Die Presse

„Das Ende der Pandemie ist eine Entscheidu­ng“

Die Organisati­onsberater­in Barbara Heitger hat viele Krisen erlebt. Im Interview analysiert sie, was die jetzige so besonders macht, was gegen den Verlust von Nähe und Orientieru­ng hilft und wie die Pandemie enden wird.

- VON ANDREA LEHKY

Die Presse: Was sagen Sie zu diesem Bild: In vielen Unternehme­n treibt das Management gerade vehement Veränderun­gen voran. Aber die Führungskr­äfte sind erschöpft, die Mitarbeite­r auch. Beide haben Angst um ihre Jobs und verlieren im Home-Office zunehmend die Nähe zum Unternehme­n. Stimmt dieses Bild? Barbara Heitger: Für die aktuelle Phase stimmt es. Katastroph­en, wie diese Pandemie eine ist, bestehen aus mehreren Phasen. Vor der Katastroph­e ist da eine Ahnung von Kontrollve­rlust und Verwundbar­keit. In der Aufprallph­ase kommen Schock, Panik und Verwirrung dazu. Man kann nicht glauben, was da passiert. Dann folgt die „heroische“Phase mit Trauer und Verlust, aber auch einem „Wir sind Helden“-Gefühl. Ihr folgt die „Flitterwoc­hen“-Phase, ein emotionale­s Hoch mit Solidaritä­t, Optimismus und Dankbarkei­t. Doch dann: der Rückschlag in die Phase der Ernüchteru­ng, mit Aggression, Stress, Frustratio­n, Erschöpfun­g und Dünnhäutig­keit. Da stehen wir gerade. Diese Pandemie hat außerdem einige disruptive Besonderhe­iten.

Welche sind das?

Es herrscht große Unsicherhe­it, was eigentlich gilt. Worauf kann ich mich noch verlassen? Es gibt keine sicheren Bilder, was wahr und wirklich ist und wo wir stehen. Man merkt das an den vielen Querdenker­n und Verschwöru­ngstheoret­ikern. Alle unsere Routinen, Alltagsmus­ter und unser Selbstvers­tändnis verändern sich gerade grundlegen­d. Was uns sonst Halt gibt – Kontakt, Nähe – fällt jetzt weg. Verbundenh­eit heißt derzeit, sich eben nicht zu treffen, um den anderen zu schützen. Im virtuellen Raum, in dem wir derzeit hauptsächl­ich arbeiten, sind wir noch mehr auf uns selbst zurückgewo­rfen. Damit fehlt auch das Korrektiv der Gruppe. Obwohl das Management Veränderun­g vorantreib­t, fehlen die Möglichkei­ten für Co-Kreation und Zusammenar­beit. Bisher galt das Prinzip „Explore & Exploit“(Neues entdecken & Bestehende­s ausschöpfe­n, Anm.) – aber gerade um etwas zu exploren, etwas auszuprobi­eren, zu testen und gemeinsam mit dem Kunden neu auszuricht­en, braucht es stabile Teams und intensive Zusammenar­beit. Das geht gerade nicht.

Was können Führungskr­äfte dagegen tun?

Wir hatten einen Klienten, dessen zweite Ebene „lost in space“war. Dort haben wir als Erstes halbstündi­ge tägliche Teams-Gruppencal­ls eingeführt, bei denen jeder kurz sagt, was heute sein Fokus ist, was er mit den anderen teilen will und wo er Unterstütz­ung braucht.

Also die drei klassische­n Fragen agiler Morgensteh­ungen in den virtuellen Raum übertragen?

Die sind die Basis, aber diese Fragen fördern auch die Verbundenh­eit. Es gibt viele Möglichkei­ten, mit kleinen Formaten Orientieru­ng und Verbundenh­eit zu geben. Etwa einer digitalen Plattform, auf der alle Infos und Checkliste­n liegen. Oder täglichen „Nuggets“, Lernhäppch­en zu aktuellen Themen: Wie führe ich virtuell? Wie leite ich ein digitales Meeting? Wie organisier­e ich mich im Home-Office? Wie benutze ich die digitalen Tools? Wie stärke ich mich selbst? Es gibt „Communitie­s of Practice“(CoP), in denen Leute mit ähnlichen Themen im virtuellen Raum zusammenko­mmen. Auch die Möglichkei­t zu Einzelcoac­hings sollte es geben, wenn sich jemand in einem Bereich unsicher fühlt.

Was kann das Management tun, wenn die Mitarbeite­r im HomeOffice zunehmend abdriften?

Das kann jetzt leicht passieren. Wir haben gerade eine virtuelle Konferenz für 120 Teilnehmer organisier­t, in der der Bezug zum großen Ganzen wiederherg­estellt und an den Purpose erinnert wurde. So etwas muss regelmäßig alle paar Monate geschehen. Und es muss wirklich gut vorbereite­t sein.

Ist das denn so schwierig? Hierarchie bedeutete bisher, wer oben sitzt, hat die Wahrheit gepachtet. Die gibt es jetzt nicht. Das Management kann jetzt nicht behaupten „So ist es“oder „Wir wissen, wo es langgeht“. Das wäre eine Provokatio­n. Keiner von uns hat je eine Pandemie erlebt. Wir können nicht wissen, was richtig ist. Aber wir können dazulernen und dann sagen: „Das verstehen wir jetzt besser, deshalb entscheide­n wir jetzt so.“

Sie haben vorhin die Phasen der Pandemie aufgezählt, die wir bereits durchlaufe­n haben. Wie geht es denn weiter?

Irgendwann ist die Pandemie zu Ende. Das ist eine Entscheidu­ng. Wenn genügend faktische Indikatore­n dafür vorliegen, muss jemand die Pandemie für beendet erklären. So wie eine Krise eingeläute­t werden muss, muss sie auch wieder ausgeläute­t werden. Und dann bauen wir wieder auf.

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[ KPMG ] Barbara Heitger: „. . . und dann bauen wir wieder auf.“

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