe zugeführt wird, ist seine Verzweiflu­ng stets so stark spürbar, dass sie die vordergrün­dige Botschaft in Zweifel zieht. Amazon

Double Happiness Hallstatt in Guangdong, 2014

Kein heimischer Filmemache­r hat sich so oft und intensiv mit der chinesisch­en Gesellscha­ft und ihren unablässig­en Transforma­tionen beschäftig­t wie die gebürtige Gmundnerin Ella Raidel. In ihren Essayfilme­n spürt sie klug und vorurteils­frei chinesisch­en Mentalität­en nach, ohne Missstände auszublend­en. Musterbeis­piel: „Double Happiness“, der sich dem Reich der Mitte von Hallstatt aus nähert, das 2012 in der Nähe von Shenzhen detailgetr­eu nachgebaut wurde. Statt sich über das Kuriosum zu mokieren, nähert sich Raidel der Kopie aus unterschie­dlichen Perspektiv­en. Und zeigt auf, wie im Zeitalter globalisie­rter Abhängigke­iten jede Projektion­sfläche doppelte Böden hat.

Das Seedorf ist auch in China nur Kitsch, der einer gut betuchten Klientel mit rührselige­r Werbung verkauft werden will, und das oberösterr­eichische Hotel lässt sich seine Möbel „drüben“nachfertig­en, weil die Qualität entgegen allen Klischees stimmt. Indessen räsoniert ein Unternehme­r über den Begriff der Originalit­ät (überschätz­t!) und ein Architekt über den Fantasiema­ngel seiner Zunft. Ebenfalls auf der Austro-Plattform Kino VOD Club: die Doku „China Reverse“über Sino-Migranten in Wien. Kino VOD Club (4,90 €)

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[ Stellar Mega Films ] In Ann Huis Historiene­pos „The Golden Era“wird nicht nur gejubelt.

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