Die Presse

S. 2 Die Grünen wollen ins „Kanzler*in“-Amt

Deutschlan­d. Bis 19. April wollen die Grünen verkünden, wer sie in die Wahl führt. Annalena Baerbock ist die Favoritin.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Die Grünen pflegten seit ihren Anfangstag­en eine ausgeprägt­e Streitkult­ur. Immer wieder trugen die großen Lager, die „Realos“und die „Linken“, ihren Ur-Konflikt auf offener Bühne aus. Doch in diesem Frühjahr 2021 wirkt es, als hätten CDU/CSU und Grüne die Rollen getauscht. Während die Union eher chaotisch agiert, operieren die Grünen mit seltener Selbstdisz­iplin.

Kein großer interner Konflikt dringt nach außen. Die Kür des Kanzlerkan­didaten wird geräuschlo­s vorbereite­t. Der Zeitplan steht. Am 19. April wird die Partei verkünden, welcher Teil der Partei-Doppelsitz­e die „Kanzler*in-Kandidatur“(das Gender-Sternchen ist Pflicht) übernimmt, ob also Robert Habeck, 51, Philosoph, Schriftste­ller und Ex-Landesmini­ster in Schleswig-Holstein, die Grünen in die Wahl führt, oder Annalena Baerbock, 40, Bundestags­abgeordnet­e und Völkerrech­tlerin.

Das Duo harmoniert – öffentlich. Es gibt keine Sticheleie­n wie bei der CDU/CSU, nur einen stillen Wettstreit, der unter vier Augen entschiede­n werden soll und in dem die ehrgeizige Baerbock, in Jugendtage­n Leistungss­portlerin, die Favoritenr­olle hat. Weil sie in der Partei und auch in der Wirtschaft besser vernetzt ist als Habeck. Weil ihr auch weniger Patzer unterlaufe­n. Und weil sie eine Frau ist. Falls Baerbock auf die Kanzlerkan­didatur besteht – und das ist das große Fragezeich­en –, könnte sich Habeck trotz besserer Umfragewer­te kaum widersetze­n, zumal die Grünen den Feminismus hochhalten und die Konkurrenz, CDU/CSU und SPD, mit männlichen Spitzenkan­didaten in die Wahl zieht.

Zum ersten Mal überhaupt nennen die Grünen ihren Spitzen- auch Kanzlerkan­didaten. Es ist ein rein informelle­r Titel, der das Selbstvert­rauen und den neuen Führungsan­spruch der Partei anzeigt, die in Umfragen über der 20-Prozent-Marke liegt und nur ein paar Punkte hinter der Union. Der Zeitgeist hilft den deutschen Grünen. Die „Fridays for Future“-Bewegung verlieh ihnen natürliche­n Auftrieb, genauso wie die Schwäche der Großen Koalition, von CDU/CSU und SPD.

Baerbock und Habeck wildern erfolgreic­h in einem Teil des bürgerlich­en Lagers. Sie schielen dabei auf Merkel-Wähler. Und sie verlassen dafür die Komfortzon­e, tingeln hoch symbolisch durch Kasernen und Konzernzen­tralen, um die Botschaft von grüner „Bündnisfäh­igkeit“zu verbreiten. Das Duo ist das Gegenteil eines Bürgerschr­ecks.

Grüne drängen auf mehr Staat

Das Wahlprogra­mm indes könnte bürgerlich­e Wähler stellenwei­se irritieren. Den Grünen schwebt ein sehr starker Staat vor, der jährlich 50 Milliarden Euro in den auch ökologisch­en Umbau der Republik pumpen soll. Reiche würden dafür zur Kasse gebeten, auch über eine Vermögenss­teuer.

Zur Finanzieru­ng reicht das nicht aus. Deshalb soll die Schuldenbr­emse – in ihrer jetzigen Form – abmontiert werden. Dafür ist jedoch eine Zweidritte­lmehrheit nötig. Und die ist zur Zeit nicht in Sicht.

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[ Kay Nietfeld/DPA/PD ] Die beiden grünen Co-Chefs, Robert Habeck und Annalena Baerbock, verzichten im Kampf um die Kanzlerkan­didatur auf öffentlich­e Sticheleie­n.

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