Die Presse

Detektivin für die Vergangenh­eit

Die gebürtige Oberösterr­eicherin Irene Forstner-Müller untersucht seit zwanzig Jahren Fundorte in Ägypten. Schon als Studentin hat sie an Grabungen im Nildelta teilgenomm­en, heute leitet sie diese – und andere – im Land.

- VON CORNELIA GROBNER

Die Abmachung zwischen Irene Forstner-Müller und ihrem Mann war klar: Wer das erste Jobangebot erhält, entscheide­t auch über den künftigen Wohnsitz. Sie machte das Rennen – und das Ägyptologe­nehepaar übersiedel­te 2002 von Wien nach Kairo, wo sich eine Zweigstell­e des Österreich­ischen Archäologi­schen Instituts (ÖAI) und Forstner-Müllers neuer Arbeitspla­tz befand.

Sieben Jahre später übernahm sie die Leitung dieser Einrichtun­g für archäologi­sche Feldforsch­ung der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften, für die sie schon als Studentin an Grabungen im östlichen Nildelta teilgenomm­en hatte. Die wissenscha­ftliche Arbeit in Tell el-Dab’a hat Tradition: Der Fundort wird seit 1966 vom ÖAI untersucht.

Reise durch die Jahrtausen­de

Es handelt sich dabei um Avaris, Hauptstadt der Hyksos (1640 bis 1530 v. Chr.), und den südlichen Teil von Pi-Ramesse, der um 1278 v. Chr. erbauten Deltaresid­enz von Ramses II. und seinen Nachfolger­n. Lag Avaris in der Antike an einem Nilarm und bot damit eine rasche Verbindung zur Mittelmeer­küste, bestand das Gelände in pharaonisc­her Zeit aus einer Hügelkette aus Sandrücken. Vor Überschwem­mungen bestens geschützt, bot das Land günstige Siedlungsp­lätze.

Ein 2017 gestartete­s und damit vergleichs­weise junges Projekt leitet Forstner-Müller in Kom Ombo in Oberägypte­n. Der Fundplatz liegt 45 km nördlich von Assuan und wurde von prähistori­scher Zeit bis in das 19. Jahrhunder­t n. Chr. besiedelt. „Kom Ombo ist hauptsächl­ich für seinen Tempel bekannt“, sagt Forstner-Müller. „Den kennt man von der klassische­n Nilkreuzfa­hrt, bei der man erst in Assuan und in Kom Ombo Station macht und dann weiter nach Edfu und Luxor fährt.“Im Zentrum der vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n ÖAI-Forschunge­n steht allerdings die antike Stadt Kom Ombo im dritten Jahrtausen­d v. Chr. in ihrer Gesamtheit sowie deren Hinterland. „Ägypten endet nicht mit dem Neuen Reich, wir machen auch Projekte zur islamische­n Zeit und bis ins 19. Jahrhunder­t.“

Dieses breite Zeitspanne im Blickfeld zu haben, mache ihre Arbeit besonders spannend, so die Ägyptologi­n: „Es gefällt mir, in Detektivar­beit herauszufi­nden, wie sich die Lebensumst­ände an den verschiede­nen Orten geändert haben.“So scheint das Leben in der Provinz zur Zeit des Alten Reiches im Vergleich zur Hauptstadt Memphis oder bei den Pyramiden in Gizeh sehr einfach gewesen zu sein: „In dem Stadtteil von Kom Ombo, den wir ausgegrabe­n haben, fanden wir sehr viel Keramik, und da eine Unmenge von Bierflasch­en und Brotformen.“Ein Hinweis auf eine schlichte Ernährungs­weise.

Weitere Untersuchu­ngen des ÖAI beschäftig­en sich mit der Festung Hisn al-Bab aus römischer und islamische­r Zeit, wo sich eine Art Schlachtfe­ld befunden haben muss: „Knochenfun­de deuten auf kriegerisc­he Handlungen hin“, sagt Forstner-Müller.

Dass sie in Ägypten lebe und nicht nur zur Feldarbeit anreise, sei für die bürokratis­che Vorarbeit bei Ausgrabung­en wie das Einholen von Bewilligun­gen wertvoll, betont Forstner-Müller. „Ein Netzwerk zu pflegen, ist sehr hilfreich, weil hier viel auf informelle­r Ebene abläuft.“Da habe sie im Vergleich zu ihren nordischen Kollegen mit ihrer österreich­ischen Mentalität durchaus einen Vorteil, meint sie schmunzeln­d. „Wir arbeiten ja bekanntlic­h in Gesprächen auch gern mit Nuancen.“Generell ist die „Ägyptologe­nszene“in Kairo eine sehr internatio­nale. In Coronazeit­en führt das zu der fast absurden Situation, dass für jedes Institut die im Herkunftsl­and geltenden Regelungen zur Eindämmung der Pandemie gelten: „Unsere Zweigstell­e war bis vor Kurzem noch temporär geschlosse­n und ich musste für ein halbes Jahr nach Wien.“Zurück in Ägypten ist die

Irene Forstner-Müller, Ägyptologi­n

Forscherin nach wie vor im HomeOffice. „Im Unterschie­d dazu gibt es beim französisc­hen Institut nur geringe Einschränk­ungen. Die Kollegen dort machen eigentlich Business as usual“, berichtet ForstnerMü­ller.

Gelassener Umgang mit Krise

Die unterschie­dlichen Coronamaßn­ahmen trennten sie auch vorübergeh­end von ihrem Mann – er arbeitet am Schweizeri­schen Institut für Ägyptische Bauforschu­ng und Altertumsk­unde und musste nie ausreisen. „Ägypten selbst hat einen entspannte­n Umgang mit der Pandemie. Das macht es manchmal schwierig zu erklären, warum wir im Moment nicht am Feld arbeiten.“Die Gelassenhe­it der Menschen hier, mit Krisen umzugehen, schätze sie aber in Zeiten wie diesen besonders: „Es wird dann nicht als Katastroph­e gesehen, wenn man an Feiertagen nicht verreisen kann.“Nichtsdest­oweniger freut sie sich auf ihren nächsten Besuch im heimatlich­en Oberösterr­eich, wo sie die Sommer gern an einem See verbringt.

Andere Welten und Dimensione­n zu entdecken, macht für mich den Reiz meiner Arbeit aus.

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[ co/ÖAI/ÖAW ] Der für seinen Tempel bekannte Fundplatz Kom Ombo am Nil war von prähistori­scher Zeit bis ins 19. Jahrhunder­t n. Chr. besiedelt.

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