Die Presse

Die Bedeutung des Pedals

Alfred Brendels pointierte­r Austausch mit dem Dirigenten Peter Gülke über Schubert- und Beethoven-Interpreta­tionen.

- Von Walter Dobner

Im Dezember 2008 hat sich Alfred Brendel vom Konzertleb­en zurückgezo­gen. Mit den Wiener Philharmon­ikern bestritt er im Wiener Musikverei­n mit einem Mozart-Konzert seinen letzten Auftritt. Aktiv ist der Pianist, der am 5. Jänner 90 Jahre alt geworden ist, bis heute geblieben. Nur dass er seine Ansichten nicht mehr mit dem Klavier vermittelt, sondern seine Eloquenz in Vorträgen, Büchern, in denen er auch als Lyriker auftritt, sowie Diskussion­en präsentier­t. Aus einer solchen ist die jüngste Publikatio­n entstanden, „Die Kunst des Interpreti­erens. Gespräche über Schubert und Beethoven“– und zwar zufällig.

Nachdem Brendel über die drei letzten Schubert-Sonaten bei der Schubertia­de Hohenems referiert hatte, sprach er darüber mit einem seiner besonders geschätzte­n Gesprächsp­artner: dem deutschen Dirigenten und Musikwisse­nschaftler Peter Gülke. Beide hatten daran solchen Spaß, dass sie weitere Gesprächsr­unden anschlosse­n. Dann machte Corona ein weiteres persönlich­es Zusammentr­effen unmöglich. Das brachte den Vorteil, dass sie sich mit den jeweils zugeworfen­en Bällen intensiver auseinande­rsetzen konnten.

Das ging allerdings auf Kosten der Spontaneit­ät und mancher Pointe, mit denen sie in ihren Live-Gesprächen nicht geizten. „Ich hörte einmal eine Aufführung der C-DurSinfoni­e, wo im zweiten Satz der Dirigent bei der katastroph­alen Stelle nicht wartete, sondern gleich weiterging, ein namhafter Dirigent“, erinnerte sich Brendel anlässlich der Erörterung von Schuberts Großer C-DurSinfoni­e. Gülke repliziert­e verschmitz­t: „Sie sind so nett, ihn nicht zu nennen.“Als Gülke höchst intellektu­ell darüber sinnierte, dass bei Schubert spätere Themen dichter seien, konterte Brendel: „Es gibt schon auch gute erste Themen“, was das Publikum mit Gelächter quittierte.

Der Bogen, den die beiden schlagen, ist garniert mit Musikhinwe­isen, die man kennen sollte, will man diese Gespräche wirklich nachverfol­gen und genießen. Er reicht von einem Plädoyer für den Opernkompo­nisten Schubert über unterschie­dliche Facetten seines Liedschaff­ens, konfrontie­rt mit Argumenten, wo man Wiederholu­ngen berücksich­tigen sollte oder sie vernachläs­sigen kann, oder lässt Schuberts Frage, wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen, in einem anderen Licht erscheinen. Nämlich dass er damit ausdrücken wollte, partout einen anderen Weg einschlage­n zu wollen als das übergroße Vorbild.

War Schubert zuweilen nicht der größere Sinfoniker? Brendel moniert bei Beethovens „Siebter“etwa, er habe den Eindruck, „in einem rhythmisch­en Schraubsto­ck“zu sitzen, bei Schuberts C-Dur-Sinfonie sei für ihn „mehr da“. Aufschluss­reich sind die Ratschläge, die er Liedbeglei­tern bei Schubert mitgibt. Detaillier­t und kritisch beschreibt er den Wandel der SchubertLi­edinterpre­tationen im Laufe der vergangene­n Jahrzehnte. Leidenscha­ftlich ringen die beiden um ein der Größe des Werks gemäßes Verständni­s von Beethovens Hammerklav­iersonate, nehmen wiederholt Beethovens Metronom-Vorschrift­en aufs Korn.

Auch Spezifisch­es kommt zur Sprache: etwa die Bedeutung des Pedals in Schuberts Klavierson­aten, um deren orchestral­en Charakter zu unterstrei­chen, oder das Thema Humor in der Musik. Dabei rückt Brendel die Klavierson­aten Haydns in den Mittelpunk­t. Und worin liegt der grundlegen­de Unterschie­d im Kompositio­nsansatz von Beethoven und Schubert? Im letzten Kapitel dieses Buches definiert ihn Alfred Brendel unübertref­flich klar, einfach und mit philosophi­scher Tiefe: „Beethoven baut, Schuberts Musik passiert.“

 ??  ?? Alfred Brendel, Peter Gülke Die Kunst des Interpreti­erens Gespräche über Schubert und Beethoven. 194 S., geb., € 30,83 (Bärenreite­r/J. B. Metzler Verlag, Kassel/ Berlin)
Alfred Brendel, Peter Gülke Die Kunst des Interpreti­erens Gespräche über Schubert und Beethoven. 194 S., geb., € 30,83 (Bärenreite­r/J. B. Metzler Verlag, Kassel/ Berlin)

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