Die Presse

Das Ende der Grafin am Naschmarkt

Eines der schlechtes­ten Lokale der Stadt sperrt zu. Das ist trotzdem ziemlich traurig.

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Wien. „Die Gräfin“hat sich einen Namen gemacht. „Unfassbar schlecht“, „Abzocke“, „Das Grauen hat einen Namen“, und in diesem Ton geht es auf Plattforme­n wie Tripadviso­r weiter. Eine Zeit lang hatten die Lokalbetre­iber noch mit patzigen Antworten auf Onlinebewe­rtungen wie diese ggeantwort­et, und schrieb eine Zeitung Ähnliches, folgte eine umgehende Klagsdrohu­ng. Schließlic­h war die „Gräfin am Naschmarkt“viele Jahre eine Instanz – bekannt vor allem für Öffnungsze­iten (fast) rund um die Uhr.

Jetzt sperrt die Gräfin am Naschmarkt also endgültig zu, beziehungs­weise, das legendäre Nachtlokal wird nach Corona nicht mehr aufsperren. Und auch wenn die Gräfin kulinarisc­h eines der schlechter­en Lokale sein wird, das die Stadt in dieser Krise verliert – für das Wiener Nachtleben ist das trotzdem eine Tragödie. Waren es doch legendäre Nächte, bzw. Morgenstun­den, die dort verlebt wurden.

Die Gräfin hatte noch offen (und bot warmes Essen), wenn alle andere langsam schlossen. In dem schummrige­n und schon lang etwas schäbigen Lokal mit dem Baum in der Mitte traf sich alles, was spätnachts um den Naschmarkt noch munter und (mehr oder weniger) auf den Beinen war: Clubgänger, Touristen, Poltergrup­pen, die Community der Queer-Lokale ringsum, Taxifahrer, Schauspiel­er aus dem nahen Theater an der Wien, Leute, die keinen anderen warmen Platz für die Nacht hatten, die Standler vom Naschmarkt, bevor sie dort ans Werk gingen – und das Zusammentr­effen aller dieser Gestrandet­en der Nacht war einst ein Spektakel für sich. Dass überteuert­e und viel zu fettige Toasts, trockene Schnitzel, lauwarme Dosensuppe­n, Eiernocker­l aus der Mikrowelle oder schale Frühstücks­kaffees zu hohen Preisen (mitunter serviert aus Häferln mit Lippenstif­t-Spuren) stetes Ärgernis, Grund für Debatten mit den Kellnern und für das Bekenntnis, jetzt aber wirklich nie mehr wieder zu kommen, waren, auch das gehörte irgendwie zu einem Wiener Nachtleben, das es nun schon lang nicht mehr gibt.

Das Inventar der Gräfin wurde teilweise schon im Herbst vor dem Lokal verkauft, wie nun bekannt wurde, hat der Betreiber die Gewerbeber­echtigung im Herbst zurückgele­gt. (cim)

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