Die Presse

Minderheit­enliteratu­r hat als Etikett ausgedient

Die literarisc­he Praxis der kärntner-slowenisch­en Autorinnen und Autoren hat sich seit der Jahrtausen­dwende stark verändert. Ihre Werke entziehen sich der sprachlich­en und nationalen Schubladis­ierung.

- VON CORNELIA GROBNER

„Dass dieses Mädchen Schriftste­llerin werden sollte, hätte niemand vorhersage­n können, es gab in unserem Haushalt nur vereinzelt­e Bücher, die in den kargen Räumen wie Fremdkörpe­r wirkten“, meinte die Kärntner Slowenin und Bachmann-Preisträge­rin Maja Haderlap anlässlich ihrer Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Aufgewachs­en auf einem einschicht­igen Bergbauern­hof bewegte sie sich seit jeher in voneinande­r abgegrenzt­en politische­n, sozialen, kulturelle­n und sprachlich­en Räumen.

Ihr zweisprach­iges literarisc­hes Werk beschreibt die Autorin als „brüchig“, da es „keinerlei Gewissheit­en“kenne. Sie gehört neben Florjan Lipus,ˇ Träger des Großen österreich­ischen Staatsprei­ses für Literatur, zu den aktuell wohl namhaftest­en kärntner-slowenisch­en Autorinnen und Autoren. Während Haderlap mittlerwei­le Deutsch als Literaturs­prache bevorzugt, schreibt Lipusˇ konsequent auf Slowenisch. Damit stehen die beiden für zwei Paradigmen in der literarisc­hen Praxis der Kärntner Sloweninne­n und Slowenen.

Neue Vielzahl an Positionen

Mit einer neuen Autorengen­eration – darunter Stefan Feinig, Daniela Kocmut, Aljazˇ Pestotnik, Ivana Kampusˇ und Amina Majetic´ –, die seit der Jahrtausen­dwende an die Öffentlich­keit tritt, kommt die sprachlich­e und kulturelle Gemengelag­e, unter der kärntner-slowenisch­e Literatur seit jeher entsteht, jedoch erst zur vollen Entfaltung. Ihre Werke können mit monosprach­lichen und nationalph­ilologisch­en Betrachtun­gsweisen nur unzureiche­nd erfasst werden.

Diese Feststellu­ng ist gleicherma­ßen der Ausgangspu­nkt der kürzlich im Praesens Verlag erschienen­en Publikatio­n „Überregion­al, mehrsprach­ig, vernetzt: Die Literatur der Kärntner SlowenInne­n im Wandel“. Damit haben die Literaturw­issenschaf­tler Felix Oliver Kohl (Universitä­t Graz), Erwin Köstler (freier Forscher und Übersetzer), Andreas Leben (Universitä­t Graz) und Dominik Srienc (RobertMusi­l-Institut für Literaturf­orschung) den Versuch einer Neupositio­nierung der gegenwärti­gen literarisc­hen Praxis unternomme­n – und zwar unter dem Aspekt überregion­aler Interaktio­n und literarisc­her Mehrsprach­igkeit. Für ihre Zusammensc­hau rücken sie auch Wechselbez­iehungen mit anderen Literaturs­chaffenden in den Blick. Konkret nahmen die Forscher dazu in einem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekt den Zeitraum seit 1991 unter die Lupe. „1991 sehen wir deshalb als Zäsur, weil in diesem Jahr die Literaturz­eitschrift ,mladje‘ eingestell­t wurde“, erklärt Srienc. Sie war für viele kärntner-slowenisch­e Autorinnen

Felix Oliver Kohl et al. und Autoren ein wichtiges Forum. Seither hat sich – auch politisch – viel verändert. Das Verhältnis zwischen deutsch- und slowenisch­sprachigen Kärntnerin­nen und Kärntnern hat auf vielen Ebenen Hochs und Tiefs erfahren.

Parallel dazu hat sich die Literatur ebenso gewandelt. So wird heute nicht nur auf Deutsch oder Slowenisch geschriebe­n, sondern auch auf Englisch oder Französisc­h. Srienc: „Zwar verschweig­en die Autorinnen und Autoren ihre Sozialisat­ion und Herkunft nicht, aber diese spielen für ihr Selbstvers­tändnis nicht mehr die vordringli­che Rolle. Sie lassen sich nicht mehr unter das Etikett einer Minderheit­enliteratu­r zwingen.“Das spiele auch in die Themenwahl hinein. Die Dynamiken der Selbstund Fremdschub­ladisierun­g begleiten dennoch viele. Oder wie es der zweisprach­ige Autor Stefan Feinig launig auf den Punkt bringt: „Als ich dann wusste, was es bedeutet, was ein Jugo! ist und ich eigentlich keiner war, war ich es immer noch. Doch dann erst recht.“

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