Der Nervenkrieg um Merkels Erbe
Deutschland. Armin Laschet oder Markus Söder: Kein halbes Jahr vor der Wahl tobt ein Machtkampf um die Kanzlerkandidatur. Und in den Umfragen geht es bergab. Verspielt die Union noch das Kanzleramt?
Was weiß und was plant der deutsche Wähler? Die Frage wirft eine Forsa-Umfrage auf. Demnach rechnet eine Mehrheit der Deutschen damit, dass die Union nach der Wahl am 26. Sep
tember das Kanzleramt verlassen muss. Auch andere Umfragen alarmieren. Europas mächtigste Parteienfamilie stürzte binnen weniger Monate von um die 35 Prozent in den Umfragen auf 26 bis 28 Prozent ab. Das ist zwar Platz eins. Aber die Meinungsforschung zeigt eine Machtoption ohne CDU/ CSU auf. Sie nennt sich Ampel-Koalition, ein Bündnis aus Grünen, SPD und FDP hätte eine knappe Mehrheit. Längst wurde die Corona- auch zu einer CDU/CSU-Krise. Die Union zündet kein Feuerwerk an Ideen, aber sie führt das Land solide, auch in schweren Zeiten: Das war fast Konsens. Er bröckelt. Weil die Republik zuletzt organisatorisch patzte. Impfen, Testen, Wirtschaftshilfen: Alles verzögerte sich. Und Maskenaffären in den CDU/CSU-Reihen empörten die Nation.
In der Union hoffen sie nun, dass die Stimmung bald wieder dreht, dass mit den Impfzahlen auch die CDU/CSU-Prozentzahlen steigen. Aber Gewissheit gibt es nicht. „Die Lage ist total ernst“, sagt einer aus der CDU-Führungsriege zur „Presse“. Es geht die Angst um, dass sich zwischen Nord- und Bodensee eine Wechselstimmung ausbreitet.
Das also ist die Ausgangslage in diesen Schicksalswochen der Union, in denen sie festlegen will, wer Angela Merkel als Kanzlerkandidat beerbt. Bis allerspätestens Pfingsten wollen die Chefs der Schwesterparteien im Einvernehmen klären, wer der beiden Kanzlerkandidat wird: der CDU-Vorsitzende Armin Laschet oder CSU-Chef Markus Söder? Beide sind Schwergewichte auf dem Papier, der eine führt das bevölkerungsreichste Bundesland (Nordrhein-Westfalen), der andere das selbstbewussteste (Bayern).
Man kann sich kaum einen schärferen Kontrast innerhalb der Parteienfamilie denken als jenen zwischen dem abwägenden, beinahe unscheinbaren Laschet und dem breitbeinig auftretenden Söder. 22 Zentimeter Körpergröße trennen die beiden, vor allem aber 35 Prozentpunkte in den Umfragen. 54 Prozent trauen Söder das Kanzleramt zu, nur 19 Prozent Laschet. Das ist der Hauptgrund, warum Söder noch im Spiel um Merkels Erbe ist. Er ist beliebter bei den Deutschen. Viel beliebter. Und das macht Eindruck auf Abgeordnete, für die es bei den Wahlen im Herbst um die Existenz geht.
Laschets großes Problem
Laschet war nie ein Liebling der Massen, auch nicht der CDU-Basis. Aber in seinem Umfeld gab es die Hoffnung, dass sich seine Beliebtheitswerte bessern würden, wenn der CDU-interne Machtkampf um den Parteivorsitz überstanden wäre. Das war im Jänner. Es kam anders. Auch, weil Laschet in der Coronakrise einen Zickzackkurs fuhr.
Trotzdem ist der Rheinländer der Favorit auf Merkels Erbe. Die CDU, hört man, müsse als deutlich größere Partei schon aus Gründen der Selbstachtung den Kanzlerkandidaten stellen, Laschet jetzt die Nerven bewahren und rasch zupacken. Die Zeit ist nur Söders Freund. Noch hat sich kein einziger CDU-Politiker von Gewicht, kein Landesfürst, kein Minister, öffentlich auf Söders Seite geschlagen, auch nicht nach den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die für die Laschet-CDU im Fiasko endeten. Und nur zweimal, 1980 und 2002, hat die CDU der CSU-Schwester die Kanzlerkandidatur überlassen. Aber damals war die Union in der Opposition, nicht an der Macht, und es ging nicht gut aus. Laschet wird auch eher zugetraut, die vielen CDU/CSU-Flügel zusammenzuhalten. In der CDU gibt es zudem Zweifel an Söders Verlässlichkeit. Der Franke hatte sich in Bayern als konservativer Landesvater inszeniert. Dann wendete er, Söder ergrünte, umarmte Bäume und auch die Kanzlerin, gegen die er früher gern gestichelt hatte. Söder sucht auch in der Coronakrise Merkels Nähe. Er wünscht sich, dass die populäre Kanzlerin in der Frage nach ihrem Nachfolger mitredet. Ohne Merkels Unterstützung könne man nicht erfolgreich sein, sagt er. Die Strategie fruchtet. Heute glaubt eine Mehrheit der Deutschen, dass Merkel dem Bayern mehr vertraut als Laschet, ihrem jahrelangen treuen Begleiter.
Das Söder-Rätsel
Was will Söder? Will er überhaupt Kanzler werden? Anfangs gab es die Vermutung, dass es der Bayer lediglich genießt, als Kandidat gehandelt zu werden. Weil das Scheinwerferlicht ihm und seiner CSU nützt. „Inzwischen verdichten sich die Anzeichen, dass Söder wirklich will“, sagt einer aus der CDU. Söder streut auch Hinweise, wenn er zum Beispiel die Bedeutung der Beliebtheitswerte in der Kanzlerkandidaten-Frage hervorhebt und immer wieder kleinere Spitzen gegen Laschet setzt. „Die Union muss sexy und solide zugleich sein“, sagte er dem „Spiegel“. Die Laschet-CDU gilt allenfalls als „solide“.
Am Sonntag steht die nächste Schlacht im Nervenkrieg an: Klausurtagung des CDU/ CSU-Fraktionsvorstands. Die Einladung liegt der „Presse“vor. Zuerst gibt es Antigentests, dann eine Aussprache mit Merkel, dann Mittagessen und ab 13 Uhr Laschet und Söder zum Nachtisch. Sie reden zum Thema „Wie gestalten wir die Zukunft?“. Die Zuhörer dürfte eine andere, die KanzlerkandidatenFrage, noch stärker interessieren.