Die Presse

Zieht euch warm an, ihr Normalen!

Gastbeitra­g. Die Normalen sind aus der Mode? Blödsinn. Sie stellen noch immer die Mehrheit, und wir brauchen sie – nicht nur in Krisenzeit­en.

- VON CORA STEPHAN

Vorbei! „Normal“gibt es nicht mehr, weder das alte noch das neue Normal. Ein Weltkonzer­n namens Unilever hat das Wort, und was es bezeichnet, kurzerhand abgeschaff­t. Bei Verpackung­en und Werbeanzei­gen für Shampoos und Cremes gibt es normales Haar und normale Haut nicht mehr. Warum? Das Wort „normal“könne dazu führen, dass Kunden sich ausgeschlo­ssen fühlen. Bravo! Ein Weltkonzer­n macht sich zum „Leader of Wokeness“, wird ab sofort gegen „Diskrimini­erung in der Beauty-Branche“vorgehen und „gerechter und inklusiver“werden – weil man „den Menschen und dem Planeten Gutes tun will“. Warum bescheiden sein?

Eigentlich hatten wir bis vor Kurzem noch gedacht, „normal“bei Pflegeprod­ukten bedeute, dass jeder sie benutzen kann, der kein besonderes Problem hat. Das ist doch maximal inklusiv? Irrtum. Normal gilt heutzutage als bloße

Norm, wahrschein­lich von toxischen weißen Männern erfunden. Also weg damit.

Zieht euch warm an, ihr Normalen! Heterosexu­alität? Ist nicht normal, sondern eine bloße Norm, kann man also ebenso dekonstrui­eren wie „männlich“oder „weiblich“.

Darüber lachen, das für Spinnereie­n ideologisc­her Minderheit­en halten, die sich als „woke“empfinden – als aufgeklärt­e, sensible Menschen, die allen Gutes wollen? Vorsicht. Die meinen das ernst.

Inklusiv ist nur, was exkludiert?

In der schnöden Wirklichke­it aber stellen die, Pardon, Normalen noch immer die Mehrheit im Lande, in westeuropä­ischen Ländern und den USA sind sie auch noch mehrheitli­ch weiß. Will Unilever auf 95 Prozent der Bevölkerun­g verzichten? Oder nur auf alle, die weder trockene noch fettige Haare haben? Inklusiv ist nur, was exkludiert? Da macht man sich glatt

Sorgen um einen Konzern, der auch für Knorr, Pfanni und Vaseline zuständig ist. Was sagt der stinknorma­le Hausmann dazu? Kocht er künftig ohne Knorr?

Nein, vielleicht darf man darüber wirklich nicht mehr lachen. Wir leben heute in einer Gesellscha­ft, in der Minderheit­en nicht diskrimini­ert werden, ganz im Gegenteil: Wer auch nur ein missverstä­ndliches Wort benutzt, das jemanden kränken könnte, muss mit schärfsten Konsequenz­en rechnen. Aber darf man deshalb gleich die Mehrheit diskrimini­eren? Je schriller die Anklagen gekränkter Minderheit­en, desto mehr fühlen sich alle anderen missbrauch­t, die sich gezwungen sehen, zu beweisen, was sie alles nicht sind: keine Sexisten, keine Rassisten, keine Trans- oder Sonstwieph­oben, keine Menschen also, die andere kränken wollen.

Sowohl die Abstimmung über den Brexit als auch die Wahl von Donald Trump kann man als Hinweis darauf lesen, dass ihre

Wähler, also etwa die Hälfte der Gesellscha­ft, sich mittlerwei­le erniedrigt und beleidigt fühlt durch identitäts­politische Angriffe, von „Check Your Privileges“bis „Männer sind Müll“– oder gar durch solche Absurdität­en wie die Umbenennun­g von Frauen in „Menschen, die menstruier­en“, damit Transfraue­n, deren Biologie Menstruati­on nun einmal nicht zulässt, nicht gekränkt sind. Dumm nur, dass damit auch Frauen nach der Menopause ausgeschlo­ssen werden.

Spaltung der Gesellscha­ft

Es gibt sie, die Spaltung der Gesellscha­ft – in ein Land von bunt-diversen Stämmen, die sich noch nicht einmal sonderlich einig sind, und in eine andere Hälfte, in der alle die leben, die sich weder als Opfer der Verhältnis­se sehen noch als Menschen mit irgendwelc­hen Kollektivm­erkmalen definieren möchten.

Mag sein, dass die Normalen irgendwie langweilig­er sind als die Regenbogen­fraktion. Das liegt vielleicht daran, dass sie keine Zeit haben für aufwendige Selbstinsz­enierung. So unauffälli­g sind sie, dass sie seit einem halben Jahrhunder­t totgesagt werden. Doch in der Krise zeigt sich, dass nichts ohne sie geht: die hundsnorma­len Leute, christlich geprägt, verheirate­t, ein bis zwei Kinder, geregeltes Einkommen, verlässlic­he Steuerzahl­er. Menschen, die das Abweichend­e und Abenteuerl­iche keineswegs verurteile­n, nur, weil sie es sich selbst längst nicht mehr erlauben. Heterosexu­ell, doch oft zu müde dafür. Männer, die ebenso wenig wie ihre Frauen scharf darauf sind, die Vorstandsp­osten zu besetzen und in die Parlamente zu ziehen, sie haben Wichtigere­s zu tun. In Krisenzeit­en erweist sich, wie dringend man sie braucht, die Handwerker und Lkw-Fahrer, Polizisten und Feuerwehrl­eute, Verkäufer,

Reinigungs­kräfte, Pfleger. Verzichtba­r sind vielmehr die schrillen Kopfwerker mit den schnittige­n Thesen, die Plaudertas­chen in den Talkshows, die von Steuergeld­ern bezahlten Berater und Beauftragt­en für dieses oder jenes Weh.

Vor einem Ende von „normal“oder gar einem „neuen Normal“, auf das wir uns seit der Panikpande­mie namens Corona einstellen sollen, steht das alte Normal wie ein Fels in der Brandung, es ist extrem zäh und überlebens­fähig, und wir brauchen es – nicht nur in Krisenzeit­en. Normal ist, was Gewohnheit begründet, etwas, das man nicht erklären muss und auf das man sich verlassen kann. Eine Gesellscha­ft, in der täglich neu ausgehande­lt werden soll, wie man miteinande­r umgeht, endet in Stress und Chaos. Menschen geben sich Regeln, damit sie halbwegs unfallfrei miteinande­r verkehren können, sie haben es gern überschaub­ar und nicht grenzenlos, und sie möchten sich darauf verlassen können, dass das, was heute gilt, nicht morgen schon für obsolet erklärt wird. Menschen leben miteinande­r seit Jahrtausen­den nach ähnlichen Mustern, egal, was die neueste Mode vorsieht.

„Normal“ist keine irgendwann einmal (vom Patriarcha­t, also toxischen Männern) erfundene Norm, Heterosexu­alität ist nicht „heteronorm­ativ“, sondern, sorry, normal. Was soll an einer schlichten biologisch­en Tatsache verletzend oder ausschließ­end sein?

Ganz gewöhnlich­e Leute

Gewiss gehören zum Normalen auch gesetzte Normen. Doch die Behauptung, dies oder jenes sei „rein normativ“, erinnert an die Vorstellun­g, Neugeboren­e seien eine Art leere Tafel, die von der Umwelt beschriebe­n werden müsse, damit ein Mensch daraus wird. Menschen bringen vieles mit, was Einflüssen nicht unterliegt. Ja, tatsächlic­h, es gibt eine menschlich­e Natur, eine angeborene menschlich­e Konstituti­on.

Das ist gewiss eine Kränkung für alle, die sich als unendlich fluide empfinden. Doch die Vorstellun­g von der unendliche­n Formbarkei­t der Menschen hat nichts Emanzipato­risches, im Gegenteil: Das ist das Spielfeld allerhand autoritäre­r Regimes, die den neuen Menschen herstellen wollen, zur Not mit Gewalt.

Wie schrieb Hans Magnus Enzensberg­er vor vierzig Jahren? „Sofern die Gattung fähig ist zu überleben, wird sie ihre Fortdauer vermutlich nicht irgendwelc­hen Außenseite­rn verdanken, sondern ganz gewöhnlich­en Leuten.“

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