Mülltrennung sollte man schon in der Schule lernen
Die Lebensmitteltechnologin Silvia Apprich will Kunststoff nicht verteufeln, sondern umweltschonend nutzen. Ihr Team forscht an biobasierten Lacken, die Lebensmittel länger haltbar machen.
Die Presse: Sie haben an der FH Campus Wien neben der Leitung der Studiengänge Verpackungstechnologie sowie Packaging Technology and Sustainability jetzt auch den Studiengang Nachhaltiges Ressourcenmanagement übernommen. Bleibt noch Zeit für eigene Forschung?
Silvia Apprich: Das wird immer weniger, aber ich arbeite noch stark mit bei der Ausformulierung von Ideen und dem Schreiben der Forschungsanträge.
Welche Schwerpunkte setzt Ihr Team?
Wir erforschen in mehreren Projekten die Beschichtung von Biopolymeren in Verpackungsmaterial.
Biopolymere: Sind daraus die neuen Sackerln in der Gemüse-Abteilung?
Solche Obstsackerln sind aus Biokunststoff. Ein Biopolymer entsteht auch in der Natur und ist ein langes Molekül, das aus vielen Einheiten, den Monomeren, zusammengesetzt ist. Papier ist ein Biopolymer, und wir fokussieren auf die Beschichtung davon. Sie kennen vielleicht Papier mit einer Kunststoffschicht, die man abziehen kann.
Ja, von der Feinkost-Theke.
Es gibt auch Joghurts und Käse, bei denen Karton die mechanische Stützfunktion übernimmt. Doch die Ware muss auch gegen Licht, Wasserdampf und Oxidation geschützt sein, das kann Papier nicht leisten, und dafür sorgen Kunststoffschichten.
Nach dem Gebrauch zerlegt der Konsument die Schichten und entsorgt Papier und Plastik getrennt?
Genau. Unser Team will aber auch weg von den abtrennbaren Schichten: Wir arbeiten an der Anwendung von beispielsweise biobasiertem Lack, der auf das Papier aufgetragen wird und die Poren der Oberfläche verschließt. So wird der Karton undurchlässig für Sauerstoff und Wasserdampf.
Und in welcher Tonne soll ich so einen Karton mit Biolack entsorgen?
Diese dünnen Schichten stören den Recycling-Prozess des Papiers nicht. Die BiolackMaterialien werden beim Papierrecycling in Wasser ausgewaschen. Die Papierfasern können ohne Qualitätsverlust zurückgewonnen werden. Solche biobasierten Verpackungen sind auch sinnvoll in Ländern, wo viel Müll in der Umwelt landet. Bei uns ist „Littering“nicht so ein Problem, aber vielerorts wäre es ein Vorteil, wenn Verpackungen schneller verrotten.
Sagen Sie dem Plastik also den Kampf an? Nein: Kunststoff zu verteufeln ist der falsche Ansatz. Man muss ihn nur so einsetzen, dass er der Umwelt nicht schadet. Das entspricht auch dem Green Deal, den die EU 2020 als Aktionsplan für eine nachhaltige Wirtschaft verankert hat.
Wie kann man das umsetzen?
Ohne die Konsumenten werden wir nie die Recycling-Ziele erreichen. Wir haben eine hervorragende Mülltrennung und Sortierung in Österreich, und die Menschen trennen auch enorm gut, was Glas, Papier und Metall betrifft. Aber im Kunststoffbereich müssen wir noch viel besser werden.
Hier ist oft das Problem, dass jedes Bundesland andere Regeln vorgibt, welche Materialien in welche Tonne gehören.
Ja, Trennung und Sortierung sind nicht nur in den Ländern verschieden, sondern Gemeindesache. Hier liegt viel Arbeit vor uns, wie wir Konsumenten am bes
ten erreichen. Wahrscheinlich muss man schon in den Schulen den Grundstein für Recycling und Mülltrennung legen. Ich finde, die ARA ( Altstoff Recycling Austria,
Anm.) leistet gute Aufklärungsarbeit und beschreibt auch auf der Website, wie man was entsorgen soll.
In den Studiengängen der FH geht es auch um Abfall-Hierarchien: Was ist das?
Recycling ist ja erst die dritte Stufe einer Abfall-Hierarchie. An erster Stelle steht, dass man Abfall gar nicht erst entstehen lassen soll. So wie es eben der Green Deal vorgibt und Einweg-Kunststoffartikel vom Markt verbannt. Der zweite Schritt ist die Vorbereitung zur Wiederverwendung, wobei Mehrweg-Flaschen ein gutes Beispiel sind: Sie können in der ursprünglichen Form wieder verwertet werden, statt wie Einwegflaschen in ihre Rohstoffe zerlegt zu werden.
Wird Kunststoff nicht wiederverwendet?
Bisher kann man diese Stoffe nicht in der ursprünglichen Form verwerten, sondern sie gehen ins Recycling. Die vierte Stufe der Abfall-Hierarchie ist dann die energetische Verwertung, also Verbrennen. Und das wollen wir so weit wie möglich vermeiden, um die Materialien und Ressourcen zu erhalten.
Reduzierte Verschwendung ist auch ein Ziel bei der Beschichtung von Verpackungen: Wenn Lebensmittel länger haltbar bleiben, kommt weniger in den Müll?
Ja, wir schauen die Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten ganzheitlich an. Ein Konsument beurteilt vielleicht nur die Verpackung, aber wir berechnen immer: Wie viel steckt im gesamten Produkt? Die Verpackung macht nur einen kleinen Anteil des CO2-Fußabdrucks aus, gerade bei tierischen Lebensmitteln wie Fleisch und Milch. Eine Frage unserer Forschung ist z. B. auch die Restentleerbarkeit, also wie die Packung eines Trinkjoghurts gestaltet wird, damit es gut herausrinnt und keine Lebensmittelrückstände in der Verpackung bleiben.
Um den Kontakt von Lebensmitteln zu ihren Verpackungen ging es auch in dem von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten Projekt Migratox.
Wir haben einen Industriestandard entwickelt, der Verpackungsherstellern und Anwendern Sicherheit gibt, dass keine Substanzen unbeabsichtigt in die Lebensmittel migrieren, also wandern. In Europa ist gut geregelt, welche Rohstoffe eingesetzt werden dürfen. Aber die Industrie braucht auch den Nachweis, dass während der Verarbeitung und Lagerung keine Zwischenund Zerfallsprodukte entstehen, die womöglich mit der DNA der Konsumenten reagieren können. Das haben wir durch Kombination von chemischen Analysen, biologischen Testsystemen und einer lückenlosen Informationskette zu allen Rohstoffen geschafft.
Finden Sie im Supermarkt Produkte, die von dieser Entwicklung profitieren?
Die Ergebnisse des Migratox-Projekts sind unsichtbar, denn ein Produkt, das nicht sicher ist, schafft es gar nicht auf den Markt. Aber im Supermarkt sehe ich, wie viel sich tut im Bereich Papierverpackungen mit Minimalbeschichtungen.
Was lehren Sie heute Studierenden, das zu Ihrer Studienzeit nicht bekannt war?
Wir denken nun viel anwendungsorientierter. Fast jedes Unternehmen hat heute einen „Nachhaltigkeits-Beauftragten“, und wir lehren nicht nur Methoden der RessourcenOptimierung, sondern auch Ökodesign, Stoffstrom-Management und die Grundlagen des Umweltrechts.