Leitartikel von Christian Ultsch
CDU und CSU sind unfähig, einen Übergang in die Post-Merkel-Ära zu schaffen. Die deutsche Kanzlerin desavouiert Nachfolger inzwischen gewohnheitsmäßig.
Auf Deutschland kommt eine Zeitenwende zu. Für Angela Merkel ist nach 16 Jahren im Amt bald Schluss. Sie tritt bei der Bundestagswahl am 26. September nicht mehr an. So viel steht fest. Sonst aber ist so ziemlich alles offen. Der Bundeskanzlerin wird ja gern nachgesagt, sie denke alles vom Ende her, doch über ihr eigenes politisches Ende hinaus hat Merkel offenbar nicht besonders scharf nachgedacht. Das Management des Machtübergangs ist bisher jedenfalls ein Fiasko.
Es begann damit, dass sie zunächst Annegret Kramp-Karrenbauer als ihre Wunschnachfolgerin auserkor. Die saarländische Ex-Ministerpräsidentin setzte sich zwar im Dezember 2018 mit Ach und Krach bei der CDU-Vorsitzwahl durch. 14 Monate später war aber sie schon wieder Geschichte, gescheitert an sich selbst, an der Distanzlosigkeit der Thüringer CDU gegenüber der AfD und gescheitert auch an Merkel, die ihr nicht genug Raum zur Entfaltung gab und sie dann auf offener Bühne mit einem Machtwort desavouierte. Es folgte die durch die Pandemie in die Länge gezogene Suche nach einem neuen Vorsitzenden, die heuer im Jänner mit der Kür von Armin Laschet endete.
Für ihn und die CDU läuft es seither nicht so gut. Die Christdemokraten sind nach diversen Maskenaffären in Umfragen abgestürzt und haben bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz grottenschlechte Ergebnisse eingefahren. Mittlerweile fragt sich ganz Deutschland, ob Laschet der richtige Kanzlerkandidat für die Union wäre. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat es verabsäumt, diese Frage gleich nach seiner CDU-Übernahme zu klären. Jetzt sitzt ihm CSU-Chef Markus Söder, der offenbar selbst Kanzlerambitionen hegt, immer aufdringlicher im Nacken.
Bayerns Ministerpräsident stichelt bei jeder Gelegenheit halb verdeckt gegen Laschet, inszeniert sich als neuer Musterschüler Merkels und Antithese zum Aachener. Söder gibt den umsichtigen Lockdown-Zuchtmeister und führt seinen Rivalen als sorglosen Lockerungshallodri vor. Dem Verwandlungskünstler aus München gelingt dabei ein erstaunlicher Rollentausch. In der Flüchtlingskrise noch hatte er sich, anders als der loyale und kreuzbrave Laschet, notorisch auf Kosten Merkels als Konservativer mit Kante profiliert. In der Pandemie tritt er nun als getreuer Eckart der Kanzlerin auf, als weltoffener und ökologiebewusster Mann der Mitte, als dynamische Führungsfigur, der die Union dazu mahnt, im Rennen um das Kanzleramt vom Kamillentee- zum RedBull-Modus umzuschalten, auch das ein Seitenhieb gegen den lauen Laschet.
Offen auf den Tisch hat Söder seine Karten bisher noch nicht gelegt. Der CSU-Chef will sich bitten lassen. In der gemeinsamen Bundestagsfraktion wächst die Unruhe mit jedem Prozentpunkt, den die Union in Umfragen abrutscht. Die Abgeordneten bangen um ihre Mandate. Schon wird von den CDUHinterbänken der Ruf laut, mit dem stärkeren Zugpferd in die Wahl zu gehen: mit Söder. Doch noch halten sich die Granden bedeckt. Es wäre eine Schmach für die Christdemokraten, wenn sie die Kanzlerkandidatur nach 1980 und 2002 wieder der kleinen bayerischen Schwesterpartei überlassen müssten.
Niemand sollte Laschet unterschätzen. Er hat sicher Rückhalt organisiert in den Machtzirkeln der CDU. Zuletzt aber machte er einen angefassten Eindruck. Die Sticheleien Söders und das Umfragetief zeigen Wirkung. Die Zweifel an ihm wachsen. Es gibt eine Person, die ihm den Rücken stärken könnte: Angela Merkel. Doch auf sie kann sich Laschet nicht verlassen. Die Kanzlerin hat sein Bundesland jüngst sogar öffentlich kritisiert im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung. Unabsichtlich? Zumindest hält sich Merkel fein heraus, als ginge es sie gar nichts an, wer ihr nachfolgt. Je mehr Sternschnuppen verglühen, umso heller und ewiger strahlt ihr Licht.
Die Grünen schauen sich den Ringkampf der Union erste Reihe fußfrei an. Laschet ist bereits sturmreif geschossen. Und ob die Deutschen wirklich gern Söder als Kanzler wollen, müsste sich erst weisen. Es ist nicht mehr ausgeschlossen, dass Deutschland demnächst von einer Ampel regiert wird, allerdings mit neuer Farbreihenfolge: Grün-Rot-Gelb.